Bunte Wirtschaft, starke Geschichten
Vielfalt und Leistung: Über 21 % der Tiroler Unternehmer:innen stammen ursprünglich nicht aus Österreich. „Leistung ist universell“, beschreibt WK-Präsidentin Barbara Thaler den roten Faden, der alle Unternehmer:innen – egal welcher Nationalität – verbindet. Die Geschichten von Lizette Zöschg (Südafrika), Salah Sokar (Syrien) und Benoit Caillaud (Frankreich) zeigen, wie kraftvoll sie die Vielfalt des Wirtschaftsstandortes bereichern.
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„Fleiß und Leidenschaft entscheiden, ob man erfolgreich ist oder nicht“, sagt Lizette Zöschg. Sie muss es wissen, wirkt die 60-Jährige doch wie die personifizierte Kombination dieser beiden Ur-Energiequellen positiven Unternehmertums. In ihrem Fall werden sie auch noch mit herzhaftem Humor, ausgesuchtem Geschmack und einer ganz besonderen Brise Intelligenz ergänzt, in deren Genuss all jene kommen, die das Café
Lizette in Hall besuchen. Viele Besucher:innen sind es. Viele von ihnen kommen wieder und sie schwärmen mit zahlreichen Sternen auf allen möglichen Online-Rezensions-Plattformen über Lizettes Café – und sie. „Ganz entzückendes kleines Frühstückslokal. Das Frühstück wird mit sehr viel Liebe angerichtet und Frau Lizette bedient mit sehr viel Freude und Humor“, lässt da ein oder eine Brownie wissen. „5 Sterne sind zu wenig! Absolut perfekte Location, super gutes Frühstück, bester Service, alles top“, überschlägt sich ein Markus fast beim Schreiben und eine Beate hält fest: „Sehr gemütliches Café, welches Dank seiner bezaubernden, lustigen Wirtin einen den Alltag vergessen lässt und in dem man sich rundum wohlfühlt. Wie ein Urlaubstag zu Hause! Ich freue mich auf das nächste Mal!“
In dem Takt beziehungsweise dieser Tonart geht’s online weiter und dass Lizette Zöschg sich in ihren vier Café-Wänden am steilen Langen Graben in der Haller Altstadt darüber freut, versteht sich von selbst. Auch, weil nichts davon selbstverständlich ist. „Die Leute bewerten mich immer so gut. Ich habe es mit meinem kleinen Café geschafft, dass sie von überall her zu mir kommen“, sagt sie, lacht so herzhaft wie einladend und betont: „Ich bin ein Menschenmensch und liebe es, zu kochen, zu backen und die Leute zu verwöhnen.“
Im Alter von 50 Jahren hat sich die vierfache Mutter dazu entschlossen, Menschenliebe und Mama-Eigenschaften mit der ihr ureigenen Gastgeber:innen-Freude zu vereinen und im Café Lizette auch ein schönes Stück jener Lebensfreude zu konzentrieren, die in ihrem Heimatland Alltag sind. Lizette Zöschg ist in der südafrikanischen Millionenmetropole Kapstadt aufgewachsen. Dass sie den „Hausberg“ ihrer ersten zwei Lebensjahrzehnte – den die Hafenstadt dominierenden Tafelberg – mit dem 13.000 Kilometer entfernt in die Höhe ragenden Karwendelmassiv „tauschte“, liegt an der Liebe. „Ja, ich bin vor 39 Jahren durch die Romantik nach Hall gekommen“, erzählt sie.
Knapp zwei Jahre zuvor hatte die damals 19-jährige Linguistik- und Soziologiestudentin im Rahmen einer Europareise auch Hall in Tirol besucht, wo sie von einem jungen Mann angesprochen wurde. „Manfred hat damals in Johannesburg gearbeitet und war selbst auf Heimaturlaub in Hall“, berichtet sie vom schicksalhaft anmutenden Zufall, der die Leben der beiden ziemlich schnell in eine gemeinsame Richtung laufen ließ. Sie verliebten sich, trafen sich in Südafrika und beschlossen bald, nach Hall zu ziehen, wo in der jungen Frau recht früh der Traum von einem eigenen Lokal zu keimen begann.
Der Mutausbruch
Dieser Traum wuchs parallel zu den vier Kindern, der Kabarett-Karriere ihres Mannes Manfred Zöschg als Luis aus Südtirol und nachdem ihr Schwager Helmut Zöschg den Entschluss gefasst hatte, sein Café am Langen Graben in Hall weiterzugeben, sagte sie: „Das wäre was für mich.“
Damit hatte sie recht, denn das war und das ist es auch. Seit 2016 ist das Café Lizette ein kleiner kulinarischer Rundum-Wohlfühl-Platz, dessen Türen früher auch am Abend offen waren, der sich dann aber zum reinen Frühstückscafé entwickelte. „Die Leute gehen am Abend kaum noch weg“, weiß auch Lizette Zöschg von einer gesunkenen Ausgeh-Laune der Tiroler:innen zu berichten - und sie sagt: „Seit ich in Tirol bin, wünsche ich mir, dass die Menschen in ihren Heimatstädten das tun, was sie in Lazise oder sonst wo im Urlaub tun. Da trinken sie fünf Mal am Tag einen Aperetivo, besuchen jede kleine Boutique und jedes kleine Ladele, gehen überall rein und genießen. Daheim tun sich nichts von dem.
Weil der Vormittag offenkundig der Zeitrahmen ist, an dem sich die Menschen nach wie vor gerne treffen, um zu plaudern oder gemeinsam zu genießen, boomen die Frühstückscafés. Davon ist Lizette Zöschg jedenfalls überzeugt und in ihrem Frühstückscafé antwortet sie auf dieses Phänomen mit allerlei Selbstgemachtem, von Brot über Aufstriche hin zu Süßem und immer wieder auch Exotischem. Nächstes Jahr wird Lizette Zöschg in Pension gehen und sie hofft, eine junge Nachfolgerin oder einen jungen Nachfolger zu finden, die oder der sich etwas Schönes aufbauen will und dafür die Leidenschaft mitbringt. Zusammen mit dem Fleiß ist der ja, wie die gebürtige Südafrikanerin eingangs erwähnte, entscheidend für den Erfolg eines Unternehmens.
Ziemlich bunt
Als Basis gilt das ganz allgemein und für alle, die selbst etwas unternehmen wollen. „Leistung ist universell“, hält Barbara Thaler, Präsidentin der WK Tirol, in ihrem Kommentar (Seite 39) fest, in dem sie besonders auch auf Menschen hinweist, die nach Tirol gezogen sind, hier von vorne begonnen und sich ein neues Leben aufgebaut haben. 29.540 Mitglieder der Tiroler Wirtschaftskammer geben unter der Rubrik Nationalität „Österreich“ an. 7.744 Unternehmer:innen (21,01 %) des Landes nennen 95 andere Nationalitäten, womit der Standort ziemlich global wird – und seine Wirtschaft ziemlich bunt.
Die nach Nationalitäten gereihte Mitgliederstatistik wirkt wie ein spannendes Konzentrat unternehmerischer Vielfalt. Dass die Tirol am nächsten liegenden Länder darin hervorstechen – Deutschland beispielsweise mit 2.182 WK-Mitgliedern oder Italien mit 509 – scheint naheliegend, wobei die Logik der Länder-Entfernungen nicht unbedingt treffsicher für die Zahl der Mitglieder ist
Der über 7.600 Kilometer entfernte Inselstaat Malediven wird bei einem Tiroler Unternehmen als Nationalität genannt, das rund 12.000 Kilometer entfernte Argentinien bei vier, Brasilien bei 14, Australien bei 18, Neuseeland bei sechs, Japan bei 12 und die USA bei 33. 217 sind’s aus den Niederlanden, 30 aus Irland, 2 aus Island, 12 aus Lettland und 16 aus Thailand.
Neues Leben
Die Liste regt dazu an, den Globus zu studieren, ihn um seine Achse zu drehen und über die Länder zu lesen, aus denen jene Menschen stammen, die nach Tirol gezogen sind – nicht nur, um hier zu leben, sondern um selbstständig am neuen Leben zu basteln und mit einem eigenen Unternehmen erfolgreich zu sein.
Wer bei dieser kleinen Weltreise in Syrien landet, dem oder der zieht sich unweigerlich das Herz zusammen. Seit 13 Jahren tobt ein unfassbar brutaler Krieg in dem Land, das halb so groß ist wie Deutschland, an Israel, den Libanon, die Türkei, Irak und Jordanien grenzt und einen Zugang zum Mittelmeer hat. Bevor das Regime des syrischen Herrschers Baschar al-Assad mit aller Härte auf friedliche Massenproteste reagierte, bei denen Oppositionelle seinen Rücktritt, Reformen und Freiheit gefordert hatten, war Syrien ein beliebtes Touristenziel gewesen. Die abwechslungsreichen Landschaften und die reiche Geschichte des Landes – Syriens Hauptstadt Damaskus ist schließlich eine der ältesten kontinuierlich bewohnten Städte der Welt – hatten Reisende gereizt bis es undenkbar wurde, das Land zu besuchen. Der Bürgerkrieg wurde wegen der unterschiedlichen Macht- und Konfliktparteien immer komplizierter, hunderttausende Menschen sind gestorben, vor Ort herrscht eine der größten humanitären Krisen der Gegenwart und mehr als 5,6 Millionen Menschen sind geflohen.
Aus dem knapp 2.600 Kilometer von Tirol entfernten und in weiten Teilen zerstörten Land stammen 69 Tiroler Unternehmer:innen. Ihre Geschichten sind Fluchtgeschichten, wie jene von Salah Sokar, der 2018 im Tiroler Oberland ein Taxiunternehmen gegründet hat. „Ich bin Ende 2014, Anfang 2015 aus Syrien geflohen und zum Glück in Tirol gelandet“, sagt der 42-Jährige. Auch in Syrien war er selbstständig gewesen, hatte ein Haus gebaut, alles war gut. „Wir haben nicht einmal fünf Monate in dem Haus gewohnt, dann hat es eine Rakete getroffen und zerstört. Mein Sohn ist gestorben“, berichtet Sokar von seinem Albtraum. Eine Verletzung am Bein hatte bei ihm dazu geführt, dass er 21 Mal operiert werden musste, doch erzählt er lieber von seinem Neustart nach der Flucht, die ihn über Traiskirchen nach Pians und schließlich nach Landeck führte.
Selbstständig durchgestartet
In der Zeit, in der Sokar auf den Aufenthaltstitel wartete, durfte er nicht arbeiten. „Dann habe ich eine Wohnung in Landeck gefunden und als Taxifahrer gearbeitet“, sagt er. Es muss eine Art Freiheits- oder Schaffensdrang sein, der Selbstständige antreibt und Anstellungsverhältnisse für sie unbefriedigend macht. Auch bei dem neuen Tiroler Oberländer war das so, jedenfalls bemühte er sich rasch darum, ein eigenes Unternehmen zu gründen.
Im September 2018 war es so weit. „Das Taxiunternehmen zu gründen, ist ganz leicht gegangen. Das war super. Schwerer war es, das erste Fahrzeug zu finanzieren“, blickt Sokar knapp sechs Jahre zurück – und erzählt: „So ein Kleinbus oder Minivan kostet zwischen 70.000 und 80.000 Euro. Eine Bank kann das einem Flüchtling nicht einfach so finanzieren.“ Das für den Kredit geforderte Eigenkapital brachte er jedoch mit Hilfe von Kollegen zusammen und so konnte er loslegen beziehungsweise mit seinem Flow-Taxi durchstarten: „Ich habe nicht nur in Landeck, sondern auch in St. Anton gegründet. In St. Christoph hat mich Herr Werner vom Hospiz unterstützt, das war sehr wichtig.“
Nach wie vor betreibt er die beiden Standorte, im Winter zwischenzeitlich schon mit vier Fahrzeugen und hat, wie er betont, „Pläne ohne Ende“. Auf dem Baugrund, den der junge Familienvater gekauft hat, möchte er eine Tiefgarage für seine Fahrzeuge und oben auf ein Haus für seine Familie bauen. „Ich arbeite jeden Tag 15 bis 16 Stunden, damit wir eine bessere Zukunft für unsere Kinder haben“, sagt der dynamische Unternehmer, der seine Kund:innen überall abholt und überall hinbringt und festhält:„Ich bin sehr zufrieden.“
Snowboards neu gedacht
Gut möglich, dass Salah Sokar auf seinen winterlichen Flow Taxi-Fahrten auch schon Gäste transportiert hat, die ihm stolz ihr einzigartiges Snowboard anvertraut haben, ihr Board aus der „Bäckerei“ Benoit Caillauds. Ja, richtig gelesen. Benoit Caillaud backt in seiner hochmodernen Werkstatt in Ampass prächtige Wintersportgeräte – und das auf eine Weise und in einer Form, die gleich in mehrfacher Hinsicht einzigartig ist. „Jedes Board ist ein Unikat, nach den Bedürfnissen der Snowboarderinnen und Snowboarder geformt, mit natürlichen Materialien handgefertigt und individuell designt“, bringt Caillaud den USP seines Unternehmens Baguette Boards mit ein paar Worten auf den Punkt. Doch es versteht sich fast von selbst, dass hinter diesen Worten mehr steckt, viel mehr. Der 38-jährige Franzose hat eine recht schillernde Unternehmensgeschichte zu erzählen, die gespickt ist mit bahnbrechendem Material-Know-how, rastlosem Wissensdurst, geschickt für diesen Zweck genutzter Luft- und Raumfahrttechnologie und einer Schneesport-Leidenschaft, die den Bogen zwischen Geistesblitz, Gegenwart und Zukunft spannt.
Baguette Boards ist eines von 42 Tiroler Unternehmen mit französischem Hintergrund. Frankreich ist groß, hat unglaublich beeindruckende Meerlandschaften zu bieten, tolle Flüsse, bezaubernde Landstriche – und prächtige Berge. Am Fuße der Savoyer Alpen, in Chambery, entstand die Idee, der aufs ferne Ausland konzentrierten Snowboard-Massenproduktion ein Schnippchen zu schlagen – mit Boards, die dort produziert werden, wo sie ihre Fahrer:innen über den Schnee gleiten lassen. Eine schöne Idee.
2006 wurde Chambery zur Alpenstadt des Jahres gekürt und exakt in diesem Jahr haben Benoit Caillaud und zwei seiner nicht minder von der Snowboard-Leidenschaft getriebenen Freunde nicht nur davon geträumt, die Snowboardproduktion nachhaltig und regional zu gestalten, sondern davon, eine Snowboardmarke zu erschaffen, bei der jede Form möglich, einzigartig und anders sein kann. „Ich habe dann Maschinenbau und Materialwissenschaften studiert und kam 2008 zum ersten Mal nach Österreich, um in einem Ingenieurbüro zu arbeiten“, erzählt Caillaud, den es schon bald nach Tirol zog, nachdem er das Jobangebot eines auf Flugzeugteile spezialisierten Unternehmers angenommen hatte. Das Leben und Snowboarden in Tirol lernte er rasch lieben: „Da wurde mir klar, dass ich meinen Traum hier erfüllen musste.“
Doktor Snowboard
Seine Lieblingssportart und sein Sportgerät durch die Brille des Ingenieurs zu betrachten, Problemstellungen technisch zu beantworten und über eine Produktionsweise nachzudenken, die nicht nur die natürlichen Materialien, sondern auch den Unikats-Anspruch erfüllt, wurde ab 2010 zu seiner Priorität. „Ein guter Freund von mir ist in einer Lawine gestorben, da dachte ich, ich muss das jetzt machen, vielleicht ist es morgen zu spät“, beschreibt er den traurigen wenngleich entscheidenden Kick.
Die erste Werkstatt fand Caillaud 2011, doch weil sie im Wohngebiet lag, war es schwierig, dort ein Unternehmen anzumelden oder aufzubauen.
Leistung verbindet
Die Wirtschaftskammer Tirol hat es sich zum Ziel gesetzt, dem Thema Leistung wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Unter dem Titel „Panoptikum der Leistung“ wird aufgezeigt, wie sich die Leistungsbereitschaft in einer zunehmend wohlhabenderen Gesellschaft verändert hat und wie die „Work-Life-Balance“ mehr und mehr zum Gegenspieler wurde.
Eines muss uns bewusst sein: „Ohne jene Menschen, die Tag für Tag bereit sind, mehr zu tun, wäre unsere Gesellschaft nicht annähernd so stark und lebendig, wie wir sie heute erleben.“
Genau solche Menschen gibt es in Tirol zum Glück mehr als genug. Dazu zählen unsere Unternehmerinnen und Unternehmer, die es trotz schwierigsten Bedingungen und unsicheren Zeiten immer wieder schaffen, mit viel Einsatz und Herzblut, auf Kurs zu bleiben, niemals aufzugeben und sich weiterzuentwickeln. Wir sprechen hier auch von vielen Wirtschaftstreibenden mit Migrationshintergrund, die mit ihrer Eigenverantwortung und ihrem Tatendrang einen wertvollen Beitrag zum Erhalt unseres Wohlstands leisten. Es zeugt von Durchhaltevermögen und Fleiß, in einem anderen Land mit fremder Sprache einen funktionierenden Betrieb aufzubauen und nachhaltig zu wirtschaften. Einige engagieren sich darüber hinaus auch noch als Funktionär:innen in unterschiedlichen Fachgruppen der Wirtschaftskammer und wollen so die Zukunft der Tiroler Wirtschaft aktiv mitgestalten.
Die Geschichten der Tiroler Unternehmerinnen und Unternehmer mögen verschieden sein. Darunter Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, die Betriebe gegründet oder weitergeführt haben. Es sind aber auch Menschen, die nach Tirol gezogen sind, die von vorne begonnen und sich ein neues Leben aufgebaut haben. Alle zusammen vereint aber die Tugend, mehr leisten zu wollen und das Bekenntnis zur Eigenverantwortung.
Als Präsidentin der Wirtschaftskammer Tirol erfühlt es mich daher mit großem Stolz, das Sprachrohr eines so vielfältigen und offenen Wirtschaftsstandortes zu sein. „Denn Leistung ist universell. Sie ist bunt & mehrsprachig!“