Besserkönnen statt Besserwissen
KI verändert die Bildungs- und Berufswelt. Die theoretischen Auswirkungen sind weitgehend bekannt. Die große Herausforderung liegt darin, dass Schulen und Firmen die nötige Transformation rasch und konsequent in die Praxis umsetzen.
Lesedauer: 5 Minuten
Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) verändern die Welt in rasanter Geschwindigkeit. Seit 2 Jahren ist beispielsweise das Tool ChatGPT für alle verfügbar – und wird auch intensiv genutzt, sowohl beruflich als auch privat. Neue Technologien und das Aufkommen Künstlicher Intelligenz stellen vor allem das Bildungssystem vor Herausorderungen. Die Geschwindigkeit des Wandels beeinflusst nicht nur die Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte, sondern erfordert auch von den aktuell bereits Lehrenden neue, digitale Kompetenzen. Für Pädagog:innen gibt es bereits konkrete Ausbil-dungsformate: Neben dem bestehenden berufsbildenden Lehramtstudium „Information und Kom-munikation – Angewandte Digitalisierung“ wird seit Herbst der Hochschullehrgang „Künstliche Intelligenz im IT-Unterricht der Berufsbildung“ unterrichtet.
Hier gibt es also Bewegung im Bildungssystem. Doch es bleiben Fragen: Reichen diese Impulse aus, um das gesamte Bildungssystem für diese neuen Herausforderungen zukunftsfit zu machen? Wie kann der bestehende Unterricht an die neuen Gegebenheiten angepasst werden und wie kann es gelingen, angesichts der digitalen Unterstützungen sinnvolle Bewertungsmethoden anzuwenden? Wir haben diese und weitere Fragen den-jenigen gestellt, die es wissen müssen: Gerlinde Schwabl und Patrick Pallhuber entwickeln gerade den oben genannten KI-Hochschullehrgang und sind intensiv mit der Materie betraut – die Antworten finden sich im Doppelinterview.
KI und Betriebe
Parallel dazu kommen auch auf die Betriebe neue Herausforderungen zu. Die zentralen Fragen in diesem Zusammenhang lauten: Welche neuen Kompetenzen bringen junge, in der KI-Welt aufgewachsene Mitarbeiter:innen mit? Welche Risiken entstehen für die Betriebe dadurch – und welche neuen Chancen lassen sich nutzen? Der Leiter des Bildungsconsultings der Wirtschaftskammer Tirol, Wolfgang Sparer, sieht in der Integration von digitalen Tools und KI eine klare Chefsache: „Das Erkennen von IT-Kompetenzen im Personal ist Aufgabe der Unternehmensführung.“ Auch wenn das in größeren Unternehmen nicht das Management selbst macht – es muss den Rahmen dafür setzen, dass Digitalisierung und KI genutzt werden. „Künstliche Intelligenz muss als Werkzeug eingesetzt werden, es ist mächtig und präzise. KI als neues Instrument ist vergleichbar damit, dass früher mit dem Schraubenzieher gearbeitet werden musste – aber der Akkuschrauber zu einer wesentlichen Entlastung der Mitarbeiter:innen bei gleichzeitig höherer Produktivität geführt hat. Mit dem neuen Tool, der KI, ist es ganz ähnlich: Jetzt kann man das Besserwissen ruhig ablegen und sich auf das Besserkönnen konzentrieren“, ist Wolfgang Sparer überzeugt.
KI und neue Kompetenzen
Das schafft neue Spielräume: In Zukunft werden Innovationen, praktisches Umsetzen sowie das Er-kennen und Annehmen von Herausforderungen wichtiger. Moderne Betriebe müssen daher das Potenzial der Mitarbeiter:innen auf IT-Kompetenzen scannen und Schritt für Schritt ausbauen. Offenheit für neue Technologien heißt aber nicht, eigenen Werte zu verleugnen, im Gegenteil: Sie können im Wettbewerb noch entscheidend werden. Digitalisierung im umfassenden Sinn trägt vor allem dazu bei, Bremsen zu lösen. Dazu gehören bürokratische Erfordernisse, die durch digitale Instrumente radikal abgebaut werden können. „Das Bildungsconsulting hat praktische Erfahrung mit der Entwicklung innovativer Software, die Prozesse zehn Mal so schnell macht, und gibt dieses Wissen gerne an Tiroler Unternehmen weiter“, betont Wolfgang Sparer. Die Nutzung der Vorteile digitaler Methoden gehört zur Agilität, die Betriebe in Zeiten großer Veränderungen an den Tag legen müssen. „Wenn es um die agile Weiterentwicklung der Kompetenzen von Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter geht, ist das die klare Aufgabe der Perso-nalentwicklung - das Bildungsconsulting steht mit seinem Know-how als zentraler Partner für Tiroler Unternehmen zur Verfügung“, betont Sparer.
Komplexe Zusammenhänge bewältigen
Gerlinde Schwabl und Patrick Pallhuber befassen sich als Dozierende am Institut fürBerufspädagogik der Pädagogische Tirol (PHT) intensiv mit den Herausforderungen von KI und Berufsbildung.
Die digitale Revolution hat das Arbeits- und Alltagsleben stark verändert. Wie geht die Berufsbildung mit diesem schnellen Wandel um, vor allem in der Lehrplanentwicklung?
Dieser Wandel stellt die Berufsbildung, also die berufsbildenden Schulen, vor drei zentrale Aufgaben: Lehrer:innen müssen sich Wissen über KI etc. aneignen, sie müssen verstehen, wie Technologien in der wirtschaftlichen Praxis eingesetzt werden und sie müssen diese Erkenntnisse im Unterricht gut vermitteln. Dieses Spannungsfeld macht die Entwicklung von Lehrpersonal ebenso komplex wie jene der Lehrpläne. Die Verankerung von KI in Curri-cula findet aber bereits statt, z.B. an kaufmän-nischen Schulen.
Sind die Schulen bereits für den Umgang mit KI gerüstet?
Schulen haben erste Schritte unternommen, um KI zu integrieren, aber sie stehen noch am Anfang. Umfassende Konzepte und Leitlinien für den Umgang mit KI sowie klare Rahmenbedingungen sind für die Integration zentral. An der PH Tirol unterstützen wir diese Prozesse aktiv – über Fortbildungen, Schulentwicklung etc. Ein wesentlicher Hemmschuh sind aber auch die Kosten für geeignete, datenschutzkonforme KI-Tools an den Schulen.
KI in den Unterricht zu integrieren ist ein Teil der Herausforderung. Der andere Teil liegt darin, die Prüfungsmethoden an diese neue Situation anzupassen. Wie können in Zukunft Bewertungs- methoden aussehen?
Prüfungsformate werden in Zukunft grundsätzlich Lernprozesse in den Mittelpunkt stellen. Man wird eher bewerten müssen: wie war denn der Weg zum Ziel. Und nicht das Ziel. Und wenn die KI beim Beschreiten des Weges zum Ein-satz kommt, weil das in der Wirtschaft bereits passiert, dann muss man auch die Art des Einsatzes bewerten und benoten. Solche Ansätze fördern Kompetenzen, die auch in der Wirtschaft gefragt sind – kritisches Denken, reflexive, konstruktive Problemlösungsfähigkeiten beispielsweise.
Der selbstverständliche Umgang mit KI ist das eine – die kritische Bewertung das andere. Wie beurteilen Sie die Medien- und Informationskompetenz unter jungen Menschen heute?
Obwohl junge Menschen in einer digitalen Welt aufwachsen, zeigt sich ein Mangel an kritisch-reflexiver Medien- und Informationskompetenz. Sie können digitale Tools zwar nutzen, haben aber Schwierigkeiten, Informationen einzuordnen, Quellen zu bewerten etc. Studien wie jene der IEA belegen, dass Österreich hier Nachholbedarf hat. Diese Defizite beeinträchtigen auch den Umgang mit KI und erfordern gezielte Förderung im Bildungssystem, um kritisches Denken zu stärken.
Wie verändern sich die Kompetenzen von Schüler:innen, die in der KI-Welt aufwachsen gegenüber früheren Schulabgänger:innen?
Schulabgänger:innen benötigen heute stark vernetzte Denkweisen und müssen komplexe Zusammenhänge bewältigen. Technologien sind zunehmend in Alltags- und Berufssituationen eingebunden. Früher war der technologische Druck geringer, und der unreflektierte Umgang mit KI birgt Risiken. Absolvent:innen müssen also nicht nur technologische Fertigkeiten entwickeln, sondern auch Soft Skills, oder 21st Century Skills, um zu bestehen.
Welche Angebote im Bereich KI gibt es derzeit in Tirol?
In Tirol gibt es eine Vielzahl an Angeboten zur KI-Weiterbildung, sowohl von Hochschulen als auch von privaten Anbietern. Für Berufsbildner:innen kommt es darauf an, methodisch-didaktisches Wissen, berufsspezifisches Fachwissen und allgemeine KI-Kompetenzen zu verbinden. Dieses „Gesamtpaket“ ist kaum zu finden. Hier sehen wir durchaus Entwicklungsbedarf. Sie beide sind die Speerspitze bei der Befassung mit KI im Aus- und Weiter-bildungsbereich. Wie können Ihre Er-kenntnisse möglichst schnell in die breite Anwendung kommen? Anders gefragt: Welches „Update“ brauchen
(Berufs-)Schulen jetzt dringend?
Danke für das Kompliment! Neben den bereits erwähnten strukturellen Bedarfen sehen wir einige Möglichkeiten: Eine wichtige Unterstützung könnten KI-Buddies sein, die Lehrkräfte bei der Integration von KI in den Unterricht begleiten und beraten. Auch niederschwellige Angebote wie Experimentierräume oder Hands-on-Workshops können helfen, praktische Lösungen zu entwickeln. Spezifisch ausgebildete Lehrpersonen könnten an Schulen als Multiplikator:innen wirken, die technisches und didaktisches Wissen vermitteln, als interne Expert:innen fungieren und so die Schulen nachhaltig stärken.