Indien Reise
© WK Tirol

Zwischen Smog und Innovation: Tiroler Firmen auf den Spuren des indischen Wirtschaftswunders

Trends und Möglichkeiten. Während sich Indien anschickt, kommendes Jahr zur weltweit drittgrößten Volkswirtschaft aufzusteigen, kämpft die Wirtschaft am Subkontinent teils mit ähnlich gelagerten Problemen wie die Unternehmen in Tirol – ein stetig steigender Energiebedarf, die Dekarbonisierung industrieller Prozesse sowie Engpässe auf den Straßen aufgrund des zunehmenden Individualverkehrs bestimmen den wirtschaftlichen Alltag. Um zu verstehen, wie der Zukunftsmarkt diese Probleme adressiert und zugleich Möglichkeiten für Kooperationen auszuloten, nahmen 15 Teilnehmer:innen von heimischen Unternehmen diesen November an der Tiroler Wirtschaftsdelegation nach Indien teil.

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Aktualisiert am 04.12.2024

Wissbegierig, ein wenig übernächtigt vom Jetlag, aber in gespannter Erwartung auf die kommenden Tage, saßen die Tiroler Unternehmer:innen im Konferenzraum des Ministeriums für Technologie und Biotechnologie von Karnataka in Bangalore, dem Zentrum der indischen Hightech-Industrie im Süden des Landes.

In Kooperation mit dem AußenwirtschaftsCenter Indien und dem ansässigen Wirtschaftsdelegierten Hans-Jörg Hörtnagl hatte die Außenwirtschaft Tirol eine Reise organisiert, die Zukunftstrends und Möglichkeiten sowie das Potenzial des indischen Marktes für die Tiroler Firmen aufzeigen würde. Neben den neun Tiroler Unternehmen, unter der Delegationsleitung von WKT-Vizepräsident Manfred Pletzer und Gregor Leitner, Abteilungsleiter der Außenwirtschaft Tirol, nahmen auch acht weitere Unternehmen aus ganz Österreich, unter der Führung von WKÖ-Vizepräsidentin Carmen Goby, an der Wirtschaftsmission teil.

Quer verteilt über die verschiedensten Branchen, geeint in ihrer Neugierde auf exklusive Einblicke in den als zukunftsträchtig geltenden indischen Markt. Neben der Auslotung neuer Exportmärkte, der Präsentation der Tourismusdestination Tirol und etwaiger Ko-operationen mit Hinsicht auf den heimischen Fachkräftemangel, versprachen sich die mitreisenden Unternehmen vor allem Einblicke in innovative Lösungsstrategien der indischen Wirtschaft – nicht zuletzt im Technik- und IT-Bereich. „Indien ist ein faszinierender Wachstumsmarkt, der uns nicht nur enorme Chancen für neue Geschäftsbeziehungen eröffnet, sondern auch wertvolle Einblicke in innovative Technologien und nachhaltige Lösungen bietet“, fasst WKT-Vizepräsident Manfred Pletzer die Motivation hinter der Reise zusammen.

„Indien bietet uns eine vielversprechende Perspektive, den Fachkräftemangel in Tirol nachhaltig zu entschärfen. Dafür müssen wir jedoch die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, um qualifizierte Fachkräfte gezielt anzusprechen und nach Tirol holen zu können.“


Land der Gegensätze und der Möglichkeiten

Die indische Wirtschaft befindet sich mit jährlichen Wachstumsraten um die 7 % im stabilen Aufschwung, wovon auch die Gesellschaft profitiert. Das Land entwickelt sich rasant. Während Premierminister Narendra Modi zu Beginn seiner Regierungsführung in einer Hygiene-Offensive den Bau von über 110 Mio. Toilettenhäuschen für die Öffentlichkeit verfügte, plant die indische Regierung nun eine bemannte Mondmission bis 2040 durchzuführen.

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© WK Tirol Zukunftsträchtige Fertigungstechnik: Beim Besuch einer "Smart Factory" in Bangalore überzeugte sich die österreichische Delegation von der innovativen Herangehensweise der indischen Industrie.


Ähnlich wie die Tiroler Wirtschaft versteht Indien den Wandel der Zeit als Treiber für Innovationen auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit, IT- und Medizintechnik sowie für Investitionen in den Standort, vor allem in moderne Infrastrukturprojekte. Mit rund 1,4 Mrd. Einwohner:innen ist Indien bereits heute die größte Demokratie weltweit. Im kommenden Jahr will man, nach den USA und China, zudem zur drittgrößten Volkswirtschaft aufsteigen. Während die Lebenserwartung steigt, befindet sich das Durchschnittsalter der Bevölkerung bei nur rund 28 Jahren. Auch weitere Kennzahlen faszinieren: Jeden Tag werden in Indien 30 km Autobahn errichtet sowie circa 45 km Schiene fertiggestellt und etwa weitere 25 km davon elektrifiziert. Bis 2050 rechnet man mit dem vierfachen Energiebedarf von heute.

Während viele der jungen Menschen in die Städte drängen, setzt die Politik auf gezielte Investitionskonzepte zur Ansiedlung ausländischer Firmen und die Erschließung des Landes für den Tourismus. Derweil haben staatliche wie von wirtschaftlichen Interessenvertretungen und Unternehmen organisierte Bildungseinrichtungen Hochkonjunktur. 

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© WK Tirol Leistungsschau: Nach dem Netzwerktreffen mit einer Abordnung aus dem Bundesstatt Uttar Pradesh zeigten sich die österreichischen Unternehmer:innen beeindruckt von den ambitionierten Entwicklungsplänen der Region.


Darüber hinaus sind in Indien mehr als 1 Mrd. Smartphones registriert. Das Internet ist unzensiert nutzbar und soziale Medien das Fenster zur Welt. Spätestens nach dem Staatsbesuch des indischen Premierministers Modi in Wien diesen Sommer, ist Österreich auch auf der Interessenslandkarte der indischen Wirtschaft eine Festgröße. Insbesondere Tirol könnte indischen Firmen dabei als Tor zum deutschsprachigen und europäischen Wirtschaftsmarkt dienen. Bekannt ist unser schönes Land dabei vor allem als wild-romantische und optimal erschlossene Touris-musdestination, die nicht zuletzt durch den vor Kurzem erschienenen erfolgreichen Bollywood-Film „Tiger Zinda Hai“ in der breiten Bevölkerung ungemein an Zuspruch gewann.

Indische Innovationskraft

Um einen Blick auf technische Zukunftsentwicklungen zu erhaschen, gelang es dem österreichischem AußenwirtschaftsCenter in Indien einen Lokalaugenschein bei Tata Elxsi zu organisieren. Die Tochter der Tata-Gruppe ist weltweit führender Anbieter von Design- und Technologiedienstleistungen für Automotive, Kommunikation, Gesundheitswesen und Transportwesen. Insbesondere die raffinierte Verknüpfung der einzelnen Geschäftsfelder durch die mehrfache branchenübergreifende Nutzung artverwandter Technologien faszinierte dabei. Anschließend besuchte die österreichische Wirtschaftsdelegation den Bangalore Tech Summit – Asiens größte Tech-Konferenz. Firmen aus der ganzen Welt präsentieren hier ihre Innovationen. Auch Carmen Goby stellte gemeinsam mit Manfred Pletzer und Hans-Jörg Hörtnagl einem geneigten Publikum den Innovationsstandort Österreich vor. Abschließend nahm sich Priyanik Kharge,

Minister für Informations- und Biotechnologie im Bundesstaat Karnataka, Zeit für einen Austausch mit der österreichischen Delegation und betonte dabei das Potenzial der Zusammenarbeit zwischen Indien und Österreich für die Start-up-Szene beider Länder. Auch Gemeinsamkeiten wie Schwerpunkte in Quantencomputertechnik und der Erschließung nachhaltiger Energien waren Thema des Austauschs. „Die Zusammenarbeit mit indischen Unternehmen und Start-ups ist eine großartige Gelegenheit, voneinander zu lernen und gemeinsam neue Wege in den Bereichen Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Fachkräfteentwicklung zu beschreiten“, zeigte sich Manfred Pletzer nach dem Meeting offen für Kooperationen.

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© WK Tirol Zwischen High-Tech und Tradition: Beim Besuch eines Gewürzmarktes im alten Teil Delihs wurde den Tiroler Unternehmer:innen das enorme Entwicklungspotenzial der indischen Wirtschaft einmal mehr bewusst.


Noch in der Nacht ging es weiter nach Neu Delhi. Den dringenden Bedarf von zukunftsträchtigen Lösungen und grüner Energie für die indische Wirtschaft begreift man hier mit dem ersten Atemzug. Der Smog gehört für die Menschen mittlerweile zum Alltag. Neue Lösungsansätze zur Dekarbonisierung gewinnen im Bewusstsein vieler Menschen darum zunehmend an Relevanz. Besonders auffällig zeigt sich das in der großen Zahl an Start-up-Gründungen, die sich mit dem Thema beschäftigen.

„Indien ist ein faszinierender Wachstumsmarkt, der uns nicht nur enorme Chancen für neue Geschäftsbeziehungen eröffnet, sondern auch wertvolle Einblicke in innovative Technologien und nachhaltige Lösungen bietet.“


Am nächsten Tag stattete die Wirtschaftsdelegation darum Teri, einem non-Profit Energie Institut, das die Energiewende in Indien entlang verschiedener Projekte und Förderungen vorantreibt, einen Besuch ab. Anschließend überzeugte sich die Delegation bei der Foundation for Innovation and Technology Transfer von der ansässigen Innovationskraft. Der Start-up-Hub fördert junge Geschäfts-ideen und unterstützt Gründer:innen, diese zu monetarisieren.

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© WK Tirol Bei einer Pressekonferenz in den Marwah Filmstudios betonte Sandeep Marwah (M.) im Gespräch mit Wirtschaftsdelegierten Stellvertreterin Kerstin Peckl (l.) und Ravi Shankar Nandi vm AC Neu Delhi (r.), die Relevanz internationaler Zusammenarbeit für die Filmbranche.


Um den enormen Energiebedarf des Landes auch zukünftig abdecken zu können, setzt Indien auf die Errichtung großflächiger PV-Anlagen und Pumpspeicherkraftwerke. Bei Netzwerkveranstaltungen mit Politiker:innen und Unternehmer:innen aus den Bundesstaaten Karnataka, Gujarat, Uttar Pradesh sowie Nagaland bekam die österreichische Delegation derweil einen Eindruck davon, wie zielgerichtet in Indien Projekte angebahnt und realisiert werden. „Die Wirtschaftsdelegationsreise hat eindrucksvoll gezeigt, wie Tiroler Unternehmen in Indien nicht nur neue Exportmärkte erschließen, sondern auch langfristige Partnerschaften für zukunftsweisende Projekte aufbauen können“, fasste Manfred Pletzer seine Eindrücke zusammen.

Indische (Pop-)Kultur

Um zumindest einen Teil der vielfältigen indischen Kultur besser zu verstehen, folgte die österreichische Delegation auch einer Einladung der International Society for Krishna Consciousness zum Besuch eines Tempels.

Da darüber hinaus Bollywood Filme die indische Popkultur prägen, ging’s für die Tiroler Delegation danach in die Marwah Studios. Sandeep Marwah betreibt hier die „Noida Film City“ mit mehreren Filmschulen und konkurriert mit seinen erfolgreichen Produktionen mit Bollywood-Größen aus Mumbai. Marwah zeigte sich ungemein erfreut über den Besuch aus Österreich und bekundete zudem Interesse an Tirol als Kulisse zukünftiger Filme.

Natürlich durfte vor dem Heimflug auch ein schneller Besuch des Gewürzmarktes im alten Teil Delhis nicht fehlen. Gerade hier wurden die enormen Gegensätze, aber auch das Potenzial, welches Indien birgt, wirtschaftlich wie gesellschaftlich aufzublühen, einmal mehr deutlich.

Fazit

Indien bietet der Tiroler Wirtschaft ein enormes Potenzial – sowohl als Wachstumsmarkt für Exporte als auch als Kooperationspartner bei innovativen Technologien und nachhaltigen Projekten. Mit einem Handelsvolumen von jährlich

über 140 Millionen Euro nach Indien und dynamischen wirtschaftlichen Entwicklungen ist der Subkontinent ein zukunftsweisender Partner der Tiroler Wirtschaft.

Gleichzeitig kann Indien ein Schlüssel zur Lösung des Fachkräftemangels in Tirol sein. Besonders in IT- und Gesundheitsberufen könnten qualifizierte Fachkräfte aus Indien zur Stabilisierung des heimischen Arbeitsmarkts beitragen. Hierfür bedarf es jedoch einer Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte, um den Zugang zu österreichischen Arbeitsplätzen zu erleichtern. „Indien bietet uns eine vielversprechende Perspektive, den Fachkräftemangel in Tirol nachhaltig zu entschärfen. Dafür müssen wir jedoch die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, um qualifizierte Fachkräfte gezielt anzusprechen und zu integrieren“, so Manfred Pletzer abschließend.

Die Wirtschaftsmissionsreise nach Indien hat gezeigt: Tirols Unternehmen können nicht nur von indischer Innovationskraft profitieren, sondern auch selbst als Brücke zwischen den Märkten agieren. Jetzt gilt es, die gewonnenen Erkenntnisse in strategische Partnerschaften und konkrete Maßnahmen umzusetzen, um die Chancen, die Indien bietet, für Tirol voll auszuschöpfen.