Auf Einladung der Jungen Wirtschaft Innsbruck-Stadt& -Land um Bezirksvorsitzende Lisa Peer (2.v.l.) erörterten Michael Henökl (FPÖ), Shari Kuen (NEOS), Sophia Kircher (ÖVP), Eva Steibl-Egenbauer (SPÖ), Dejan Lukovic (Die Grünen Innsbruck, v.l.) ihre Positionen vor der kommenden EU-Wahl am 9. Juni.
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EU-Zukunftsfragen im Diskurs

Die Junge Wirtschaft Innsbruck-Stadt & -Land  hat die Tiroler Kandidat:innen für die EU-Wahl auf die Bühne gebeten, um den Positionen der Parteien zu den wichtigsten Fragen ein Podium und den Zuschauer:innen tiefe Einblicke zu ermöglichen. Das Bekenntnis zu einer starken EU bildete den Überbau, der Gestaltungswille bei Standort-Themen einen gemeinsamen Nenner.

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Aktualisiert am 03.06.2024

Es brodelt gerade auf vielen Ebenen – nicht nur regional, national oder global – es brodelt auch in der Europäischen Union. Das hat selbstredend auch damit zu tun, dass die EU-Bürger:innen am 9. Juni 2024 aufgefordert sind, ihr neues EU-Parlament zu wählen und damit das Fundament zu schaffen, auf dem die Europäische Union die kommenden und ziemlich herausfordernden fünf Jahre meistert. In den vergangenen fünf Jahren hat WK-Präsidentin Barbara Thaler als Tiroler EU-Abgeordnete in Brüssel und Strassburg nicht nur einen tiefen Einblick in das Projekt Europa gewinnen, sondern auch an einem besseren Europa mitarbeiten können. Das streben Sophia Kircher (ÖVP), Shari Kuen (NEOS), Dejan Lukovic (Grüne) und Eva Streibl-Egenbauer als Kandidat:innen für die EU-Wahl an. Um einen Ein- beziehungsweise Überblick darüber zu ermöglichen, wie die potenziellen Vertreter:innen Tirols im Europäischen Parlament ticken und was sie anstreben, hat die Junge Wirtschaft Innsbruck-Stadt & -Land am 21. Mai 2024 sie zu einer Podiumsdiskussion in den Festsaal der Wirtschaftskammer geladen. Für die FPÖ saß nicht deren Tiroler Kandidat Gerald Hauser am Podium. Die Freiheitlichen Positionen wurden dort vom Landesobmann Freiheitliche Jugend Tirol, Michael Henökl, vertreten.

In den 27 Mitgliedsländern der EU werden im Zuge dieser Wahl 720 Abgeordnete gekürt, 20 österreichische Abgeordnete werden das Land in Brüssel und Strassburg vertreten. Der Meinung, dass diese 20 Abgeordneten möglicherweise wenig Einfluss im EU-Parlament hätten, erteilte der Politikwissenschafter und EU-Experte von der Universität Innsbruck, Andreas Maurer, jüngst im ORF Tirol mit diesen Worten eine Abfuhr: „Was die Österreicher:innen in den Fraktionen erreichen, hängt nicht von der Größe des Staates ab, sondern vom Engagement, politischem Drive, Kenntnissen in der Ausschussarbeit und ihrem Auftreten.“

Chancen nutzen

Bevor diese Eigenschaften bei den Kandidat:innen „abgeklopft“ wurden, stellte WK-Präsidentin Thaler in ihrer Videobotschaft an die Jungunternehmer:innen unter anderem fest beziehungsweise klar: „Der Europäische Binnenmarkt feiert 30 Jahre Erfolgsgeschichte, und wir sehen täglich, wie er unser Leben erleichtert. Doch gerade in Krisenzeiten ist es wichtig, den Binnenmarkt widerstandsfähiger zu machen. Gemeinsam müssen wir bürokratische Hürden abbauen und für einen fairen und sicheren Onlinehandel sorgen.

Die Zukunft Europas liegt auch in der Digitalisierung und im Klimaschutz. Selbstverständlich war ich mit dem, was in Brüssel erarbeitet wird nicht immer einverstanden: Siehe aktuelles Beispiel Lieferkettengesetz. Umso wichtiger ist es für uns Unternehmerinnen und Unternehmer Vertreter nach Brüssel zu entsenden, die an das Projekt Europa glauben, ihre Heimat im Herzen tragen und die Erfolgsstory Binnenmarkt weiterschreiben. Eine ordentliche Portion Hartnäckigkeit und Ausdauer können auch nicht schaden – ich spreche aus Erfahrung, glaubt mir. Gemeinsam können wir die Zukunft Europas gestalten und die Chancen, die uns ein vereintes Europa bietet, nutzen.“

Im Interview („Es ist nicht egal“ auf Seite 22/23) geht Thaler näher auf ihre unternehmerischen Positionen und Forderungen ein, mit denen sich auch die Tiroler Kandidat:innen auseinandersetzen werden, sollten sie am 9. Juni 2024 die Hürden ins EU-Parlament schaffen.

Selbstverständlichkeiten

Spannenderweise lieferte die erste Diskussions-runde gleich einen Einblick in europäische Selbstverständlichkeiten, die aktuell in Frage gestellt werden. Als Moderatorin stellte Lisa Peer, Bezirksvorsitzende Junge Wirtschaft Innsbruck-Stadt & -Land die Frage, welche Erlebnisse oder Erinnerungen die Diskutanten persönlich mit der EU verbinden.

Michael Henökl betonte dabei die Grenzenlosigkeit und Reisefreiheit, die er auf seinen Europatrips genießen konnte. Auch bei NEOS-Kandidatin Shari Kuen poppten sofort Reisen nach Italien auf, bei denen sie je eine Schilling- und eine Lira-Geldbörse haben musste: „Ich kann mich gut an den ersten Urlaub nach Einführung des Euros erinnern, als wir nur eine Geldtasche mithatten.“

Eva Steibl-Egenbauers europäisches Selbstverständnis wurde durch ihren Job im EU-Parlament geprägt, über dessen Arbeit sie sagt: „Es ist schon lässig – da ist die EU ein Vorbild weltweit.“ Sophia Kircher erklärt ihre Verbundenheit mit der EU nicht nur damit, am gleichen Tag geboren worden zu sein, an dem das EU-Parlament in Strassburg grünes Licht für Österreichs Beitritt gegeben hatte – am 4. Mai 1994 war das. Kircher hielt auch fest: „Unsere Generation ist aufgewachsen mit diesem freien und friedlichen Europa. Ich selber habe Praktika in Italien und im Vereinten Königreich als es noch Teil der EU war gemacht und habe sehr viele Freiheiten innerhalb der EU nutzen können. Ich glaube, jetzt stehen wir auf einem Scheideweg, wo es am 9. Juni darum geht, dass wir die EU weitergestalten und nicht jenen überlassen, die sie zerstören wollen. Ich glaube, es ist etwas ganz Zentrales, dass wir unsere Freiheiten und den Frieden verteidigen.“ Die persönliche Geschichte von Dejan Lukovic unterstreicht das, sind seine Eltern doch im Jugoslawienkrieg nach Österreich geflohen und er zeigt sich nachhaltig davon beeindruckt, „wie da aufgefangen worden ist, solidarisch zusammengearbeitet worden ist und geschaut worden ist, diese Personen in die Gesellschaft zu integrieren, in das Sozialsystem zu holen, in die EU.“

Mehr oder weniger

Nachdem Lisa Peer die nächste Runde mit der Frage, ob es in Zukunft mehr oder weniger EU braucht, einleitete, kam FPÖ-Vertreter Henökl kurz in den populistischen Wahlkampfmodus seiner Partei. Den hatte FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky Tags zuvor angeheizt, indem er den Wunsch äußerte, dass der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán EU-Kommissionspräsident werden sollte und Henökl reagierte auf Sophie Kirchers Forderung, die EU nicht jenen zu überlassen, die sie zerstören wollen, wie folgt: „Wer sind denn die Europazerstörer? Europa kann man nur zerstören, wenn man Europa regiert, in der EU regiert – die ist sehr maßgeblich in Europa.“

Davon unbeeindruckt beantwortete Kircher die Frage der JW-Bezirksvorsitzenden, indem sie eine EU mit weniger Bürokratie und mehr Innovation forderte, aber auch eine EU, „die sich anderen großen Fragen widmet – Migration oder Klimawandel kann man nicht als Nationalstaat lösen, auch nicht als Kontinent – da muss die ganze Welt zusammenarbeiten.“

Shari Kuen betonte im Zusammenhang mit den Standortfragen, dass die EU ein Fleckerlteppich aus 27 Staaten sei. „Wir haben viel zu viele unterschiedliche Regelungen, keinen gemeinsamen Kapitalmarkt, keine gemeinsamen Fiskalregeln. Wenn jemand Geld investieren möchte, haben wir kein eigenes Insolvenzrecht. Wir müssen die Ressourcen, die Europa bietet, besser nutzen und auf gemeinsame Aktionen setzen. Wir in Österreich hängen an der EU und damit unser Wohlstand nicht gefährdet wird, unsere Demokratie, muss Europa mehr zusammenwachsen.“

Für Dejan Lukovic ist der Gedanke daran, sich auf den Nationalstaat zurückzuziehen, vollkommen absurd. „Andere Standorte laufen uns jetzt schon davon, obwohl wir in Europa zusammenarbeiten. Wie soll das bitteschön ausschauen, wenn wir zurückgehen auf die Nationalstaaten. Da kann man es gleich sein lassen. Ein mehr Europa ist wichtig, um im globalen Kontext irgendwas mitreden zu können“, ist der Grüne überzeugt und SPÖ-Kandidatin Eva Steibl-Egenbauer meinte: „Wenn man  über Industrie- und Wirtschaftspolitik redet, muss man zuallererst Europa wieder in den Mittelpunkt stellen. Die USA und China ziehen, was das Wirtschaftswachstum anbelangt, an uns vorbei – wir müssen da wieder tätig werden und auch unsere eigenen europäischen Firmen wieder bevorzugen – auch bei Ausschreibungsverfahren.“

Einig sind sich die Kandidat:innen, wenn es um eine Reduktion der Bürokratie geht oder die Forderung, dass das EU-Parlament ein Initiativrecht haben beziehungsweise bekommen sollte, um selbst Gesetzesvorlagen einbringen zu können. Sollten sie den Sprung ins Parlament schaffen, werden sie jedenfalls alle Hände voll zu tun und einige Tiroler Standort-Anliegen im Rucksack haben.