Amerikas Klimapolitik als Weckruf für Europa
Die EU will mit dem „Green Deal Industrial Plan“ nachhaltige Technologien fördern. Das will Amerika mit dem „Inflation Reduction Act“ auch. Die Amerikaner setzen auf schlanke, einfache Regelungen und den Vorrang für US-Produkte.
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Mit dem „Inflation Reduction Act“ (IRA) hat die US-Regierung ein industriepolitisches Programm geschaffen, das nachhaltige Energien subventionieren und die amerikanische Wirtschaft dekarbonisieren soll. Das klingt ganz ähnlich wie der „Green Deal Industrial Plan“ der EU. Doch die beiden Programme funktionieren mit unterschiedlichen Instrumenten. Amerika geht einen sehr pragmatischen Weg. Der IRA arbeitet mit relativ unbürokratischen Steuergutschriften. Subventioniert werden sowohl Investitionen als auch die Produktion von ausgewählten grünen Technologien. In einigen Bereichen, wie zum Beispiel der Produktion von E-Autos, werden Förderungen mit lokalen Produktionsverpflichtungen kombiniert. Indirekt soll dieses Programm natürlich die Inflation senken, wovon es auch seinen Namen hat. Im Kern zielt es jedoch vor allem auf folgende beide Punkte: Zum einen den Turbo für grüne Technologien zu zünden und dadurch einen Wettbewerbsvorteil etwa gegenüber China zu erzielen, zum anderen amerikanischen Produkten einen Standortvorteil zu verschaffen und damit beinhart eine protektionistische Industriepolitik zu betreiben – entgegen allen Welthandelsregeln.
USA: Einfache Handhabung, offener Protektionismus
Im Detail punktet der IRA mit Eckpunkten, die einfach und zugleich effizient sind. Während sich die EU den Kopf darüber zerbricht, welche Verfahren und Produkte als grün einzustufen sind, setzt Amerika auf komplette Technologieoffenheit. Es gibt nur ein Kriterium: Je weniger CO2-Ausstoß, desto höher fällt die Subvention aus. Das zeugt von einem wesentlich höheren Vertrauen der Politik in die Forschung und Entwicklung der Unternehmen und erreicht dasselbe Ziel. Ein weiterer Eckpunkt ist die extreme Benutzerfreundlichkeit. Die Abrechnung erfolgt in Form von (ungedeckelten!) Steuergutschriften mit zehnjähriger Laufzeit – während sich die europäischen Firmen mit komplizierten Förderanträgen herumschlagen müssen. Das hat zur Folge, dass erneuerbare Energien in Amerika schrittweise wesentlich günstiger werden. Besonders schmerzhaft für Europa ist das Prinzip „make it in America“.
Am Beispiel der Produktion von E-Autos zeigt sich, wie offensiv dieses Instrument angelegt ist. Seit Januar 2023 gibt es für E-Autos bis zu 7 Tonnen eine Steuergutschrift von bis zu 7.500 $. Dafür müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: Die Endmontage des Fahrzeuges hat in Nordamerika zu erfolgen. 40 % der verwendeten kritischen Batteriestoffe müssen aus Nordamerika oder einem Land, mit dem die USA ein Freihandelsabkommen unterhalten, kommen. Diese Quote steigt bis 2027 auf 80 %. Die Batterie-Komponenten selbst müssen ab 2023 zu 50 % in Nordamerika hergestellt oder zusammengebaut werden. Dieser Anteil steigt bis 2029 auf 100 %. Ein weiterer Eckpunkt des IRA besteht darin, dass das Programm eine gesamtstrategische Ausrichtung hat und komplette Wertschöpfungsketten von den Ressourcen über die Herstellung bis hin zur Energieproduktion und der Automobilindustrie fördert. „Das alles könnte in Summe dazu führen, dass Europa Marktanteile auf dem US-Markt verliert, Produktionsstandorte nach Nordamerika verlegt werden und die EU auch bei den Energiepreisen ins Hintertreffen gerät“, erläutert Thomas Eibl, stellvertretender Leiter der Abteilung für Wirtschaftspolitik der WKO.
EU: Green Deal mit viel Bürokratismus
Es ist jedoch nicht so, dass Europa ganz ohne Antwort dasteht. Der „Green Deal Industrial Plan“ sieht den Aufbau industrieller Kapazitäten für saubere Technologien vor. Der Green Deal besteht aus vier Säulen: Planungssicherheit und einfachere Regelungen; schnellerer Zugang zu Finanzmitteln; Ausbau der Kompetenzen; offener Handel und stabile Lieferketten. In der grundsätzlichen Zielrichtung sowie auch in den zumindest theoretisch zur Verfügung stehenden Finanzmitteln begegnen sich IRA und Green Deal auf Augenhöhe. Der Teufel steckt im wörtlichen Sinne im Detail. „Während sich nämlich in der EU einmal mehr wunderbare Bürokratie breitmacht, kontert Amerika mit wunderbarer Planbarkeit“, erklärt EU-Abgeordnete Barbara Thaler, „unser Green Deal ist zwar green, aber noch zu wenig deal.“ Darüber hinaus bestehen noch erhebliche Unsicherheiten über die tatsächlich verfügbaren EU–Mittel.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Doch es gibt auch Grund zum Optimismus. Barbara Thaler ortet ein spürbares Umdenken in Brüssel. „Wir müssen wieder lernen einfache, widerstandsfähige und unseren Nutzen unterstützende Regeln zu beschließen“, erklärt die Abgeordnete. Die ersten Ansätze dieses Umdenkens sind nun in der Kommission angekommen. Jetzt kommt es auf die Umsetzung–Richtlinien der beiden Programme an. Amerika muss es erst schaffen, den simplen, roten Faden in einfach anzuwendende Steuervorschriften umzuwandeln. Auch hier gibt es Herausforderungen, die erst gelöst werden müssen. Umgekehrt hat die EU jetzt die Chance, die Ausgestaltung des Green Deals konkreter und verbindlicher zu machen.
Auch ist bislang noch nicht geklärt, wie Freihandelsabkommen seitens der US-Behörden künftig genau definiert werden. Zwischen den EU und den USA existiert bis dato kein solches, da TTIP bekanntlich gescheitert ist. Einige Nachteile für Europa könnten sich noch abwenden lassen, wenn das amerikanische Finanzministerium seinen Ermessensspielraum nutzt und europäischen Produkten den Zugang zum US-Markt gewährt. Die Alternative wäre, einen weiteren Anlauf für ein Freihandelsabkommen mit den USA zu nehmen.
Der IRA kann auch die Funktion eines Weckrufs für die EU erfüllen, lieber weniger und pragmatischere Anreizinstrumente zu setzen, um den Aufbau grüner Wertschöpfungsketten analog dem amerikanischen Vorteil zu fördern. „Ich habe das Gefühl, die EU hat den Prinzipienunterschied nun erkannt und versucht, Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre zu korrigieren“, schließt Barbara Thaler mit einem vorsichtig optimistischen Ausblick. Der Leiter der Wirtschaftspolitischen Abteilung der WK Tirol, Stefan Gabislander, ergänzt einen globalen Blickwinkel: „Der IRA mag zwar Amerika helfen, aber definitiv auch dem Klimaschutz.“