Heimische Industrie schlägt Alarm
Die heimischen Produktionsbetriebe kämpfen mit hohen Arbeitskosten, überbordender Bürokratie, drückender Steuerlast und teurer Energie. Um eine (weitere) Abwanderung zu verhindern, muss die Politik dringend gegensteuern.
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Die Tiroler Industrie ist eine wichtige Säule am Standort Tirol. Die über 400 Tiroler Industriebetriebe beschäftigen mehr als 40.000 Mitarbeiter:innen und erwirtschaften einen Produktionswert von über 14 Milliarden. Doch mittlerweile droht eine Deindustrialisierung, also der schleichende Niedergang des Industriesektors. Und zwar auch in Tirol, das gerade im Begriff ist, einige seiner historischen Standortvorteile zu verlieren. „Unser Land konnte lange Zeit von günstigen Energiepreisen sowohl bei Strom als auch bei Gas profitieren. Aufgrund der geopolitischen Entwicklungen ist das inzwischen ganz anders“, erklärt Standortanwalt Stefan Garbislander. Doch das ist nicht die einzige Herausforderung, mit der die heimischen Produktionsbetriebe zu kämpfen haben. Die Anforderungen der österreichischen Bürokratie sind rekordverdächtig, Grund und Boden für Betriebserweiterungen sind teuer, und die Unsicherheit auf internationaler Ebene lässt die Rohstoffpreise steigen. Darüber hinaus herrscht in vielen Branchen akuter Arbeitskräftemangel. Ein massiver Faktor, der die Industrie in Tirol unter Druck bringt, sind die massiv gestiegenen Arbeitskosten. Die Inflation der letzten Jahre hat die Lohnabschlüsse deutlich nach oben getrieben. Zu alledem kommen noch weitere Nadelstiche wie die Lkw-Dosierungen an mehr als 40 Tagen im Jahr, was die Lieferlogistik deutlich erschwert.
Hoher Exportanteil
Dieser Cocktail aus schwer verdaulichen Belastungen ist eine enorme Herausforderung für unseren Produktionsstandort. Um kostendeckend produzieren zu können, müssen die Betriebe diese Kosten bei der Kalkulation ihrer Produktpreise berücksichtigen. Und genau hier liegt das Problem. „Viele Tiroler Industriebetriebe haben einen Exportanteil über 90 %. Sie müssen gegenüber Unternehmen auf der ganzen Welt konkurrenzfähig sein“, erklärt IV-Präsident und Industrie-Spartenobmann Max Kloger.
Einige Unternehmen haben bereits die Konsequenzen aus der angespannten Situation gezogen und beginnen damit, Produktionen stillzulegen oder ins Ausland zu verlagern. Eine aktuelle Deloitte-Studie belegt die Dramatik: Drei Viertel der Industrieunternehmen sehen die Deindustrialisierung als eine echte Gefahr. Bereits 41 % der heimischen Industriebetriebe haben in den letzten drei Jahren Teile in andere Länder verlagert. Ein Blick auf unsere deutschen Nachbarn fällt noch dramatischer aus: In unserem Nachbarland haben bereits 67 % der Firmen Teile der Produktion ausgelagert – das strahlt auch nach Österreich aus. Diese Entwicklung ist aber nicht nur ein Problem für die Mitarbeiter:innen der Industrie. An den großen Leitbetrieben hängen viele kleine und mittlere Zulieferfirmen. „Bricht die Industrie in Tirol weg, fehlt auch der Branchenmix, der uns bislang in Krisenzeiten so robust gemacht hat“, warnt Kloger.
Standort-Attraktivität sinkt
Die Deloitte-Studie gibt tiefe Einblicke in die Stimmungslage und die Hintergründe der Entwicklung. 90 % der befragten Betriebe gehen davon aus, dass die Attraktivität des Standorts Österreich zu anderen führenden Industrienationen in den kommenden drei Jahren sinken wird. Von der Verlagerung betroffen sind vor allem kostenintensive Bereiche, etwa die Bauteilfertigung, Produktion im Allgemeinen oder die Vor– und Endmontage. Verlagert wurden Teile der Produktion in den vergangenen 3 Jahren mit einem Anteil von 81 Prozent vor allem in andere EU-Länder, nach Ost- aber auch nach Südeuropa. Gefolgt von Asien (29 Prozent), vor allem in Länder, wo es Investitionsprogramme gibt.
An Attraktivität gewinnt die USA. Nicht zuletzt wegen hoher Subventionen, etwa durch den Inflation Reduction Act (IRA), aber auch wegen der niedrigen Energiepreise. 27 Prozent wollen in den nächsten 3 Jahren Teile der Produktion in die Vereinigten Staaten verlagern. Die USA zeigen vor, dass nicht nur Billiglohn- und Schwellenländer für Ansiedlungen attraktiv sein können, sondern auch entwickelte Industriestaaten – wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Die USA nutzen damit die europäische Schwäche und ziehen Investitionen ab. Aber auch Asien und andere EU-Länder bleiben für 46 bzw. 44 Prozent der heimischen Firmen in den kommenden 2 bis 3 Jahren attraktiv. Als Gründe für Investitionen in anderen Ländern werden von heimischen Unternehmen mit 78 Prozent vor allem die hohen Arbeitskosten in Österreich genannt. Aber auch die ausufernde Bürokratie, der akute Arbeitskräftemangel, die hohe Steuerquote und die gestiegenen Energiekosten werden jeweils von mehr als 60 Prozent der befragten Unternehmen genannt.
Effektive Gegenmaßnahmen
Um diese Abwärtsspirale zu stoppen, muss die Politik gegensteuern. Auch hier bietet die Deloitte-Studie Antworten. 88 % der Unternehmen halten eine Senkung der Lohnnebenkosten für besonders sinnvoll, um die Standortattraktivität Österreichs zu erhöhen. Die hohen Lohnsteuern führen dazu, dass bei Lohnerhöhungen immer nur bescheidene Summen bei den Arbeitnehmer:innen netto ankommen. 79 % wünschen sich eine einfachere Administration. Und 77 % nennen wettbewerbsfähige Energiepreise, wenn es darum geht, die Industrie im Land zu halten. „Land und Bund müssen Energiesicherheit zu günstigen Tarifen gewährleisten und die Potenziale erneuerbarer Energiequellen zügig ausbauen, allen voran die Tiroler Wasserkraft“, unterstreicht Spartenobmann Max Kloger. Zudem ist es überfällig, die Steuerschraube zu lockern. „Nur durch ein beherztes Handeln der Politik mit effektiven Maßnahmen kann die Tiroler Industrie vor einem weiteren Abwandern bewahrt werden“, betont Kloger.