Die Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Österreich, Martha Schultz (l.), und die Präsidentin der Wirtschaftskammer Tirol, Barbara Thaler (r.), stellten konkrete Maßnahmen vor, um den Druck am Arbeitsmarkt zu verringern und Leistungsanreize zu setzen.
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Arbeitsmarkt unter Druck

In Tirol zeichnet sich eine kritische Entwicklung am Arbeitsmarkt ab, die nicht nur die Betriebe, sondern auch den gesamten Wirtschaftsstandort unter Druck setzt. Ein Gegensteuern ist dringend erforderlich.

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Aktualisiert am 12.08.2024

„Die Kombination aus demografischem Wandel, einem drastischen Rückgang der geleisteten Arbeitsstunden, steigenden Arbeitskosten und einem akuten Fachkräftemangel führt zu einer spürbaren Belastung der Unternehmen und stellt auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Kundinnen und Kunden eine zunehmend unbefriedigende Situation dar“, erläutert WK-Präsidentin Barbara Thaler die aktuelle Lage am Arbeitsmarkt.

Im Detail stellen sich diese vier Faktoren wie folgt dar. Erstens: Der bevorstehende Ruhestand der Babyboomer-Generation schafft eine Lücke am Arbeitsmarkt. Bereits jetzt fehlen in Tirol rund 17.000 Arbeitskräfte, und bis 2040 wird diese Zahl voraussichtlich um weitere 30.000 Personen im erwerbsfähigen Alter steigen. Diese Entwicklung stellt eine ernsthafte Herausforderung für die Wirtschaft dar und erfordert rasche Maßnahmen. Der zweite alarmierende Faktor ist der deutliche Rückgang der geleisteten Arbeitsstunden. „Laut einem aktuellen OECD-Bericht verzeichnet Österreich seit 2005 mit knapp 14 % den stärksten Rückgang der Arbeitsstunden aller OECD-Länder – eine Entwicklung, die vor allem auf die hohe Teilzeitquote zurückzuführen ist“, erklärt WKÖ-Vizepräsidentin Martha Schultz. Den dritten Faktor stellen die Arbeitskosten dar: Für 83 % der Tiroler Betriebe sind diese die größte Herausforderung. In den letzten drei Jahren sind die Arbeitskosten um 20 % gestiegen, was weit über dem EU-Durchschnitt liegt. Österreich verzeichnete laut OECD Employment Outlook 2024 die höchsten Lohnsteigerungen. Insbesondere für Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, wird diese Entwicklung zunehmend problematisch. Faktor 4: Nach den Arbeitskosten ist der Fach- und Arbeitskräftemangel trotz anhaltender Rezession die zweitgrößte Sorge der Tiroler Unternehmen.

„Trotz eines Anstiegs der Arbeitslosenzahlen in den letzten beiden Monaten ist die Arbeitslosenquote in Tirol mit 3,1 % immer noch der niedrigste Wert aller Bundesländer und de facto Vollbeschäftigung. Der Arbeitskräftemangel ist somit kein vorübergehendes Phänomen, sondern wird auch in Zukunft ein drängendes Thema bleiben. Der Mismatch am Arbeitsmarkt deutet auf strukturelle Probleme hin“, betont Martha Schultz. Umso wichtiger ist es für die WKÖ-Vizepräsidentin, jetzt Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken.

Forderungen für den Arbeitsmarkt

Angesichts dieser Herausforderungen fordert die Wirtschaftskammer klare Maßnahmen zur Stärkung der Vollzeitbeschäftigung. Der Vorschlag von Barbara Thaler für einen steuerlichen Vollzeitbonus wurde inzwischen mehrfach aufgegriffen und könnte einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, Vollzeitarbeit attraktiver zu machen und so dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken. „Die derzeitige steuerliche Bevorzugung von Teilzeit gegenüber Vollzeit sendet das falsche Signal. Wir fordern daher eine gezielte Unterstützung von Vollzeitbeschäftigten“, erklärt Martha Schultz. „Arbeiten muss sich lohnen“, unterstreicht Barbara Thaler, „wenn Nicht-Arbeiten oder Teilzeitarbeit attraktiver sind als eine Vollzeitbeschäftigung, haben wir ein Problem im System.“

Ein weiterer zentraler Punkt ist die Reduzierung der Lohnnebenkosten. Österreich liegt bei der Belastung des Faktors Arbeit im internationalen Vergleich auf dem unrühmlichen dritten Platz. Die Besteuerung beträgt in Österreich 47,2 %, während der OECD-Schnitt nur 34,8 % beträgt. Eine Senkung der Lohnnebenkosten würde nicht nur den Arbeitsmarkt entlasten, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe stärken, auch auf internationaler Ebene, schließlich werden 6 von 10 Euro im Export vedient. Darüber hinaus sollte auch die Steuerbegünstigung für Überstunden in einem nächsten Schritt massiv ausgeweitet werden, um die Bereitschaft zu Mehrarbeit zu fördern. „Wir sehen zudem großes Potenzial in der Einbindung von Pensionistinnen und Pensionisten in den Arbeitsmarkt. Rund 20 % der Pensionist:innen wären bereit, länger zu arbeiten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen“, weist Barbara Thaler hin, „wir fordern daher für Pensionist:innen ab 65 Jahren die Entlastung von Steuer- und Sozialversicherungsbeiträgen und den kompletten Entfall der Pensionsversicherungs-Beiträge sowohl für Arbeitgeber:innen als auch für Arbeitnehmer:innen“.

„Auf internationaler Ebene muss die qualifizierte Zuwanderung gefördert werden. Die Rot-Weiß-Rot-Karte sollte entbürokratisiert und die Anerkennung von Qualifikationen vereinfacht werden“, fordert Martha Schultz. Es sollten auch Personen, die keine zweijährige formelle Ausbildung, sondern kürzer erworbene Kenntnisse vorweisen können, eine Rot-Weiß-Rot-Karte bei entsprechender Arbeitgebererklärung und weiteren Auflagen erhalten können. Ausschlaggebend für eine Rot-Weiß-Rot-Karte muss die Beurteilung des Arbeitgebers sein. Es braucht eine weitere Verfahrensbeschleunigung und Digitalisierung des Antragsverfahrens, unter anderem mithilfe einer Online-Plattform mit entsprechender digitaler Antragstellung. Zudem fordert die Wirtschaftskammer eine zumindest temporäre Öffnung der Saisonnierskontingente, um den Unternehmen Rechtssicherheit zu geben und sicherzustellen, dass österreichische Tourismusbetriebe über genügend Mitarbeiter:innen verfügen

Forderungen für den Wirtschaftsstandort

Der wirtschaftliche Erfolg Tirols ist eng mit den Bedingungen des Arbeitsmarktes verknüpft. Um den Standort zu stärken und einer drohenden Deindustrialisierung entgegenzuwirken, ist eine Reihe von Maßnahmen erforderlich – von der Entlastung bei Steuern und Abgaben bis hin zur Raumordnung. „Hier geht es unter anderem um Betriebserweiterungen. Es hakt in der Praxis immer wieder daran, dass Firmen aufgrund lokaler Widerstände an notwendigen Erweiterungen scheitern. Daher fordern wir – analog zur Landwirtschaft – ein Regionalprogramm für gewerbliche Vorsorgeflächen“, erklärt Barbara Thaler.

Ein wesentlicher Standort-Faktor ist die Bürokratie. Im Top Tirol Konjunkturbarometer der WK Tirol ist nach der „Senkung der Lohnnebenkosten“ (86 %) „vereinfachte Administration“ die am zweithäufigsten genannte Maßnahme (66 %), die Betriebe zur Stärkung des Standorts für geeignet halten. „Wir setzen große Erwartungen in den „Tirol Konvent“ des Landes und haben ein umfassendes Forderungspaket dazu vorgeschlagen“, erklärt Barbara Thaler. Tirol muss die Möglichkeiten der Digitalisierung intensiv nutzen, um Verfahren zu beschleunigen und damit den Betrieben Kosten zu sparen. Hier gibt es bereits erfolgreiche Beispiele anderer Länder: Bei digitalen Bauverfahren in Südtirol muss die Behörde innerhalb von 14 Tagen die Vollständigkeit der Unterlagen prüfen, der Baubescheid muss innerhalb von 90 Tagen erlassen werden. Darüber hinaus braucht es auch ein entsprechendes Mindset bei der Gesetzgebung: Bei den Vorgaben muss die Komplexität der bürokratischen Auflagen reduziert werden nach dem einfachen Motto: „So wenig Bürokratie wie möglich, so viel Bürokratie wie unbedingt nötig.“ Auch hier gibt es schon konkret erprobte Ansätze, etwa die „Sunset Regulation“, bei der – wie in der Schweiz – Regularien mit einem Ablaufdatum versehen werden. Sie müssen dann erneuert werden oder sie laufen aus.

Fazit

Arbeitsmarkt und Standort sind keine Selbstläufer, sondern erfordern ständige Anpassungen. „Es braucht Anreize für Leistung und die volle Unterstützung der Politik, damit unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht weiter sinkt. Wir haben die entsprechenden Maßnahmen dafür begründet, aufgelistet – und erwarten uns, dass die Politik die erforderlichen Schritte setzt, um die Stabilität der Betriebe und die Sicherheit der Arbeitsplätze in Tirol zu sichern“, erklären Martha Schultz und Barbara Thaler.