Beharrliche Innovationskraft
Mitten in Osttirol pulsiert mit Micado eine Innovationsschmiede, deren Lösungen nicht weniger spektakulär sind, wie die Bergwelt, die sie umgibt. Airbus, Boeing, Porsche, BMW, Audi, Salewa oder Atomic zählen zu den Stammkunden der High-Tech-Vor- und Umdenker:innen in Oberlienz. „Rethinking Engineering schreiben wir nicht nur auf ein Blatt Papier – das leben wir jeden Tag“, sagt Firmengründer Edwin Meindl.
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Arbeiten, wo andere Urlaub machen. Diesem urtiroler Satz wohnte eine Zeit lang etwas leicht Verzweifeltes inne. Selbst wenn er vielerorts wahrer nicht sein könnte, fiel es Unternehmer:innen in Tirolidyllen abseits der Inntalfurche relativ schwer, Mitarbeiter:innen zu finden. „Vor ein paar Wochen waren wieder Vertreter von Airbus da. Es gefällt ihnen sehr hier und sie beneiden uns, dass wir dort arbeiten dürfen, wo andere Urlaub machen. Ich glaube, wir Tiroler schätzen das zu wenig“, sagt Edwin Meindl, Gründer und Geschäftsführer der Osttiroler Innovationsschmiede Micado.
51 Mitarbeiter:innen beschäftigt das auf Produktentwicklung, Werkzeug- und Vorrichtungsbau sowie Automatisierungstechnik spezialisierte High-Tech-Unternehmen und es klingt irgendwie erstaunlich, wenn „der Chef“ im Zusammenhang mit seinem hochspezialisierten und mit exzeptioneller Technikleidenschaft ausgezeichnetem Team sagt: „Gottseidank sind wir in Osttirol.“
Innovation
Dort ziehen sie in straffem Innovations-Takt die Aufmerksamkeit auf sich. Im März erst stand Micado bei der Verleihung des Mechatronik-Cluster Awards 2024, einer Auszeichnung, mit der die Standortagentur herausragende Innovationen würdigt, als Automatisierungstechnik-Partner der fibionic GmbH auf der Bühne. Bei der gewitzten Herstellung bionischer Faserverbundstrukturen, mit denen die Leichtbautechnologie revolutioniert wird, hat das Osttiroler Unternehmen einen entscheidenden Beitrag geleistet. Kurz vorher wurde in Zusammenarbeit mit der Firma Teufelberger eine neue Umlenkrolle entwickelt und gelauncht, die das Arbeiten von Baumpfleger:innen erleichtert. Micado hat seine innovativen Automatisierungstechnik-Finger beim renommierten Brillenhersteller „gloryfy unbreakable“ genauso im Spiel, wie bei der weltweit einzigartigen Hybridbindung, mit der Atomic/Salomon 2022 einen Verkaufsschlager landen konnte.
Von der zündenden Idee bis zur Serienreife begleitet das Team eine bunt wirkende Schar an Kund:innen. Weltweit flitzen und fliegen zu jeder Uhrzeit unzählige Teile „herum“, die von ihnen erdacht beziehungsweise möglich gemacht wurden. Gibt ein Porsche Gas, hebt ein Airbus ab, überholt ein Audi einen Ford und wird von einem BMW frech geschnitten, stehen die Chancen, dass innovative Lösungen von Micado an den flotten Techniken beteiligt waren, extrem hoch.
Starke Identifikationskräfte
Dass die Mitarbeiter:innen-Fluktuation im Unternehmen extrem gering ist, liegt nicht nur an der Bergwelt, sondern vielmehr an diesen stets prickelnden Herausforderungen und auch daran, dass Micado von einer Unternehmensstruktur getragen wird, die den Mitarbeiter:innen sehr entgegen kommt. Die viereinhalb-Tage-Woche, das selbstständige beziehungsweise die Verantwortung auf viele Schultern verteilende Arbeiten und die echt außergewöhnlichen Aufgaben setzen starke Identifikationskräfte frei.
„Ich habe mich immer treiben und nie narrisch machen lassen. Das Managerdenken, jedes Jahr 30 Prozent wachsen zu müssen, um erfolgreich zu sein, habe ich nicht“, sagt Edwin Meindl. Zufriedene Mitarbeiter:innen hängen für ihn unmittelbar mit zufriedenen Kund:innen zusammen und doch vermag es jenseits des Felbertauern zu überraschen, wenn er festhält: „In der Zwischenzeit ist die abgelegene Lage von Osttirol fast schon ein Vorteil.“
Wann genau sich die als negativ wahrgenommene geografische Lage des Bezirkes Lienz zum Vorteil für die Unternehmen entwickelte, ist nicht leicht festzumachen. Als Startschuss für die Industrialisierung des Bezirkes nennt Meindl die Ansiedlung der Liebherr-Tochter in Lienz, der namhafte Südtiroler Betriebe und immer mehr weitere Unternehmen folgten. Als entscheidenden Booster dieser Dynamik hebt Meindl den Bau der HTL Lienz hervor und sagt: „Die HTL ist die Brutstätte für unser Unternehmen. Von unseren mittlerweile über 50 Mitarbeiter:innen kommen über 40 aus der HTL.“ Anfang April erst waren die HTL-Schüler:innen wieder zu Besuch im Unternehmen. „Wir versuchen da Ausbildung außerhalb der Schule zu machen. Wir zeigen ihnen, dass das Gelernte wirklich Sinn macht und man von Osttirol aus für Big Player arbeiten kann. Das ist schon sehr cool.“
Von Airbus bis Porsche
Micado. Der Name erinnert nicht zufällig an das Geschicklichkeitsspiel, das schon die Fingerfertigkeit der alten Römer herausforderte. Der Sitz von Micado ist in Oberlienz. Bekannt ist der Ort beispielsweise durch seinen „Sohn“ Franz Kranebitter, „Vater“ der Felbertauernstraße, oder seine „Tochter“ Emerentiana Pichler, die 1680 als „Perlog-Hexe“ hingerichtet und durch das Buch „Die Pfaffin“ berühmt wurde. Als Micado im Jahr 2014 die eigene Brutstätte – der Osttiroler Wirtschaftspark – zu klein wurde, wurde Oberlienz „the place to be“.
Unweit des Osttiroler Bezirkshauptortes, über den sich der Ort mit seinem Präfix „Ober“ erhebt, leben knapp 1.500 Einwohner:innen. Ihnen entlockt ihre Osttiroler Bergidyllen-Heimat wohl nicht mehr allzu regelmäßig ein dankbares „wow“. Fix tut es das aber bei jenen Vertreter:innen international tätiger Unternehmen, die regelmäßig den Firmensitz von Micado aufsuchen. „Ja, sie kommen sehr gerne“, weiß Edwin Meindl.
Namedropping macht in dem Zusammenhang richtig Spaß: Airbus, Boeing, Porsche, BMW, Audi, Salewa, Atomic, Liebherr, Rolls Royce oder Swarovski sind nur ein paar ausgewählte Unternehmensnamen auf der Referenzliste der Innovationsschmiede, die Edwin Meindl vor 26 Jahren gegründet hat.
Die Bezeichnung Schmiede passt, hat er doch ursprünglich Kunstschmied beziehungsweise Kunstschlosser gelernt und damit die Tradition der Familie fortgesetzt, deren Geschichte vom kreativen Arbeiten mit Metall geprägt ist. Den Trigger für sein Unternehmertum ortet er in der Technik, die in der Familie stets gelebt und ganz offensichtlich Teil ihrer DNA wurde. „Meine große Leidenschaft ist nach wie vor das Schmieden. Ich habe mich der Zeit anpassen müssen und bezeichne mich mittlerweile als Mechatroniker“, sagt Meindl, der Mitte April 2024 einen diesbezüglich spannenden Schatz entdeckt hat, ein Dokument seines Ururururur-Großvaters, Johann Meindl I., der 1765 die „reale Waffen- und Hufschmiede-Gerechtigkeit“ erworben hat. Eine coole Geschichte, die nicht minder coole Wurzeln geschlagen hat.
Tag der offenen Tür
Im November 2023 feierte Micado sein 25-jähriges Bestehen. Beim Tag der offenen Tür kamen über 1.000 Menschen zu Besuch und staunten über den pünktlich zum Jubiläum fertig gestellten, architektonisch extrem anspruchsvollen Neubau, der Geist des Unternehmens widerspiegelt. „Wir haben zwei Bauabschnitte geplant und könnten unser Gebäude mit einem 600 Quadratmeter großen Büroteil aufstocken“, sagt Meindl. Ob das passiert und wann, macht er davon abhängig, ob die Mitarbeiter:innen dieses Wachstum wollen: „Wenn das stimmig ist, machen wir’s. Wenn nicht, habe ich auch kein Problem damit.“
Beim Tag der offenen Tür konnten die neugierigen Blicke auch in jene Welt geworfen werden, die Micado aktuell intensiv fesselt. „Im Bereich der Flugtaxis haben wir gerade extrem viel Arbeit. Für die namhaftesten Flugtaxihersteller dürfen wir Werkzeuge und Vorrichtungen bauen. Darauf sind wir schon stolz“, sagt Edwin Meindl. Für Sommer 2024 hat das deutsche Unternehmen Volocopter Lufttaxiflüge in Paris angekündigt. Es werden die ersten kommerziellen Taxiflüge dieser Art sein – und in jedem der echt spacig wirkenden Fluggeräte steckt Know-how aus Osttirol. Stolz ist angebracht.
Alle Informationen unter: www.micado.at