„Es ist nicht egal!“
Im Interview fordert WK Tirol-Präsidentin Barbara Thaler dazu auf, am 9. Juni 2024 zur EU-Wahl zu gehen – „weil es nicht egal ist, wer für uns im Europaparlament sitzt“. Die Erleichterung der Berichtspflichten für Unternehmen ist für Thaler ein entscheidender Punkt auf der Agenda der nächsten europäischen Jahre und Thaler weiß: „Dafür braucht es die Kraft der gesamten Interessenvertretung.“
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Die Präsidenten von Deutschland, Italien und Österreich haben Anfang Mai 2024 in einem gemeinsamen Brief mit dem Hinweis auf die gerade stark gefährdete Demokratie dazu aufgerufen, zur EU-Wahl zu gehen. Warum fordern Sie die Menschen auf, zu wählen?
Barbara Thaler: Ich fordere dazu auf, zur Wahl zu gehen, weil es nicht egal ist, wer für uns im Europaparlament sitzt. 80 bis 90 Prozent aller Gesetze entstehen in Brüssel, das betrifft uns also direkt. Alles, was in der EU entschieden wird, hat auch Einfluss auf Österreich und damit auf Tirol und damit natürlich auch auf unsere Unternehmen. Die Gesetze, die in Brüssel entstehen, betreffen die Betriebe im Besonderen.
Und wenn es diesbezüglich ärgerliche Geschichten sind, ist es noch wichtiger, kluge Vertreter:innen vor Ort zu haben?
Ganz genau. Es ist wichtig, dass dies Vertreter:innen sind, die eine gute beziehungsweise positiv realistische Einstellung zum Unternehmertum haben.
Mit welchen Argumenten fordern Sie beispielsweise Jugendliche auf, zur EU-Wahl zu gehen?
Das ist eine interessante Frage. Ich habe in den letzten fünf Jahren sehr viele Schüler:innen-Diskussionen gehabt. Da kam manchmal die Frage: Warum steigen wir denn nicht aus – der Schweiz geht’s doch viel besser als uns. Da versuche ich aufzuklären und sage: die Schweiz ist vielleicht kein Mitglied der Europäischen Union, hat aber viele Verträge mit ihr, an die sie gebunden ist. Die Schweiz sitzt jedoch nicht am Verhandlungstisch. Es geht immer darum, auch am Verhandlungstisch zu sitzen. Bei Jugendlichen kommt hinzu, dass sie keine Zollkontrollen an der Grenze erlebt haben, sie haben keinen Schilling erlebt und keine übertriebenen Handy-Kosten. Diese ganzen Vorteile sind schon so selbstverständlich geworden, dass ich mich manchmal wundere, wenn ich wieder darauf hinweisen muss. Aber, das ist wichtig. In ganz vielen Dingen ist die EU selbstverständlich geworden. Doch diese Dinge müssen wieder in den Vordergrund gerückt werden.
Für die große Mehrheit der Unternehmen – ab einer gewissen Größe natürlich – sind die Berichtspflichten, die aus Brüssel kommen beziehungsweise dort beschlossen und national umgesetzt werden, ein großes Problem. Was muss in dem Zusammenhang passieren?
Ja, die Berichtspflichten sind eine echte Bürde für unsere Unternehmen. Da möchte ich die nationale und regionale Ebene gar nicht ausnehmen. Aber das Lieferkettengesetz oder die Nachhaltigkeitsberichterstattung sind Dinge, die auf Vorschläge der Europäischen Kommission zurück gehen und sie sorgen dafür, dass Betriebe – vor allem wenn sie international arbeiten – ein bis zwei Vollzeitarbeitskräfte anstellen müssen, die sich nur damit beschäftigen. Das ist eine Challenge. Und auch das ist ein Grund, warum es nicht egal ist, wer für uns in Brüssel sitzt. Da muss weiter an Erleichterungen gearbeitet werden und dafür braucht es die Kraft der gesamten Interessenvertretung, auch der EU-Repräsentation der WKÖ in Brüssel – da braucht es uns alle, damit das einfacher und weniger wird.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat vor eineinhalb Jahren ein SME Relief Package – ein KMU-Entlastungspaket – angekündigt. Was wurde daraus?
Bisher noch nichts. Von der Leyen hat in dem Paket beispielsweise ein Minus von 25 % Bürokratie für Klein- und Mittelbetriebe in der Europäischen Union angekündigt. Ich habe noch nichts davon wirklich gesehen.
Wie ist dieses Nichts zu erklären? Mit dem Krieg in der Ukraine, der so vieles in der EU durcheinanderwirbelt?
Nein, mit dem Krieg hat das nichts zu tun. Es gibt ja genügend Dienststellen, die daran arbeiten könnten. Von der Leyen hat dieses Entlastungspaket angekündigt und parallel dazu sind immer noch Gesetze verhandelt worden, wie eben die Nachhaltigkeitsberichterstattung oder das Lieferkettengesetz. Da hätte man schon früher eingreifen und sich auch als Kommission für Berichtserleichterungen einsetzen müssen. Das ist eine Kritik an der Kommission. Ich würde nie über die EU im Allgemeinen schimpfen – aber ich übe Kritik an der Kommission, an bestimmten Gesetzesvorschlägen oder auch an Entscheidungen des Parlamentes, wenn die Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe gehemmt wird. Die Nichtumsetzung des KMU-Entlastungspaketes ist so eine Kritik.
Und wieder ein Grund, zur EU-Wahl zu gehen.
Seit dem Austritt aus der EU erlebt Großbritannien die Auswirkungen von Grenzen und Ausgrenzung. Ist das der beste abschreckende Grund dafür, keine Gedanken an einen Austritt Österreichs zu wälzen?
Ich bin der Meinung, dass dieser Austritt ein großer Fehler war. Man sieht gerade in wirtschaftlichen Belangen, wie Großbritannien darunter leidet. Es gibt zahlreiche Studien, die aufzeigen, um wie viel das BIP Großbritanniens eingebrochen ist. Es hatte und hat maßgebliche Auswirkungen auf die Menschen und vor allem auch auf die Unternehmen des Landes. Werden Grenzen durch die touristische Brille betrachtet, dann sind sie vielleicht nicht so schlimm - wenn ich in ein weiter entferntes Land fahre, habe ich auch Einreisekontrollen. Aber durch die unternehmerische Brille ist das ganz anders. Für unsere Betriebe, die nach Großbritannien exportieren, bedeuten die mit dem Brexit wieder gezogenen Grenzen einen extremen bürokratischen Aufwand, den es vorher im Binnenmarkt so nicht gab. Und den Betrieben in Großbritannien sind ganze Märkte weggebrochen. Das war einfach eine falsche Entscheidung.
Gibt es andere Themen im Bezug auf die EU beziehungsweise Europa, die Ihnen am Herzen liegen?
Der Tiroler Wirtschaftsbund stellt Anfang Juni 2024 an das Wirtschaftsparlament einen Antrag, in dem es darum geht, Arbeitskräfte aus dem EU-Ausland unbürokratischer und schneller durch bessere Anerkennungsverfahren nach Österreich, nach Tirol holen zu können (lesen Sie den Antrag im nebenstehenden Kasten). Damit machen wir einen Vorstoß – nicht nur aber auch – für die Beitrittskandidaten am Balkan. Das hat auch sehr viel mit Standortnachteilen zu tun. Die Schweiz oder auch Deutschland haben diese Verfahren in den vergangenen Monaten vereinfacht und werden damit attraktiver für Arbeitskräfte aus dem EU-Ausland, weil es einfacher ist, dorthin als nach Österreich oder Tirol zu gehen. Um das zu lösen, muss man nicht in Brüssel anrufen, sondern in Wien. Das ist keine legistische Geschichte der Union, aber weil wir das wieder verschlafen und unsere Nachbarn das besser machen, haben wir innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes einen Standortnachteil.
Arbeitsmarktzugang
Der von Barbara Thaler als WK-Präsidentin und Landesobfrau des Tiroler Wirtschaftsbundes unterzeichnete Antrag an das Wirtschaftsparlament der Wirtschaftskammer Tirol im Zusammenhang mit der qualifizierten Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem EU-Ausland lautet wie folgt:
Die Wirtschaftskammer Tirol wird aufgefordert, sich bei den zuständigen Stellen dafür einzusetzen, die qualifizierte Zuwanderung von Arbeitskräften aus Drittländern zu vereinfachen, insbesondere durch das Vorziehen des freien Arbeitsmarktzuganges für EU-Beitrittskandidaten aus dem Balkan.
Begründung:
Der Arbeitskräftemangel in Österreich ist allgegenwärtig und wird die heimische Wirtschaft auch in Zukunft beschäftigen. Die Nachfrage nach Mitarbeitern übersteigt das Angebot, weshalb die gesetzlichen Rahmenbedingungen weiter zu optimieren sind. Während der Schwerpunkt des Fachkräftepotenzials klar im Inland liegt, soll ergänzend die immer größer werdende Lücke am Arbeitsmarkt durch qualifizierte Zuwanderung gedeckt werden. Wir verfügen mit der Rot-Weiß-Rot-Karte bereits über ein sehr gutes Instrument für die gezielte Rekrutierung von Fachkräften. Jedoch ist der internationale Wettbewerb um Fachkräfte bereits voll entbrannt. Österreich muss daher als Arbeitsmigrationsziel attraktiv sein. Daher sollte Österreich den freien Arbeitsmarktzugang für Personen aus EU-Beitrittsländern aus der Balkan-Region ermöglichen: Dadurch würde die Zuwanderung aus diesen Ländern unbürokratisch und unabhängig von Kontingenten möglich. Der österreichische Arbeitsmarkt würde dadurch für Arbeitskräfte attraktiver und Betriebe bekommen einfach und schnell dringend benötigtes Personal. Weniger bürokratische Hürden sparen Zeit und Geld für Betriebe und Antragsteller. Die EU beschloss kürzlich auch, Länder des Westbalkans bei ihrer Annäherung an die Union finanziell stärker zu unterstützen.
Außerdem kommen drei der Top fünf Zuwanderungsländer in Österreich aus der Balkan-Region. In Deutschland gibt es bereits das sogenannte Westbalkan-Kontingent, welches den Zuzug bei einem Arbeitsplatzangebot ermöglicht. Die Westbalkanregelung eröffnet Staatsangehörigen von Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien einen Arbeitsmarktzugang. Die Aufnahme einer Beschäftigung ist bei Vorliegen eines Arbeitsplatzangebotes unabhängig von einer anerkannten Qualifikation möglich. Die Regelung wird von Arbeitgebern in Deutschland intensiv genutzt, weshalb die ursprüngliche Befristung mit Juni 2024 aufgehoben und das Kontingent von 25.000 auf 50.000 Personen jährlich erhöht wird. Wir fordern deshalb einen freien Arbeitsmarktzugang für Menschen aus der Westbalkan-Region nach deutschem Vorbild.