Gerberei Lutz: 100 Jahre Meisterschaft
In Weißenbach am Lech konnte Ende September 2023 ein ziemlich ledriges und flauschiges Jubiläum gefeiert werden. Vor 100 Jahren ist dort die Gerberei Lutz gegründet worden. Margarete Bader, die Enkelin des Gründers, führt das Unternehmen seit 1990. Mit viel Herzblut. Und viel Spaß.
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Es dauert nicht mehr lange, da werden die Krampusse, Krampalar oder Tuifl auch im Außerfern wieder das Fürchten verbreiten. Mit ihrem Treiben, das in den letzten Jahren Kultstatus bekam und dem Nikolaus ein wenig die Show nahm, werden sie beim großen Reuttener Krampusumzug am 2. Dezember 2023 nicht nur die Zuschauer erblassen, sondern auch ein Stück weit das Handwerk hochleben lassen. Das der Maskenschnitzer:innen etwa, die den sonst so Harmlosen ein schauriges Antlitz verleihen. Das der Schneidermeister:innen auch, die ihnen die Anzüge nähen. Und schließlich das der Gerber:innen, die die Felle dafür vorbereiten und den Furchterregenden einen Hauch von Flausch mitgeben.
Gut möglich, dass die Zuschauer:innen im Zuge des gespenstischen Treibens in Reutte mit den Pelzigen in Berührung kommen und sich fragen: „Wow, wie weich – woher?“ Federleicht ist dann möglich, dass die Antwort auf diese Frage direkt nach Weißenbach führt, zur Gerberei Lutz, wo Gerbermeisterin Margarete Bader feinste Pelze zaubert. Auch für Krampusse, Krampalar und Tuifl versteht sich.
Margarete Bader ist eine der letzten ihres Faches. Tirolweit gibt es nur noch fünf Gerbereien, in denen diese jahrtausendealte Profession ausgeübt wird. Die Verarbeitung von Fellen und Häuten begleitet die Menschheit schon seit der Steinzeit. Unsere allerersten Vorfahren haben wohl ziemlich gefroren und irgendwann müssen sie auf die recht geniale Idee gekommen sein, die Felle der Tiere, die sie mühsam erlegt haben, haltbar zu machen und reinzuschlüpfen. Später revolutionierte die Herstellung von Leder das Leben. Die ältesten Nachweise des Handwerks reichen zurück in die Zeit vor 5.000 v. Chr. Der älteste Nachweis der Gerberei Lutz stammt aus dem Jahr 1923 – und er kam überraschend.
Bewegte Geschichte
Im Frühjahr habe ich einen Weißenbacher getroffen, der mich fragte: Die alte Anzeige vom Tiroler Anzeiger hast du eh?“, erzählt Margarete Bader. Ihre Familie war immer davon ausgegangen, dass Großvater Bartholomäus Lutz die Gerberei 1925 gegründet hatte. Darum stand die 100-Jahr-Feier auch erst für 2025 auf dem Programm. Die Zeitungsannonce aber, auf die sie hingewiesen wurde, war im November 1923 erschienen und hatte die Leser:innen darauf aufmerksam gemacht, dass Bartholomäus Lutz die Gerberei eröffnet hat und sich über Anfragen freuen würde. „Da dachte ich, ich muss rasch etwas tun. Ich wollte für die 100-Jahr-Feier eine Ausstellung vorbereiten – über die Geschichte der Gerberei im Allgemeinen und unsere im Speziellen“, sagt Margarete Bader. Auch Betriebsführungen standen auf ihrem Plan und so begab sie sich geschwind auf die Suche nach alten Bildern und Dokumenten. Im Zuge dessen fand Margarete Bader die Buchhaltung ihres Opas. Der 2. Oktober 1923 war darin eingekringelt. „Das dürfte der Beginn gewesen sein“, sagt sie.
Bartholomäus Lutz senior war 1896 geboren worden, dem Jahr, in dem die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit stattgefunden haben und das Phänomen der Radioaktivität entdeckt wurde. Ungeachtet all der verunsichernden Welt-Wirrungen seiner Zeit, widmete sich der junge Weißenbacher einer der ältesten Künste der Menschheit, einem Handwerk, das fast allen Völkern der Erde seit Urzeiten bekannt und entsprechend wichtig für sie war. „Mein Opa hat das gemacht, was fast ausgestorben ist – die Grubengerbung“, erzählt Margarete Bader. Um Leder aus Rinderhäuten herzustellen – für Schuhsohlen beispielsweise – war viel Wissen, viel Geduld und viel Kraft erforderlich. Die dafür nötigen organischen Prozesse wurden mit Gerbstoffen in Gang gesetzt, die Bartholomäus Lutz senior aus Fichten- und Eichenrinden gewonnen hat. „Die Rindenbrechmaschine ist heute noch in der Werkstatt. Damit wurden die Rinden kleingebrochen und dann konnte man sie mahlen“, erzählt Margarete Bader.
Schon als kleines Mädchen wusste sie, dass sie Gerberin werden wollte und sie wusste auch, dass das, was der Opa machte, nichts für sie ist. So eine Kuhhaut wiegt 40 bis 50 Kilo. Sie zum Gerben in die dafür vorgesehenen Gruben zu lupfen“ und wieder heraus, ist extrem hart und Margarete Bader sagt: „Ich wusste, dass ich diese Schinderei nicht packe.“ Was sie aber faszinierte und zur großen Berufsentscheidung animierte, war die Gerbung von Fellen, die sie bei ihrem Vater beobachten konnte. 1961 hatte Bartholomäus Lutz junior den väterlichen Betrieb übernommen und sich dabei auch auf die Fellgerbung konzentriert. „Du arbeitest nur ein bissl und schon riecht es anders. Du arbeitest nur ein bissl und schon sieht es anders aus. Das ist gewaltig“, beschreibt Margarete Bader den Zauber, der ihrem Handwerk innewohnt und sagt: „Der Wandel ist einfach faszinierend und alles passiert nur durch dein Wissen und deine Hände. Das ist total schön.“
Der große Wandel
Wasser, Salz, Säure, Gerbstoffe und Proteine spielen bei dem Wandel entscheidende Rollen. Bis zu 100 Mal wird das Fell – egal ob von Marder, Hase, Schaf, Ziege, Fuchs, Reh, Hirsch oder Gams – dabei in die Hand genommen. Mehr als 50 Arbeitsgänge und rund drei Monate liegen zwischen der Anlieferung der Rohware und dem fertigen Fell, das aufgrund der von Margarete Bader praktizierten, schonenden und umweltfreundlichen Produktionsweise ein echtes Naturprodukt ist. Ein Großteil ihrer Aufträge fallen unter den Begriff Lohngerberei, doch präpariert Margarete Bader auch „ihre eigenen“ Felle und verkauft sie im Geschäft, das ein schöner Mosaikstein des kleinen Handwerk-Reiches in Weißenbach ist. „Bevor ich die Felle verkaufe, streichle ich drüber“, sagt sie. In dieser kleinen Geste verdichtet sich der Stolz der Handwerkerin auf ganz wunderbare Weise.
Obwohl der Berufswunsch der Gerbermeistertochter schon früh festgestanden war, musste sie das Handwerk viel zu früh lernen. „1980 ist mein Vater im Alter von 54 Jahren bei einem Arbeitsunfall tödlich verunglückt“, sagt sie. Damals war Margarete Bader 15 Jahre alt und der Tod ihres Vaters stürzte die Familie in einen Albtraum: „Der Betrieb stand still. Mein Vater hatte keine Rezeptur aufgeschrieben. Wir waren fünf minderjährige Mädchen. Meine Mama hatte keinen Führerschein – und das in Weißenbach, jenseits von Gut und Böse.“
Mathilde Lutz konnte die Gerberei zwar als so genannten Witwenfortbetrieb weiterführen, doch musste ein Gerbermeister gefunden werden, der dafür geradestand, auch musste in absehbarer Zeit die Nachfolge geregelt und dafür rasch eine Lehrstelle für Tochter Margarete gefunden werden. In Tirol biss sich die verzweifelte Familie die Zähne aus, doch in Hindelang – im dem Außerfern so nahen Allgäu – fanden sie einen Gerbermeister, der bereit war, das Unternehmen zu erhalten und die junge Tirolerin auszubilden. „Mir hätte nichts Besseres passieren können“, sagt sie rückblickend. Anders als in Tirol oder Österreich gab es in Deutschland eine Gerberschule, die sie automatisch besuchen durfte. Für ihre Könnerschaft brillierte sie bald als Landes- und Bundessiegerin.
1990 konnte Margarete Bader schließlich den Familienbetrieb übernehmen und Ende September 2023 die Geschichte der Familie dem Anlass entsprechend präsentieren und mit überraschend vielen Gästen Großes feiern: 100 Jahre Meisterschaft.