Christian Frick, WK Tirol Präsidentin Barbara Thaler, Katharina Schnitzer-Zach
© Michael Engele

„Tinder für Unternehmen“

Die Serviceprodukte der Wirtschaftskammer bei Betriebsübergaben unterstützen den umfangreichen Prozess. Die Nachfolgebörse hat sich als Kontaktplattform für Übergeber und Übernehmer bewährt. 

Lesedauer: 4 Minuten

Aktualisiert am 20.11.2024

Sämtliche am Markt befindlichen Unternehmen sind auf zwei mögliche Arten entstanden: Entweder sie wurden neu gegründet - oder sie sind aus einer Betriebsübergabe entstanden und werden nun erfolgreich fortgeführt. Diese zweite Möglichkeit wird gerne vergessen, wenn an neue Unternehmen gedacht wird. Dabei sind erfolgreiche Betriebsübergaben ein entscheidender Faktor, um den Wirtschaftsstandort Tirol nachhaltig zu erhalten und fit für die Zukunft zu machen. „Gelungene Betriebsnachfolgen sind für das Wachstum und die Sicherung von Wertschöpfung und Arbeitsplätzen so wichtig wie nie zuvor.

Nachhaltig erfolgreich übernommene Betriebe erhöhen nachweislich den Umsatz, steigern die Investitionen und schaffen neue Arbeitsplätze in den Regionen“, betont WK-Präsidentin Barbara Thaler. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: In Tirol gab es 718 Übernahmen im Jahr 2023 – so viele wie nie zuvor. Und in den kommenden 5 Jahren stehen in Tirol rund 5.000 Betriebe zur potentiellen Übergabe an. Das ist fast jedes vierte Arbeitgeberunternehmen.

Familienunternehmen im Fokus

Bei Betriebsübergaben spielen Familienunternehmen eine besondere Rolle. Sie machen rund die Hälfte aller Unternehmen aus, beschäftigen 63 % aller Erwerbstätigen und erwirtschaften 55 % des Umsatzes der österreichischen Unternehmen. Familienunternehmen sind tief in ihrer Region verwurzelt, denken in Generationen und zeugen dadurch von großer Standortloyalität. Doch gerade bei Familienunternehmen ist die Übergabe eine besondere Herausforderung: So steht etwa jedes 10. Familienunternehmen vor der Übergabe - über alle Unternehmen hinweg ist das nur bei jedem 20. Betrieb der Fall.

Die familieninternen Nachfolgen gehen aber gleichzeitig zurück, weil Kinder aus Unternehmerfamilien vermehrt neue Lebens- und Berufswege gehen. „Daher ist es notwendig, dass die familienexternen Nachfolgen zunehmen, damit wir Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Wissen am Standort halten können. Während bei zwei Dritteln der Betriebe der Sprung von der ersten in die zweite Generation gelingt, schaffen es nur zehn Prozent in die dritte Generation“, stellt Christian Frick, Landessprecher der in der WK angesiedelten Expertengruppe für Betriebsübergaben, klar.

Häufige Fragestellungen

Aufgrund der großen Bedeutung von Übergaben widmet die Wirtschaftskammer dieser Thematik großes Augenmerk und fordert von der Politik, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Mit dem Gründerservice, einer Kooperation mit der Notariatskammer sowie der so genannten Experts Group, steht die Wirtschaftskammer von Anfang an beratend und unterstützend zur Seite. Häufige Fragestellungen betreffen die gewerberechtlichen Voraussetzungen zur Erlangung des Befähigungsnachweises.

Allen Übernehmer:innen wird dringend empfohlen, zur Abklärung der gewerberechtlichen Voraussetzungen früh genug eine Beratung der Wirtschaftskammer in Anspruch zu nehmen. Wird ein Betrieb übernommen, ist zudem zu prüfen, ob eine erforderliche Betriebsanlagengenehmigung vorliegt und diese aktuell ist. Das Betriebsanlagenservice der Wirtschaftskammer ist hier ein kompetenter Ansprechpartner. Eine wichtige Rolle spielt auch die Nachfolgebörse der Wirtschaftskammer: „Auf diesem ‚Tinder für Unternehmen‘ finden potenzielle Übergeber und interessierte Übernehmer zueinander. Hier wird oft der Grundstein für eine erfolgreiche Übergabe gelegt“, erklärt Barbara Thaler.

Forderungen an die Politik

Einer der wichtigsten Schlüssel für eine erfolgreiche Übergabe liegt im Faktor Zeit. Das bestätigt auch Katharina Schnitzer-Zach, die mit 26 Jahren das Hotel Zach von ihren Eltern übernommen hat. Aus ihrer Sicht ist eine Übergabe nicht ein bestimmter Stichtag, sondern vor allem ein Prozess. Ihr wichtigster Tipp: „Früh genug mit der Übergabe beginnen und während des Prozesses immer und immer wieder miteinander reden. Eine gute Kommunikation ist die Voraussetzung für jede Übergabe“, ist sie überzeugt. Selbstverständlich spielen auch finanzielle Kriterien eine Rolle: Einerseits müssen Reserven und Firmenwerte weitgehend noch intakt sein, um für einen Nachfolger attraktiv zu sein. Andererseits fordert die Wirtschaftskammer Verbesserungen bei den steuerlichen Rahmenbedingungen für Übergaben. So wurde seit fast 50 Jahren der Freibetrag im Rahmen des Einkommensteuergesetzes bei Veräußerungsgewinnen nicht mehr angepasst – hier braucht es dringend ein Update. Auch der Freibetrag im Grunderwerbssteuergesetz muss angesichts der Grundstückspreis- und Inflationsentwicklung der vergangenen Jahre dringend angehoben werden, ebenso der Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer im Neugründungs-Förderungsgesetz.  

„Wir wollen und können auf kein funktionierendes Unternehmen verzichten. Mit der Schließung von Unternehmen geht viel Substanz und Know-how verloren. Die Politik muss den Rahmen für Übergaben deutlich verbessern, damit erfolgreiche Übernahmen auch in Zukunft gewährleistet sind“, fordert WK-Präsidentin Barbara Thaler.

Drei Fragen an Christian Frick

Landessprecher der Experts Group Betriebsübergabe der WK Tirol 

Welche Vorteile bietet eine Betriebsübernahme im Vergleich zu einer Neugründung?

Übernehmer:innen können auf ein erprobtes Geschäftsmodell zurückgreifen. Das verringert das Risiko. Zudem gibt es bereits gewachsene Strukturen und Prozesse. Dazu gehören auch Kund:innen, Partnerschaften und natürlich kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.  

Wo liegen die größten Hürden?

Erstens muss der Nachfolger jeder Hinsicht geeignet sein, das betrifft auch die fachliche Kompetenz. Zweitens muss das Finanzielle passen – das beginnt beim Kaufpreis beziehungsweise den notwendigen Investitionen und geht bis zu eventuellen Ausgleichszahlungen an Erbberechtigte im Schenkungsfall. Drittens sind es emotionale Aspekte. Eine Übernahme erfordert das Loslassen seitens der Vorgängergeneration und eine laufende, wertschätzende und offene Kommunikation. Viertens darf die steuerliche und rechtliche Komplexität des gesamten Prozesses nicht unterschätzt werden.  

Wie kann eine optimale Betriebsübernahme aussehen?

Die optimale Nachfolge beginnt mit einem zeitlichen Vorlauf und einer professionellen Planung. Wichtig ist, die Übergabe rechtzeitig, strukturiert und verbindlich anzugehen. Die ersten Überlegungen und Schritte erfolgen optimalerweise 7 bis 10 Jahre vor dem eigentlichen Übergabestichtag. Als Rahmen braucht es sicher eine große Übereinstimmung bei der Unternehmenskultur und die echte Bereitschaft, Kompromisse zu finden.