WKÖ-Analyse: Investitionen & Mulitfaktorproduktivität
Oktober 2017: Arbeitsproduktivität
Lesedauer: 6 Minuten
Produktivitätswachstum ist das Wachstum der Wertschöpfung pro Stunde oder beschäftigter Person und ergibt sich aus dem Kapitaleinsatz (pro Stunde oder beschäftigter Person) plus dem technologischen Fort-schritt. Investitionen und Innovationen sind somit zentral für die Entwicklung der Arbeitsproduktivität.
Arbeitsproduktivität
Die trendmäßige Verlangsamung des Produktivitätswachstums in den meisten entwickelten Ländern ist das Resultat aus einem geringen Investitionsvolumen und geringeren Zuwächsen in der Multifaktorproduktivität. Wesentlich ist vor allem die Zusammensetzung der Investitionen – besonders Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnologie sowie in Forschung und Entwicklung fördern die Produktivität. Allerdings sind entsprechend ausgebildete Mitarbeiter/innen, Managementpraktiken, Prozessinnovationen und das regulative Umfeld wesentlich, damit die volle Wirkung entfaltet werden kann.
Kapitaleinsatz und technologischer Fortschritt
Die Arbeitsproduktivität kann als die Summe der Kapitalleistungen pro Beschäftigte/pro Arbeitsstunde (Kapitalvertiefung) und der Multifaktorproduktivität (MFP) definiert werden. Die Kapitalleistungen selbst werden durch die Investitionen bestimmt und können nach den Kategorien Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) und nicht-IKT (Gebäude, Maschinen, Transportausrüstung, Forschung und Entwicklung, intellektuelles Eigentum) aufgeschlüsselt werden.
Investitionen alleine bilden aber nur einen Aspekt der Produktivitätsentwicklung – der andere ist jener Teil der Wertschöpfung, der über den Arbeits- und Kapitaleinsatz hinausgeht, das wie im Produktionsprozess, die Multifaktorproduktivität. Sie umfasst sowohl die Produktionstechnologie und den technologischen Fortschritt als auch Prozessinnovationen, neue Geschäftsmodelle, Managementpraktiken, Qualitätsverbesserungen im Kapitalstock und des Arbeitseinsatzes sowie das institutionelle und wirtschaftspolitische Umfeld.
Das Produktivitäts-Wachstum in Österreich resultiert aus etwa gleichen Teilen von der Multifaktor-Produktivität und der Kapital-Vertiefung.
Jahresdurchschnittlich ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Stunde in Österreich im Beobachtungszeitraum um 1,2 % pro Jahr gewachsen, wovon 0,53 Prozentpunkte auf die MFP entfallen und 0,7 Prozentpunkte auf die Kapitalvertiefung.
Österreich weist somit einen ähnlich hohen Wachstumsbeitrag der Kapitalvertiefungen auf wie die USA, allerdings ist der MFP-Beitrag in den USA mit 0,85 Prozentpunkten deutlich höher als in Österreich. In Deutschland ist der Beitrag der Kapitalvertiefung geringer (0,4 Prozentpunkte), während die MFP 0,62 Prozentpunkte zum Wachstum der Arbeitsproduktivität von rund 1 % pro Jahr beiträgt. Die Schweiz weist mit 0,9 % pro Jahre das geringste Produktivitätswachstum auf, was sich aus gleichen Teilen aus der Kapitalvertiefung und der MFP zusammensetzt.
Investitionen schaffen Kapitalleistungen
Die Kapitalvertiefung wird durch die geleisteten Stunden und die Investitionen beeinflusst, die die Kapitalleistungen bestimmen. Die Kapitalleistungen sind jene Menge an Leistungen, die durch den kumulierten Bestand der vergangenen Investitionen (Kapitalstock) generiert werden. Die Lebensdauer einer Investition und die Abschreibungsmethode sind ausschlaggeben für die Höhe und Dauer der erbrachten Kapitalleistungen.
(Schreyer, 2003 - Anm: Die Kapitalleistungen entsprechen dem proportionalen Anteil (λ) der Summe zum Ende der τ-Perioden zurückliegenden diskontierten (δ) Investitionen I für Asset i zum Zeitpunkt t)
Die Kapitalleistungen sind proportional zum bestehenden Kapitalstock und den Nettoinvestitionen. Das Wachstum der Kapitalleistungen kann somit als Anteil der neu getätigten Investitionen am bestehenden (Netto-)Kapitalstock und der Produktivität dieser Investitionen dargestellt werden (Erumban, 2008).
Investitionen schaffen Kapital-Leistungen. Sie werden von der Lebensdauer und der Abschreibungs-Methode bestimmt.
Die Abbildung zeigt den Zusammenhang zwischen Nettoinvestitionen und Kapitalleistungen: Die horizontale Achse bildet den Anteil der Nettoinvestitionen am Kapitalstock ab, die vertikale Achse das Wachstum der Kapitalleistungen. Wenn die Werte über der 45-Grad-Linie liegen, dann erhöht eine weitere Einheit Kapital die Kapitalleistungen; liegen sie direkt darauf, dann halten die Nettoinvestitionen die Kapitalleistungen konstant; liegen sie darunter, sinken die Kapitalleistungen und die neu eingesetzte Einheit Kapital wäre weniger produktiv als die vorangegangenen Investitionen. Die Distanz zwischen den Punkten und der Linie beschreibt somit die Produktivität der Nettoinvestitionen bei der Schaffung von Kapitalleistungen. Je höher diese bei einer gegebenen Beschäftigung ausfallen, umso schneller wächst die Arbeitsproduktivität.
In Österreich erhöhten die Nettoinvestitionen die Kapitalleistungen: Von 2000 bis 2007 haben die Nettoinvestitionen 2,2 % des Kapitalstocks betragen und generierten zusätzliche Kapitalleistungen von 3,3 %. 2007 bis 2010 schufen nur 0,58 %
Nettoinvestitionen am Kapitalstock rund 2,4 % mehr Kapitalleistungen. Zwischen 2011 und 2015 ist zwar der Anteil der Nettoinvestitionen wieder gestiegen (1,4 %), die Kapitalleistungen sind aber nur um 1,9 % gewachsen.
In den USA beträgt der Anteil Nettoinvestitionen am Kapitalstock 0,72 %, die Kapitalleistungen sind aber um durchschnittlich 3 % pro Jahr gewachsen (2000 - 2015). Besonders hoch war die Produktivität jener Nettoinvestitionen, die zwischen 2000 und 2006 getätigt wurden. Ein ähnlich hohes Wachstum der Kapitalleistungen generierte die Schweiz (2,9 % pro Jahr), allerdings mit deutlich höheren Nettoinvestitionen (1,4 %). Deutschland bildet das Schlusslicht mit nur 1,4 % Wachstum der Kapitalleistungen pro Jahr und einer Nettoinvestitionsquote von 0,9 %.
In den USA und der Schweiz waren die Nettoinvestitionen produktiver als in Deutschland bzw. Österreich, mit einem geringeren Aufwand konnten mehr Kapitalleistungen geschaffen werden. Besonders ungünstig ist die Lage in Deutschland, wo mit nur etwas geringeren Investitionen als in der Schweiz kaum die Hälfte der Kapitalleistungen erreicht werden konnte.
Die Produktivität der Netto-Investitionen in der Schaffung neuer Kapital-Leistungen nimmt ab.
Durchschnittliche Veränderung in Österreich seit 2000: 1,4 % Netto-Investitionen am Kapitalstock, 2,5 % Wachstum der Kapital-Leistungen
Art der Investitionen ist wesentlich
Sowohl der Rückgang der Investitionsquote wie auch eine sinkende Produktivität neuer Investitionen sind Gründe für das schwache Wachstum der Arbeitsproduktivität sind. Diese Schlussfolgerung wird durch eine empirische Analyse gestützt, wonach der Rückgang der Investitionsquote ein wesentlicher Grund für die Abschwächung des Produktivitätswachstums in Österreich ist, da die Kapitalausstattung der Arbeitsplätze sinkt (Weyerstraß, 2017).
Neben der sinkenden Investitionsquote verändert sich auch die Zusammensetzung der Investitionen. Lag der Anteil der Neuinvestitionen am Kapitalstock im langjährigen Durchschnitt bei 2,6 %, ist dieser seit 2009 auf 1,4 % gesunken, während der Anteil der Ersatzinvestitionen relativ konstant bei 5 % liegt. Wichtig ist auch die Art der Investitionen: Relevant sind technologieintensive Investitionen in IKT oder Forschung und Entwicklung, während Wohnbauinvestitionen die Arbeitsproduktivität kaum beeinflussen (Sachverständigenrat, 2015).
Weshalb sich die Grenzproduktivität der Nettoinvestitionen reduziert hat, ist nicht ad hoc klar. Die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter/innen, sodass Fähigkeiten entwickelt werden können, um den technologischen Fortschritt zu nutzen, sowie neue Methoden und Prozesse optimal einzusetzen, spielt eine Rolle (Sachverständigenrat, 2015). Zudem hat sich der Anteil der immateriellen Investitionen seit dem Jahr 2000 etwa verdoppelt, sodass ein Teil der Investitionen nicht mehr auf die Kapitalvertiefung wirkt, sondern über die MFP in die Arbeitsproduktivität einfließt (Weyerstraß, 2016).
Investitionen in Informations- und Kommunikations-Technologie und Forschung und Entwicklung sind besonders produktiv.
Multifaktorproduktivität ist die Basis für langfristiges Wachstum
Unterschiede im MFP-Wachstum können langfristig als Hauptgrund für das langsamere Produktivitätswachstum in Europa im Vergleich zu den USA ausgemacht werden. Die MFP ist in Österreich in den letzten Jahren deutlich schwächer gewachsen als in Deutschland und dem EU-Durchschnitt. Da sie den technologischen Fortschritt ebenso wie Innovationen in Prozessen, Organisation oder Marketing, die Qualifikationen der Beschäftigten und die regulatorischen Rahmenbedingungen umfasst, können viele verschiedene Stellschrauben analysiert werden.
Die Multifaktorproduktivität wird insbesondere von (Grundlagen-)Forschung und Entwicklung beeinflusst. Investitionen in Bildung und Forschung sowie die Förderung von Innovationen im Unternehmenssektor bilden somit Ansatzpunkte für die Wirtschaftspolitik. In Österreich muss allerdings eine effektive Verwendung der bestehenden Mittel für Forschung und Entwicklung sowie Bildung gefunden werden, da zwar die Ausgaben auf hohem Niveau liegen, die ökonomischen Erträge in Österreich aber eher niedrig erscheinen (Weyerstraß, 2017).
Eine zentrale Aufgabe der Wirtschaftspolitik ist daher, eine umfassende Infrastruktur für innovative Systeme bereitzustellen sowie Talente zu fördern und/oder anzulocken. Zusätzlich muss in einer alternden Gesellschaft die Bildung und Weiterbildung der Erwerbstätigen gefordert und gefördert werden, um die Fähigkeit der Menschen zu unterstützen, diese neuen Technologien und Systeme adäquat zu nutzen und davon zu profitieren.Maßnahmen
Ein effektiver Einsatz der bestehenden Fördermittel für Forschung, Entwick-lung und Innovation muss sichergestellt werden.
Fazit
Investitionen, Technologie und Humankapital sind die Grundpfeiler für wachsende Arbeitsproduktivität und Wohlstand. Wirtschaftspolitik muss alle Bereiche im Blick haben und sie gemeinsam angehen, um spürbare Erfolge zu erzielen.
Referenzen
Erumban, A. A. (2008), Capital aggregation and growth accounting: a sensitivity analysis, EU KLEMS Working Paper, Juni 2008
Sachverständigenrat (2015), An den Ursachen ansetzen. In: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2015), Zukunftsfähigkeit in den Mittelpunkt rücken. S. 283-335, Wiesbaden, November 2015
Schreyer, P. (2003), Capital Stocks, Capital Services and Multi-Factor Productivity Measures, OECD Economic Studies No. 37, 2003/2
Weyerstraß, K. (2016), Analyse der Produktivität Österreichs im internationalen Vergleich, FIW Policy Brief Nr. 31, April 2016
Weyerstraß, K. (2017), Der Einfluss der Investitionen auf die Arbeitsproduktivität, Wirtschaftspolitische Blätter 2017(1),S.21-34, März 2017