„Wir haben einen Fehler im System“
WK-Präsidentin Barbara Thaler erklärt, wie es den Tiroler Betrieben aktuell geht, welche Maßnahmen es zur Stärkung des Standorts braucht, warum der Arbeits- und Fachkräftemangel dauerhaft eine Herausforderung für die heimischen Betriebe bleiben wird und wieso ohne Anreize für die Leistungswilligen der Wohlfahrtsstaat gefährdet ist.
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In den letzten Tagen gibt es immer wieder negative Schlagzeilen über Tiroler Betriebe. Wie geht es der heimischen Wirtschaft wirklich?
In Summe ist die Lage der Tiroler Betriebe durchwachsen. Während die Situation beispielsweise in der Sparte Information und Consulting zufriedenstellend ist, kämpfen die Industrie oder der Bau mit drastischen Auftragsrückgängen. Die immer wieder zitierte „Deindustrialisierung“ ist nicht bloß ein Schlagwort, sondern eine reale Gefahr für den Standort und die damit verbundenen Arbeitsplätze in Tirol. Auch die gestiegene Zahl der Insolvenzen ist ein Indikator, selbst wenn sich ein Teil davon auf Nachholeffekte aus der Pandemiezeit zurückführen lässt. Es ist zudem eine Tatsache, dass der Standort Tirol in namhaften Rankings in den letzten Jahren an Boden verloren hat und die Politik dringend gegensteuern muss. Wir sollten die aktuellen Schwierigkeiten mancher Betriebe zum Anlass nehmen, endlich die von uns lange geforderten Maßnahmen zur Stärkung des Standorts umzusetzen.
Mit welchen Maßnahmen kann hier gegengesteuert werden?
Die heimischen Betriebe fordern vor allem eine Senkung der Lohnnebenkosten sowie generelle steuerliche Entlastungen und bürokratische Vereinfachungen. Wir haben große Erwartungen in den „Tirol Konvent“, mit dem das Land die Bürokratie eindämmen will, und haben ein umfassendes Forderungspaket dazu vorgeschlagen.
Sie haben diese Woche gemeinsam mit WKO-Vizepräsidentin Martha Schultz eine Pressekonferenz zum Thema Arbeitsmarkt abgehalten. Warum ist der Arbeitskräftemangel auch in Zeiten schwacher Konjunktur akut?
In den vergangenen beiden Monaten sind die Tiroler Arbeitslosenzahlen zwar über dem Bundesdurchschnitt gestiegen, mit 3,1 % haben wir aber immer noch Vollbeschäftigung und die niedrigste Arbeitslosenquote in ganz Österreich. Acht von zehn Betrieben sind vom Arbeits– und Fachkräftemangel betroffen, da sind unsere Umfragen und die österreichweiten Erhebungen seitens der WKO deckungsgleich. Auch gehen zwei Drittel der Betriebe davon aus, dass der Mangel in ihrer Branche in den kommenden drei Jahren zunehmen wird. Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung ist absehbar, dass der Arbeitskräftemangel uns in den kommenden Jahren begleiten wird und es dringend notwendig ist, jetzt Maßnahmen zu setzen.
Wie können diese aussehen?
Unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern muss mehr Netto vom Brutto bleiben; Vollzeit muss mit einem Bonus belohnt werden; längeres Arbeiten für Pensionist:innen muss attraktiver sein; und bei der Rot-Weiß-Rot-Karte braucht es weniger Formalismus und beschleunigte Verfahren. Auch unsere Nachbarländer suchen Arbeitskräfte – wenn wir künstliche Hürden aufstellen, holen sich andere die Besten.
Ausgelöst von einem Fall in Wien ist eine Diskussion über Sozialleistungen entstanden. Sehen Sie darin eine reine Neiddebatte oder braucht es substantielle Veränderungen?
Der Knackpunkt in dieser Debatte ist das Signal an die erwerbstätige Bevölkerung: Wenn Nicht-Arbeit attraktiver ist als Arbeit, haben wir einen Fehler im System. Diesen Fehler gibt es in ähnlicher Form auch im Steuerrecht.
Was meinen Sie damit konkret?
Wir haben bei uns im europäischen Vergleich die drittniedrigste Steuerquote bei Teilzeitarbeit, die dritthöchste für eine Vollzeitbeschäftigung. Damit werden Anreize in die völlig falsche Richtung geschaffen. Tatsache ist: (Mehr-)Leistung muss sich lohnen, sonst wird sie nicht erbracht. Wir brauchen den Einsatz unserer Leistungsträger:innen, um unseren Wohlfahrtsstaat zu finanzieren. Es sind die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, von denen die Finanzierung der gesamten staatlichen Infrastruktur und unseres Sozial- und Gesundheitswesens kommt. Bei der Steuerquote darf es daher in Zukunft nur eine Richtung geben: nach unten.