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WKÖ-Bundessparten Industrie, Handel, Gewerbe & Handwerk: Österreichs Wirtschaft in Rezession, KV-Abschlüsse mit Augenmaß wichtiger denn je

Geht jetzt um Verantwortung für zwei Drittel aller Arbeitsplätze in der gewerblichen Wirtschaft – Situation so schwierig wie kaum je zuvor

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Aktualisiert am 14.11.2023

Vor dem Hintergrund der aktuell laufenden bzw. in vielen Branchen beginnenden KV-Verhandlungen betonten die Obleute der WKÖ-Bundessparten Gewerbe & Handwerk, Industrie und Handel, Renate Scheichelbauer-Schuster, Sigi Menz und Rainer Trefelik, am Dienstag im Rahmen einer gemeinsamen Pressekonferenz die heuer fast beispiellos schwierige Ausgangslage für tragfähige Lohnabschlüsse. Österreichs Wirtschaft befinde sich in einer Rezession – dass diese "mild“ ausfalle, kann aktuell keinesfalls behauptet werden. Der Spielraum der Unternehmen sei daher denkbar gering, Geschäftseinbußen bei gleichzeitig gestiegenen Kosten stellen viele Betriebe vor existenzielle Herausforderungen. Kämen überzogene Lohnsteigerungen hinzu, würde das zahlreiche Unternehmen endgültig überfordern – Insolvenzen, Schließungen und Arbeitsplatzverluste wären die dramatischen Folgen, so die Spartenobleute unisono, die dementsprechend "KV-Abschlüsse mit Augenmaß“ forderten und an das Verantwortungsgefühl der KV-Verhandler:innen auf Arbeitnehmerseite appellierten. Immerhin gehe es um 1,74 Millionen Mitarbeiter:innen – zwei Drittel aller Arbeitsplätze in der gewerblichen Wirtschaft. 

Gewerbe & Handwerk tief in der Rezession 

"Wir haben Verständnis für die Anliegen der Arbeitnehmerseite, auch unsere vielen Klein- und Mittelbetriebe sind von Preissteigerungen für Material und Energie massiv betroffen. Allerdings finden Lohnerhöhungen nicht im luftleeren Raum statt, sondern müssen erwirtschaftet werden“, stellte Renate Scheichelbauer-Schuster klar.  

Die Umsatzsituation der vielen Klein- und Mittelbetriebe in den acht Branchen der Bundessparte Gewerbe & Handwerk, die dem Metallgewerbe-KV unterliegen, war bereits 2022 dramatisch rückläufig – mit einem realen Minus bis zu 9,3 Prozent. Im ersten Halbjahr 2023 setzte sich dieser Negativtrend fort. Alle acht Branchen hatten in diesem Zeitraum einen weiteren Umsatzeinbruch gegenüber dem ersten Halbjahr 2022. Das Umsatzminus betrug real zwischen minus 2,4 Prozent und minus 13,5 Prozent. Der Ausblick für das vierte Quartal 2023 sowie für das erste Quartal 2024 ist laut KMU Forschung Austria ebenfalls überwiegend pessimistisch: So erwarten etwa mehr als die Hälfte der Metalltechniker Auftragsrückgänge im Ausmaß von durchschnittlich mehr als 25 Prozent.  

"Wir befürchten weitere Betriebsschließungen, denn viele sind am Limit oder bereits drüber. Die Unternehmen werden zerrieben zwischen Geschäftseinbußen und explodierenden Material-, Energie- und Arbeitskosten. Wir brauchen einen Standortkonsens mit Kompromissbereitschaft und Mut zu flexiblen Lösungen, wie sie schon in der Corona-Pandemie möglich waren“, so Scheichelbauer-Schuster. 

Lohnstückkosten in Industrie schon bisher weit über EU-Schnitt  

Neben der Verantwortung für die Arbeitsplätze gehe es aber – gerade für die exportorientierte österreichische Wirtschaft – auch um Verantwortung für die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Unternehmen und ihrer Produkte, wie Sigi Menz ausführte: "Ein Indikator, wie es um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts steht, sind die sogenannten Lohnstückkosten. Es ist eine Tatsache, dass die Lohnkosten – und damit auch die Lohnstückkosten - in Österreich in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind. Diese Lohnstückkosten sind laut Eurostat im internationalen Vergleich seit Jahren anhaltend hoch, Österreich hat in Europa, aber auch gegenüber den USA die höchste Lohnstückkosten-Entwicklung - und das schon seit 2005. Für österreichische Unternehmen wird es dadurch auf Dauer zu teuer, sie können ihre Produkte am Weltmarkt nicht mehr zu konkurrenzfähigen Preisen anbieten. Auch das macht Forderungen sowohl nach hohen Lohnsteigerungen als auch nach einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich obsolet.“  

Der Export könnte sich schmerzlich abbremsen – mit spürbaren Konsequenzen. "Die Exportwirtschaft ist eine tragende Säule für Österreichs Wirtschaft, jeder vierte Steuer-Euro in Österreich hängt von der Exportwirtschaft ab. Besonders Österreichs Industrieunternehmen sind international stark vernetzt. Die Industrie hat gesamt einen Exportanteil von 69 Prozent – die Metalltechnische Industrie gar von mehr als 80 Prozent - und steht daher unter besonders starkem Wettbewerbsdruck. Wenn Österreich an Wettbewerbsfähigkeit verliert, wie die jüngsten Rankings gezeigt haben, kann das drastische Auswirkungen haben. Ein Absturz im globalen Wettbewerb trifft mittelfristig uns alle – Betriebe und Beschäftigte im Land“, so Menz. 

Handel mit massiven Umsatzrückgängen konfrontiert 

Besonders spürbar sei laut Rainer Trefelik die schwache Konjunktur auch im heimischen Handel: Im Einzelhandel war die reale Umsatzentwicklung mit -3,4 Prozent bereits im ersten Halbjahr negativ. Vor allem dort, wo es sich nicht um Produkte des täglichen Bedarfs handelt, sparen die Konsument:innen: So lag das reale Umsatzminus im Nicht-Lebensmittelhandel im September sogar bei -11,1 Prozent.  

Trefelik: "Ich erwarte mir, dass die Gewerkschaft in der kommenden Verhandlungsrunde bereit ist, einen Schritt auf uns zuzugehen. In der aktuell schwierigen Situation brauchen wir ein Gesamtpaket, das für beide Seiten lebbar ist. Ansonsten bringen wir die Betriebe und tausende Arbeitsplätze massiv in Gefahr.“ So habe der Rückgang des Absatzvolumens bei gleichzeitigen Kostensteigerungen entlang der gesamten Lieferkette bereits zu einer massiven Insolvenz- und Schließungswelle im heimischen Handel geführt - allein im ersten Halbjahr 2023 waren es 483 Insolvenzen. Enorme Steigerungen bei den Lohnkosten würden daher v.a. auch die vielen Klein- und Mittelbetriebe im Handel massiv bedrohen.  

Daher brauche es Verantwortungsbewusstsein und kreative Lösungen bei den KV-Verhandlungen – "und das heißt natürlich auch Einmalzahlungen. Damit ist den Unternehmen in der aktuell sehr angespannten Ertragslage geholfen, aber auch die Mitarbeiter:innen profitieren. Denn steuerfreie Einmalzahlungen bedeuten unterm Strich mehr Netto vom Brutto“, so Trefelik. 

Zeit für kreative Lösungen gekommen 

Nachdem die Arbeitgeber:innen schon im Vorjahr Verantwortung übernommen und trotz einer schwierigen Situation hohe Lohnsteigerungen akzeptiert haben, sei es nun an der Zeit, dass auch die Arbeitnehmervertreter:innen sich ihrer Verantwortung bewusst sind, so die Spartenobleute abschließend. Es gelte, Wahlkampfstimmung vom Verhandlungstisch zu trennen, die einkommensstärkenden Maßnahmen der Regierung zu berücksichtigen und auch kreative Lösungen zuzulassen. Schon seit dem Vorjahr gebe es die Möglichkeit steuerfreier Einmalzahlungen – ein von der Regierung geschaffenes Instrument, das gerade jetzt sinnvoll ist und daher genutzt werden sollte, um für alle Seiten tragbare KV-Abschlüsse mit Augenmaß zu ermöglichen. 

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