Digitaler Direktexport: Erfolgreiche Tiroler Unternehmen
Tiroler Produkte ins Ausland verkaufen, ohne Handelsvertreter:innen und Vertriebspartner:innen im Exportland? Es gibt Tiroler Firmen, die das erfolgreich umsetzen, beispielsweise Paul & Ernst in Wattens.
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Im Zuge von Reisen durch Lateinamerika und Asien lernten die Schulfreunde Paul Kogelnig und Ernst Stockinger die dortige Street-Food-Kultur kennen. Und sie entdeckten, dass es in Österreich keine vergleichbaren Angebote gab. So entstand die Idee zum Gastro-Bike made in Tirol. Nach einer kurzen Entwicklungszeit war der erste Prototyp eines elektrisch betriebenen Lastenfahrrads für die Gastronomie gefertigt. Als gelernte Tischler legten Kogelnig und Stockinger dabei selbst Hand an. Die ersten Anfragen aus aller Welt ließen nicht lange auf sich warten. So gründeten die beiden im Jahr 2017 ihr Unternehmen und fanden bald im Gründerzentrum Werkstätte Wattens einen geeigneten Platz.
Anfragen aus aller Welt
Doch wie kamen die Gründer auf die Idee, ihre Food Bikes via direktem Digitalexport zu verkaufen? „Das hat sich in der Gründungsphase unseres Unternehmens so ergeben. Soziale Netzwerke wie Instagram und Pinterest waren noch sehr jung und Bilder unserer Bikes haben sich ohne unser Zutun viral verbreitet. Daraufhin bekamen wir viele Anfragen aus aller Welt – vom Sofitel in Kambodscha über den Yachthafen in Kroatien bis hin zum Street-Food-Markt in Dänemark. Auf diesen Erfahrungen haben wir aufgebaut und unser digitales Marketing laufend verbessert“, berichtet Ernst Stockinger.
Der ganze Verkaufsprozess bei Paul&Ernst läuft digital, zu einem großen Teil über soziale Medien. Die Kund:innen können sich ihre Street-Food-Bikes über einen Online-Konfigurator individuell gestalten. Neben der Farbe des Rahmens oder den einzelnen Ausstattungsoptionen, wie Gefriereinheit für Ice-Cream-Bikes, können die Fahrräder mit einer eigenen Folierung individuell gebrandet werden. Zudem können die Bikes mit POS-Systemen, wie einer Registrierkassa, ausgestattet werden.
Erfolgreich trotz Krise
Zu den Kund:innen zählen neben Kleinunternehmern auch große Unternehmen wie MPreis, Spar oder Lego. Bis nach Dubai wurden die
Tiroler Bikes bereits verkauft. Das Geschäft funktioniert, trotzt schwieriger Rahmenbedingungen: „Wir sind seit unserer Gründung jedes Jahr stark gewachsen, auch während der Corona-Krise. Pandemie und Lieferkettenkrise haben unser Wachstum gebremst, wir können trotzdem zufrieden mit den Entwicklungen sein“, sagt Stockinger.
Aktuell arbeiten schon 26 Mitarbeitende in Tirol. Paul&Ernst ist gerade in eine größere Produktionshalle übersiedelt, wo der gesamte Montageprozess vom Lastenrad bis zu den Gastronomieaufsätzen umgesetzt wird.
Wachstum
Allerdings wurde auch klar, „dass laufend wesentlich mehr Aufwand erforderlich wurde, um weiteres Wachstum zu erzielen, da soziale Netzwerke mehr und mehr als Marketingplattformen genutzt werden“, berichtet Stockinger. Der finanzielle Aufwand für bezahlte Werbung und professionelle Content-Erstellung stieg. Dennoch: „Der digitale bzw. passive Direktvertrieb bildet eine solide Basis für unser Unternehmen.“ Um weiteres Wachstum zu erzielen, forciert das Unternehmen zusätzlich den aktiven Direktvertrieb, etwa über Messen.
Was sind die wichtigsten Tipps, welche die Firmengründer anderen KMU für den digitalen Direktexport geben können? „KMU lagern digitales Marketing oft an Agenturen aus und hier besteht das Risiko, dass es sehr teuer werden kann, weil die Ressourcen nicht zielgerichtet eingesetzt werden. Wenn möglich, sollte zumindest die Content-Erstellung im eigenen Unternehmen erfolgen.
Hier ist Qualität viel wichtiger als bezahlte Werbeschaltungen mit mäßigem Inhalt“, sagt Stockinger. Und: „Egal, ob von einer Agentur oder in House – das Wichtigste, um den Marketingprozess zu verbessern, ist das Sammeln von Daten: Von Insta bis zur Auslieferung muss alles getrackt werden, damit die Conversion Rates analysiert werden können.“
Für Nischenprodukte aus Tirol kann der digitale Direktexport ein lohnendes Instrument sein, sagt Unternehmensberater Armin Partl.
Für welche Unternehmen in Tirol ist digitaler Direktexport geeignet? Kann man ihn als Zusatzstrategie versuchen oder muss man das gesamte Exportmarketing umstellen und neu ordnen?
Wenn es ein Nischenprodukt ist, dann ist es unabhängig von der Branche eine moderne Form des Vertriebs. Dies hat Paul&Ernst eindrucksvoll bewiesen. Für wettbewerbsintensive Produkte ist der direkte Digitalvertrieb eine gute Möglichkeit, zu qualifizierten Anfragen zu kommen. Ein Start-up tut sich leichter, da man weniger Berührungsängste hat und die Unternehmenskultur schon sehr digital ist.
Traditionelle Unternehmen – vor allem im Maschinenbau in Tirol – gehen den traditionellen Weg mit eigenen Reisenden und Niederlassungen. Digitaler Direktexport ist eine Zusatzstrategie, für die auch entsprechende Ressourcen und Wissen eingesetzt werden müssen. Wichtig dafür ist, dass die Marketingabteilung eine wesentliche Rolle im Unternehmen hat und auch überproportional groß ist. Bei Paul&Ernst wurde viel standardisiert und digitalisiert. Anfragen werden nach Qualität automatisch sortiert. Kommt eine E-Mail-Anfrage über eine GoogleMail Adresse ist diese weniger Wert als eine E-Mail Anfrage mit Firmenadresse. Mit diesem Ansatz wird das Geschäftsmodell skalierbar und kann auf verschiedene Exportmärkte – ohne großen Mehraufwand – ausgerollt werden.
Wie führt man die Kund:innen dann von der Online-Erstinformation zum Kauf?
Zuerst müssen die „Personas“ definiert werden, früher nannte man dies die Zielgruppe, heute versucht man einen Avatar als Stellvertreter:in zu beschreiben. Es werden das Medienverhalten der Persona und die Customer Journey analysiert, sprich: Es geht um Informa-tionen vor dem Kauf, während des Kaufens und in der Nachkaufphase.
Eröffnen sich durch den digitalen Direktexport Chancen für Tiroler KMU auf neuen Auslands-märkten?
Aktuell sehen wir das Wachstum und die Dynamik am Markt nicht in Europa. Die Welt orientiert sich neu. Märkte wie Indien und Saudi Arabien sind aktuell dynamisch. Hier könnte der Fokus auch für die Tiroler KMU liegen. Diese Länder haben einen sehr hohen Digitalisierungsgrad und eine junge Bevölkerung.