Ceratizit-Vorstandssprecher Andreas Lackner
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Ceratizit: Eindrucksvoller Nachhaltigkeits-Leuchtturm

Ceratizit-Vorstandssprecher Andreas Lackner über den Neubau des Ceratizit-Werkes in Breitenwang im Interview mit der Tiroler Wirtschaft.

Lesedauer: 6 Minuten

Aktualisiert am 12.04.2024

Mit dem Neubau des Ceratizit-Werkes in Breitenwang hat die Plansee Group ein imposantes Zeichen für Standort, Architektur und Nachhaltigkeit gesetzt. Im Februar 2024 wurde der von ATP architekten ingenieure geplante, 220 Meter lange und 82 Meter breite Firmenstandort mit dem Deutschen Designerpreis in der Kategorie „Hervorragende Architektur“ ausgezeichnet. Für das meisterhafte Holzwerk zeichnen die Außerferner Könner:innen von Holzbau Saurer verantwortlich. Im Interview mit der Tiroler Wirtschaft verrät Ceratizit-Vorstandssprecher Andreas Lackner, was sich im Innersten des neuen Werkes tut, wie die Hartmetall-Meister :innen den Weg zur CO2-Neutralität schaffen und welche Rolle die nachfolgenden Generationen beim Erreichen der Ziele spielen. 

Tiroler Wirtschaft: Vor welchen Hintergründen bzw. aufgrund welcher Notwendigkeiten wurde die Entscheidung getroffen, einen neuen Firmenstandort für Ceratizit zu bauen? Wie beschreiben Sie die Genese des neuen Werks?

Andreas Lackner: Am bestehenden Standort stießen wir an unsere Wachstumsgrenzen. Deshalb begannen wir mit der Suche nach einem neuen Grundstück und wurden in unmittelbarer Nähe in der Gemeinde Breitenwang fündig. Die Idee war, den Produktionsfluss sinnvoll aufzuteilen und einen Teil der Wertschöpfung in das neue Produktionsgebäude zu verlagern. Dadurch wurde am bestehenden Standort Platz geschaffen, um mit der Kernfertigung wachsen zu können.

TW: Welche nachhaltigen Ziele wurden der Planung des Baus zugrunde gelegt? Was waren die Parameter, an denen sich die Planer:innen und Architekt:innen orientieren mussten?

Lackner: Ziel war es, das Gebäude möglichst energieeffizient zu errichten. Die Haustechnik sollte durch eine Photovoltaikanlage weitgehend autark betrieben werden können, was uns gelungen ist: Bei ausreichendem Stromangebot aus der Photovoltaikanlage ist eine 100-prozentige Energieautarkie beim Heizen und Kühlen möglich! Durch die Verwendung einer Holzfassade sowie einer Dachkonstruktion aus Holz mit Dachbegrünung konnten darüber hinaus sowohl ein gutes Raumklima für die Mitarbeiter als auch ein ansprechendes Gebäude geschaffen werden.

TW: Können Sie die Energieautarkie näher beschreiben?

Lackner: Eine nachhaltigere Lösung zur Kühlung konnte durch die Nutzung des Wassers eines nahe gelegenen Baches, der „Ritsche“, realisiert werden. Bei kühleren Temperaturen wird die Abwärme der Anlagen zur Beheizung des Gebäudes genutzt. Die Bepflanzung trägt zur Verbesserung des Mikroklimas bei, indem sie die Umgebungstemperatur senkt und die Bildung von Wärmeinseln verhindert. Dies sorgt für ein optimales Raumklima und reduziert den Energiebedarf für die Klimatisierung. 

TW: Dass das stattliche Gebäude ein „Holzhaus“ ist, weckt Neugier in den Augen der Betrachter:innen. War die Entscheidung für den Roh- bzw. Baustoff Holz angesichts der großen Kubaturen eine mutige oder ist das anfängliche Staunen mehr der Unwissenheit gegenüber der Vielfältigkeit „von Holz“ geschuldet?

Lackner: Letzteres ist der Fall. Zum einen ist Holz sehr nachhaltig. Das Holz, das für ein Gebäude verwendet wird, wächst in Österreich innerhalb von einer Stunde und 25 Minuten nach! Holz ist auch ein kostengünstiger Baustoff. Außerdem wertet Holz das Gebäude optisch auf und schafft ein angenehmes Raumklima für die Nutzer:innen.


Der Neubau des Ceratizit-Werkes in Breitenwang
© Ceratizit Der Neubau des Ceratizit-Werkes in Breitenwang: Bei kühleren Temperaturen wird die Abwärme der Anlagen zur Beheizung des Gebäudes genutzt.

TW: Bis 2025 will Ceratizit den Weg zur CO 2-Neutralität vollzogen haben. Welche Schritte sind dafür entscheidend und wie wurden/werden sie gesetzt?

Lackner: Der erste wichtige Schritt war die Umstellung auf Ökostrom aus nachhaltigen Quellen, die wir Anfang 2023 abgeschlossen haben. Das reicht aber noch nicht aus, um unsere Emissionen bis 2025 wie geplant um 35 % gegenüber dem Basisjahr 2020 zu senken. Deshalb treiben wir auch die Umstellung unserer Lieferketten weiter voran, um insbesondere unsere Emissionen im Rohstoffbereich zu reduzieren. Im Fokus steht dabei unser Standort Towanda in den USA, der aufgrund seines hohen Chemikalienverbrauchs für einen Großteil unseres verbleibenden Fußabdrucks verantwortlich ist. Dort haben wir kürzlich ein sehr ambitioniertes Projekt gestartet, das sich in den nächsten Jahren mit der Umsetzung der CO2-Reduzierung beschäftigen wird. Darüber hinaus arbeiten wir daran, die Emissionen aus dem Pendelverkehr unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu reduzieren, die einen erheblichen Teil unserer Emissionen ausmachen.

TW: Profitieren von diesen Anstrengungen auch ihre Kund:innen? 

Lackner: Ja. Wir bieten unseren Kund:innen nicht nur detaillierte Informationen über den CO 2-Fuß- abdruck unserer Produkte, den sogenannten PCF (Product Carbon Footprint). Mit diesen Informationen können die Kund:innen ihren eigenen CO2- Fußabdruck genauer berechnen, was die Grundlage für die Umsetzung von Einsparzielen ist. Darüber hinaus bieten wir spezielle Produkte auf Basis besonders nachhaltiger Recyclingverfahren an, die die Leistungsfähigkeit unserer Premiumprodukte mit einem besonders niedrigen CO2-Fuß- abdruck verbinden. Damit sind wir bereits heute Vorreiter in der Branche.

TW: Noch ehrgeiziger wirkt das Ziel „Net Zero“ bis 2040. Welche Hürden sind dabei – entlang der Wertschöpfungskette – am schwierigsten zu nehmen?

Lackner: Die Versorgung mit unseren wichtigsten Rohstoffen Wolfram und Kobalt ist sicherlich das geringste Problem, hier sind wir auf einem sehr guten Weg. Schon heute beziehen wir über 80 % unseres Wolframs aus dem Recycling, und bis 2030 wollen wir den Anteil der in der Hartmetallkette verbleibenden Rohstoffe auf über 95 Prozent steigern. Bei Kobalt können wir uns übrigens schon heute zu 100 % durch Recycling versorgen.

TW: Was sind die größten Herausforderungen?

Lackner: Eine Herausforderung wird sicherlich die Umstellung der Abläufe in Towanda sein, wo wir heute noch sehr viele Prozesse mit Erdgas betreiben. Das gilt auch für die Herstellung des Wasserstoffs, der für die Reduktion des Wolframoxids benötigt wird. Hier müssen wir in den nächsten Jahren weltweit auf grünen Wasserstoff umstellen, der durch Elektrolyse mit grünem Strom erzeugt wird. In Reutte haben die Bauarbeiten beispielsweise bereits begonnen, um ab 2025 einen Teil der Wasserstoffversorgung für Plansee und Ceratizit nachhaltig sicherstellen zu können. Aber letztlich sind das alles Probleme, die wir selbst lösen können. Schwieriger könnte es beim Thema Scope-3-Emissionen werden, also den Emissionen, die in der vor- und nachgelagerten Lieferkette entstehen. Wir können zwar im Einkauf entsprechende Vorgaben machen und mit unseren Lieferant:innen sprechen, wir sind aber auch ein Stück weit davon abhängig, wie sich das Angebot an nachhaltigen Produkten in den nächsten Jahren entwickelt. Da sich die Industrie insgesamt zu mehr Nachhaltigkeit entwickeln muss, könnte sich dieses Problem bis 2040 von selbst lösen.

TW: Die Entwicklung von Ceratizit ist ziemlich beeindruckend. Wie ist die aktuelle Stimmung in der Hartmetall-Welt und welche Ziele haben Sie sich vor diesen Hintergründen für die kommenden Jahre gesteckt?

Lackner: Sie ist gemischt. Einige Branchen, wie zum Beispiel das Baugewerbe, befinden sich derzeit in einer Flaute. Andere, wie beispielsweise die Luft- und Raumfahrtindustrie, entwickeln sich dagegen recht gut. Insgesamt gab es im vergangenen Jahr jedoch kein großes Wachstum. Die Welt ist seit 2020 von einer Krise in die nächste geschlittert. Eine Pandemie, Kriege, unterbrochene Lieferketten, Inflation – um nur die wichtigsten zu nennen. Das alles ist für die wirtschaftliche Entwicklung nicht förderlich. Hinzu kommt, dass

sich der Klimawandel immer deutlicher bemerkbar macht. Dabei geht es nicht nur um zusätzliche Kosten durch extreme Wetterereignisse. Wenn wir unseren Kindern und Enkelkindern eine lebenswerte Welt hinterlassen wollen, müssen wir auch massiv in die Umstellung industrieller Prozesse investieren, um sie nachhaltiger und damit zukunftsfähig zu machen.

TW: Bietet das Thema Nachhaltigkeit auch eine Chance, sich als Unternehmen zu positionieren?

Lackner: Unbedingt. Dazu ist es jedoch notwendig, den gesetzlichen Rahmenbedingungen in diesem Bereich einen Schritt voraus zu sein. Wer sich beim Thema Nachhaltigkeit profilieren kann, wird in den kommenden Jahren davon profitieren, auch wenn es zunächst Geld kostet. Denn die Nachhaltigkeit eines Produktes wird zu einem entscheidenden Kaufkriterium werden. Deshalb sehen wir es als unsere Mission an, die Hartmetall- und Präzisionswerkzeugindustrie nachhaltiger zu gestalten. Nicht nur mit Blick auf die nachfolgenden Generationen. Sie ist auch entscheidend, um als westliches Unternehmen erfolgreich zu bleiben und sich insbesondere gegen die wachsende Konkurrenz aus Asien behaupten zu können. Dies ist die Voraussetzung, um in den nächsten Jahren das selbst gesteckte Ziel zu erreichen, zu den Top 3 der Hartmetallindustrie zu gehören.

Weitere Infos: Ceratizit