Regionalität
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„Regionalität ist gelebte Nachhaltigkeit“

Vizepräsidentin Martina Entner erklärt, warum Kinderbetreuung ein gesamtgesellschaftliches Thema ist, welche dramatischen Folgen eine Arbeitszeitverkürzung hätte, warum Regionalität im Trend liegt und wie es dem Tiroler Tourismus geht.

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Aktualisiert am 01.09.2023

Viele Frauen arbeiten nach wie vor in Teilzeit. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Gründe dafür?

Martina Entner: Einer der wichtigsten Gründe liegt in der Betreuung von Kindern. Kinderbetreuung wird allerdings in der Öffentlichkeit als einzige Ursache für Teilzeitarbeit dargestellt, es gibt aber auch noch einige andere. So ist durchaus ein Teil speziell der weiblichen Teilzeit auch abseits von Familienverpflichtungen selbstgewählt und gewollt, um eine möglichst optimale Balance zwischen Arbeit und Freizeit herzustellen. Eines stimmt definitiv nicht: Dass die Wirtschaft die Frauen in Teilzeit drängt. Das Gegenteil ist der Fall: Die Tiroler Unternehmen beschäftigen auch Teilzeitkräfte, um dem akuten Arbeitskräftemangel zu begegnen. Ziel muss sein, durch flexible Arbeitszeitmodelle, welche auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen eingehen, möglichst mehr Menschen für unsere Arbeitswelt zu begeistern.

Wo müsste man ansetzen, um eine Aufstockung der Teilzeitarbeit bzw. den Umstieg auf Vollzeit zu bewirken?

Zum einen natürlich bei der Kinderbetreuung. Diese muss ganztägig, ganzjährig, flächendeckend, qualitativ hochwertig und vor allem auch leistbar zur Verfügung stehen. Wenn Kinder betreuen teurer kommt als eine Ausweitung der Arbeitszeit, dann werden die Arbeitsstunden natürlich nicht erhöht. Hochwertige Kinderbetreuung verbessert darüber hinaus nicht nur die Chancen für Frauen, gleichberechtigt am Erwerbsprozess teilzunehmen, sondern bedeutet auch Chancengleichheit für die Kinder selbst, da sie in guter Betreuung optimale Förderung erfahren. Das führt dazu, dass die richtigen Weichen für ihre zukünftige Aus- und Weiterbildung gestellt werden. Kinderbetreuung ist damit kein reines Frauenthema, wie es immer dargestellt wird, sondern ein Familienthema, das die ganze Gesellschaft angeht. Die kürzlich erfolgte Festlegung der Tiroler Landespolitik auf die Umsetzung 2025 ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Gibt es weitere Punkte, mit denen sich eine Erhöhung der Arbeitszeit attraktiver machen lässt?

Zum einen ist mit Sicherheit das Bewusstsein noch ausbaufähig, dass dauerhafte Teilzeitarbeit im Alter zu einer niedrigen Pension führt. Ich verstehe, dass das viele junge Menschen nicht so auf dem Radar haben, aber diese Langzeitwirkung muss definitiv berücksichtigt werden. Zum anderen spielt natürlich die steuerliche Komponente eine große Rolle. Wenn eine Erhöhung von Teilzeitstunden oder der Umstieg auf Vollzeit steuerlich hochgradig unattraktiv sind, dann wird es unterlassen. Leistung muss belohnt und darf nicht bestraft werden!

„In der gegenwärtigen Situation kommen wir aber schon jetzt mit den zur Verfügung stehenden Arbeitsstunden nicht aus. Wie soll das erst gehen, wenn wir diese noch künstlich herabsetzen?“

Gibt es nicht bei den Pensionistinnen und Pensionisten genau dieselbe Problematik?

Doch, natürlich. Unsere Pensionistinnen und Pensionisten spielen eine ganz zentrale Rolle bei Bekämpfung des Arbeitskräftemangels. Sie stellen ein wertvolles Potenzial dar. Sie bringen extrem viel Know-how und Erfahrung mit. Schließlich ist es gesellschaftspolitisch wichtig, über eine sinnvolle Aufgabe auch im Alter Wertschätzung zu erfahren. Der Arbeitseinsatz muss sich aber natürlich finanziell lohnen. Die Bundesregierung hat längst angekündigt, hier die Rahmenbedingungen zu verbessern, das muss nun endlich geschehen. Auch ansonsten muss an allen möglichen Stellschrauben gedreht werden, um in Summe den herrschenden Arbeitskräftemangel einzudämmen. Dazu gehört etwa, dass die Lohnnebenkosten runter müssen und Überstunden steuerlich entlastet werden.

Die Gewerkschaft sagt, dass eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 32 Stunden ein geeigneter Ansatz wäre.

Das würde nicht einmal stimmen, wenn wir unbegrenzt Arbeitskräfte zur Verfügung hätten. Nicht jede freiwerdende Stunde kann nämlich mit einer neuen Arbeitskraft besetzt werden, in Kleinunternehmen schon gar nicht. In der gegenwärtigen Situation kommen wir aber schon jetzt mit den zur Verfügung stehenden Arbeitsstunden nicht aus. Wie soll das erst gehen, wenn wir diese noch künstlich herabsetzen? Um sich auszumalen, was dann passieren würde, muss man nicht Wirtschaftswissenschaften studiert haben: Einerseits würde der Arbeitskräftemangel noch dramatischer werden, andererseits würde das die Inflation weiter anheizen. Die Gewerkschaften fordern schließlich den vollen Lohnausgleich. Wenn Arbeit teurer wird, steigen die Preise für Produkte und Dienstleistungen zwangsläufig. Aus meiner Sicht ist dieser Vorschlag daher vollkommen unrealistisch.

Kommen wir zur Regionalisierung, die Ihnen als Obfrau der Wirtschaftskammer im Bezirk Schwaz immer ein großes Anliegen ist. Wie sieht es aktuell bei diesem Thema aus?

Regionalität galt eine Zeit lang als etwas angestaubt. Dieses Image hat sich jedoch grundlegend verändert. Die Nachhaltigkeit hat, speziell auch bei jungen Menschen, einen großen Stellenwert erlangt. Genau diese Nachhaltigkeit bietet neue Chancen für regionale Wirtschaftskreisläufe. Regionalität bedeutet kurze Wege, Arbeitsplätze vor Ort und die Nutzung heimischer Ressourcen. Daher ist Regionalität gelebte Nachhaltigkeit und eine sehr effektive Möglichkeit, einen Beitrag für den Klimaschutz zu leisten.

Sie sind als Unternehmerin im Tourismus verankert. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage der Tiroler Tourismusbetriebe ein?

Speziell jetzt im Sommer ist der Wettbewerbsdruck sehr groß. Die Gäste buchen immer kurzfristiger. Man merkt deutlich die Auswirkungen der Pandemie, der enorm gestiegenen Kosten in allen Bereichen und der damit verbundenen Inflation. Das Stichwort Wertschöpfung ist ein großes Thema für die Betriebe. Es ist spürbar, dass Veränderungen am Markt da sind. Das führt zu einer Unsicherheit bei den Unternehmen.

Wie wirkt sich diese Unsicherheit auf die Betriebe aus?

Das führt unter anderem dazu, dass die Inves-titionsbereitschaft zurückgeht. Das wird mittel- und langfristig zum Problem, denn die Investitionen von heute sind das Wachstum von morgen. Ein Rückstau bei Investitionen macht auch Betriebsübergaben noch schwieriger, als sie derzeit schon sind. Wenn die junge Generation bereits mit einem großen Rucksack in das Unternehmertum starten muss, fehlt verständlicherweise oft die Bereitschaft dafür. Es ist daher die Aufgabe der Politik, mit Investitionsfreibeträgen, mit einem steuerlichen Rahmen, der die Bildung von Reserven ermöglicht, sowie mit Maßnahmen gegen den Arbeitskräftemangel dagegen zu steuern und auf diese Weise den Tourismus auch in Zukunft als eine starke Säule am Standort Tirol zu sichern.