Auf Augenhöhe im Dialog
© gentle studio - adobe.stock.com

Auf Augenhöhe im Dialog

Betriebe haben Erwartungen an Jugendliche. Jugendliche haben Erwartungen an Betriebe. Ein offener Dialog führt zu besten Ergebnissen im Matching und steigert die Attraktivität der heimischen Unternehmen als Arbeitgeber.

Lesedauer: 7 Minuten

Aktualisiert am 25.07.2024

Wie schaffen es Betriebe, junge Nachwuchskräfte für sich zu begeistern? Welche Erwartungen haben Jugendliche an die Arbeitswelt? Wo liegen die Schnittmengen und welche Kommunikationskanäle sind für Unternehmen besonders aussichtsreich? Diese und ähnliche Fragen sind insbesondere angesichts des akuten Mangels an Arbeitskräften für Betriebe aller Branchen interessant. Um Antworten darauf zu finden, lohnt es sich, beide Seiten zu betrachten und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Zwei aktuelle Studien bieten dafür aufschlussreiche Einsichten: Einerseits eine Umfrage des Bildungsconsultings, in der die Erwartungen der Betriebe an die Jugend abgefragt wurden. Andererseits die Trendstudie „Jugend in Österreich 2024“.
Das erwartet sich die Wirtschaft von den Jugendlichen

Die Umfrage des Bildungsconsultings „Was erwartet sich die Wirtschaft von der Jugend?“ richtete sich an die Tiroler Lehrbetriebe. Sie bilden laufend Jugendliche aus und wissen aus ihrer täglichen Praxis, worauf es beim Start in das Arbeitsleben ankommt. Die meisten Rückmeldungen kamen von Unternehmen aus dem Gewerbe und Handwerk, gefolgt von der Industrie und dem Tourismus. Der Großteil der Antworten erfolgte von mittleren Unternehmen. Abgefragt wurden fünf Kategorien von Fähigkeiten, die in der Arbeitswelt von zentraler Bedeutung sind. In der ersten Kategorie der persönlichen Fähigkeiten erachten 67 % der befragten Betriebe Zuverlässigkeit als wichtigste Eigenschaft, die junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitbringen sollten, gefolgt von Lernbereitschaft. In Kategorie zwei, den sozialen Fähigkeiten, steht mit großem Abstand für 68 % der Betriebe Kommunikationsfähigkeit an erster Stelle, danach folgt Kooperationsbereitschaft. Im Bereich methodische Fähigkeiten sehen 84 % der Betriebe Koordination als wichtigstes Kriterium, gefolgt von Problemlösungsfähigkeit. Im vierten Bereich, der Digitalisierung, steht die Anwendung digitaler Tools mit 70 % ganz oben im Ranking, gefolgt von Datensicherheit und Datenschutz. Und bei grundlegenden Eigenschaften liegen für jeden zweiten Betrieb soziale Umgangsformen auf Platz 1, gefolgt von sinnerfassendem Lesen.


Im Zuge der Erhebung wurde auch das Thema Bewerbung abgefragt. Vollständige und fehlerfreie Bewerbungsunterlagen sind für mehr als 80 % der befragten Betriebe wichtig beziehungsweise sehr wichtig. Schulnoten sind hingegen nur für rund 65 % der Unternehmen ein zentrales Entscheidungskriterium. Für die Besetzung von Lehrstellen nutzen die Unternehmen vor allem Gespräche, Schnuppertage und schriftliche Bewerbungen. Vereinzelt werden Assessment Center und Potenzialanalysen eingesetzt, wohingegen Aufnahmetests nur bei einem Fünftel der Betriebe durchgeführt werden. „Diese Einzelergebnisse lassen sich zu einem Gesamtbild zusammenfügen“, erklärt Studienleiterin Tanja Köhler, „für die Betriebe sind Jugendliche, die mit Verlässlichkeit, Sorgfalt und guten Umgangsformen das bestehende Team ergänzen und einen Überblick über die Herausforderungen an ihrem Arbeitsplatz bewahren, die erste Wahl.“

Das erwarten sich die Jugendlichen von der Wirtschaft
Welche Erwartungen Jugendliche an ihr (Arbeits-)Leben haben, beantwortet die groß angelegte Trendstudie „Jugend in Österreich 2024“, die im Auftrag von LifeCreator Consulting von Heinz Herczeg und Simon Schnetzer durchgeführt wurde.

Image-Themen wie die Unternehmensgröße sind weniger bedeutend als das Erleben von Fairness, Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit.

Besonders interessant sind die Schlussfolgerungen, die sich für die heimischen Firmen daraus ziehen lassen. „Um den Wünschen und Sorgen der Jugendlichen am besten zu begegnen, sollten Unternehmen Arbeit fair bezahlen und ein echtes Interesse an der persönlichen und gesundheitlichen Situation junger Mitarbeitender zeigen“, fasst Herczeg zusammen. Jobangebote brauchen somit materielle und emotionale Benefits für die jeweiligen Lebensbedürfnisse. Dabei haben die jungen Menschen je nach Lebensphase und Lebenssituation andere Bedürfnisse. „Je passender das Angebot, umso attraktiver. Image-Themen wie die Unternehmensgröße sind weniger bedeutend als das Erleben von Fairness, Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit“, betont Herczek.

Und über welche Kanäle lassen sich Jugendliche am besten erreichen? „Das glaubwürdigste Medium sind Job-Botschafter:innen, welche die Interessen, Alters- und Lebensphasenthemen der Zielgruppe repräsentieren. Statt Imagewerbung sind authentische Jobstories vom Arbeitsplatz die „Beweiserbringer“, die Jugendliche überzeugen“, so Heinz Herczeg. Darüber hinaus brauche es auch Angebote für Studierende zur Verbesserung ihrer Lebenssituation, Führungskräfte, die sich für den Menschen interessieren, sowie Nebenjobs und bezahlte Praktika.“ Stellt sich noch die Frage, wie sich die Leistungsbereitschaft von Jugendlichen beeinflussen lässt. Hier ergeben sich für Herczeg klare Antworten aus der Studie: „Geld ist mit Abstand der Top-Motivator für Leistung im Job, weit vor Spaß, Karriere oder Anerkennung von Vorgesetzten. Was bei jungen Mitarbeitenden nicht zieht sind Wettbewerb und Konkurrenzdruck.“ Doch diese Erkenntnis lässt sich nicht verallgemeinern: Führungskräfte müssen daher die Motive der Menschen individuell erkennen. „Was für die einen Geld ist, kann für andere mehr Freizeit sein oder Unterstützung bei der Weiterbildung bzw. Rücksichtnahme bei der Ausübung von Hobbies“, so Herczeg.

Diese Einschätzungen teilt auch der Leiter des Bildungsconsultings, Wolfgang Sparer: „Es geht einerseits darum, die Sprache seiner Zielgruppe zu sprechen und jeden einzelnen Jugendlichen dort abzuholen, wo er sich gerade befindet. Andererseits hilft der Einsatz von digitaler Personaldiagnostik, den oder die richtige Bewerber:in zu finden und die passenden Schritte für die Weiterentwicklung zu setzen.“ Das Bildungsconsulting bietet maßgeschneiderte Beratung für Unternehmen, die junge Arbeitskräfte suchen und ausbilden. Da sich die Anforderungen ständig ändern, werden aktuelle Umfragen berücksichtigt und ausgewertet. „Unternehmen sollten ihre Jobangebote auf die Erwartungen der Bewerber:innen abstimmen und sich gezielt dort präsentieren, wo Jugendliche nach Jobs suchen, wie bei Bewerbungsworkshops, Berufs-Festivals, auf berufsreise.at und in sozialen Medien. Berufspraktische Tage sind besonders wichtig für die Berufswahl der Jugendlichen“, rät Wolfgang Sparer.

Bei der Auswahl von Bewerber:innen reichen Bewerbungsschreiben und Zeugnisse oft nicht aus. Das Bildungsconsulting der WK Tirol bietet mit
DIAGON ein Online-Tool, das wissenschaftliche und praktische Eignungstests bereitstellt. „Diese Tests helfen Unternehmen, passende Bewerber:innen treffsicher auszuwählen und bieten wertvolle Erkenntnisse für die optimale Förderung und Weiterbildung im Betrieb“, so Wolfgang Sparer. DIAGON ist effizient und datenschutzkonform, und die Ergebnisse sind innerhalb von zwei Tagen verfügbar.

Erfolgreiche Unternehmen zeigen, dass es auch in Zeiten akuten Arbeits- und Fachkräftemangels möglich ist, attraktive junge Bewerber:innen für Jobangebote zu gewinnen. Die Wirtschaftskammer und das Bildungsconsulting bieten vielfältige Unterstützung und Instrumente, um Betriebe bei der Rekrutierung und Auswahl von Bewerber:innen zu unterstützen.

GenZ sucht Arbeitgeber viel kritischer aus

Für den studierten Vertriebsprofi und langjährigen Personalmanager in internationalen Konzernen steht der Mensch mit seinen Motiven im Fokus seiner Arbeit. Heinz Herczeg, Geschäftsführer von LifeCreator Consulting, ist Initiator von Studien wie „Jugend in Österreich“ und dem „Jobselling Report“, die einen tiefen Einblick in die Stimmung, die Erwartungen und die Motive von (jungen) Österreicher:innen geben.

Wie „ticken“ die Jugendlichen heutzutage?

64 % der 14- bis 29-jährigen sind mit ihrem Leben grundsätzlich zufrieden – insbesondere mit der familiären Situation, persönlichen Entwicklung und sozialen Anerkennung. Unzufriedenheit besteht jedoch bei der Hälfte mit den beruflichen Chancen und der psychischen Gesundheit, bei 58 % mit der finanziellen Lage. Sorgen machen sich die jungen Österreicher:innen über Inflation, Krieg in Europa, Klimakrise und hohe psychische Belastung. Hoher Leistungs- und Erfolgsdruck und finanzielle Sorgen sind die Hauptursachen für Stress, Antriebslosigkeit und Selbstzweifel.

Welche Rolle spielt das familiäre und kulturelle Umfeld der angesprochenen Jugendlichen?

Familie und das unmittelbare soziale Umfeld haben seit der Pandemie an Bedeutung gewonnen. Junge Menschen suchen in „unsicheren“ Zeiten Vertrautheit, Sicherheit und Unterstützung zur Bewältigung von Herausforderungen. Für 80 % der jungen Menschen sind Vertrauen, Respekt, Wertschätzung, Anerkennung, Gesundheit und Familie die Leitwerte. Ökologische Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Karriere, Erfolg, Status und Toleranz sind nur für 60 % wichtig im Leben.

Wie ist ihre Einstellung gegenüber dem Arbeitsleben?

Arbeiten bedeutet für die Hälfte der Jugendlichen Existenzsicherung. Dieser Wert ist seit 2022 gestiegen. Für ein Drittel sind die Aspekte persönliche Entwicklung, die Erfüllung von Lebensträumen, das Verbinden seiner Interessen mit der Tätigkeit, Selbstverwirklichung, etwas Bedeutendes, Sinnvolles schaffen bzw. zu beeinflussen und Leistung zu erbringen, jene, die den Stellenwert der Arbeit ausmachen.
 
Was ist ihnen im Berufsleben besonders wichtig?

Die GenZ sucht Arbeitgeber viel kritischer aus als Generationen davor. Dabei sind die wichtigsten Kriterien guter Zusammenhalt im Team, ausreichendes, faires und leistungsgerechtes Gehalt, finanzielle Unterstützungen über das Gehalt hinaus (z.B. Boni), persönliche Wertschätzung und Unterstützung durch Vorgesetzte. Gründe für Demotivation und Kündigung sind für 50 % zu wenig Gehalt, für 40 % unfreundliche Kolleg:innen und Vorgesetzte, zu geringe Wertschätzung und Mobbing.
 
Welchen Stellenwert hat die Lehre?

Die Lehre hat grundsätzlich in Österreich einen hohen Stellenwert. Lediglich bei den 14- bis 19-jährigen sinkt die Bedeutung als zukunftsträchtige Ausbildungsform jährlich. So betrug der Wert 2024 nur mehr 12 %, die mit einer Lehre die besten Chancen für die eigene berufliche Entwicklung und eine erfolgreiche und sichere Zukunft sehen. Was für eine Lehre spricht, sind die frühen Verdienstmöglichkeiten und gute Chancen am Arbeitsmarkt. Was von der Entscheidung für eine Lehre abhält, sind keine Möglichkeiten Lehrberufe auszuprobieren, ungenügend Informationen zu Lehrberufen an den Schulen, besonders der AHS und dass Schüler:innen mit guten Noten abgeraten wird eine Lehre zu machen. Eltern und junge Menschen brauchen daher schon ab der Volksschule Kennenlernmöglichkeiten und Erfahrungen mit Berufen in Unternehmen und eine bessere Berufsorientierung auch an den Gymnasien.