Person beugt sich über Tisch in Konferenzzimmer und steckt eine kleine Schweizer Fahne mit weißem Kreuz auf rotem Hintergrund neben Fähnchen der Europäischen Union, auf der gelbe im Kreis verlaufende Sterne auf blauem Hintergrund angeordnet sind
© JackF | stock.adobe.com

Neues Abkommenspaket zwischen der EU und der Schweiz

Modernisierte und neue Abkommen als Grundlage für bilaterale Beziehungen

Lesedauer: 5 Minuten

23.01.2025

Am 20. Dezember 2024 wurde ein neues Abkommenspaket zwischen der EU und der Schweiz fertiggestellt, das die bilateralen Beziehungen auf eine neue Grundlage stellt. Ziel ist es, klare und stabile Rahmenbedingungen zu schaffen sowie Vorteile für Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger zu erzielen.

Die zehn modernisierten und neuen Abkommen umfassen folgende Bereiche: 

  • Freizügigkeit
  • EU-Programme | neu
  • Finanzielle Beiträge | neu
  • Konformitätsbewertungen
  • Sektorale Abkommen
    • Landverkehr
    • Luftverkehr
    • Landwirtschaftliche Erzeugnisse
    • Strommarkt | neu
    • Lebensmittelsicherheit | neu
    • Gesundheitsbedrohungen | neu

Zentrale Elemente des Abkommenspaket

Dynamische Rechtsübernahme

In allen Bereichen, in denen die Schweiz am Binnenmarkt teilnimmt, ist sie künftig verpflichtet, neues EU-Recht in die Schweizer Rechtsordnung zu übernehmen. Sie wird in den Entstehungsprozess einbezogen (decision shaping), kann aber nicht mitbestimmen (decision making).

Verweigert die Schweiz die dynamische Rechtsübernahme von EU-Recht, kann die EU Ausgleichsmaßnahmen ergreifen. Vereinzelte Ausnahmen sind weiter möglich. Gedeckt sind die Bereiche Personenfreizügigkeit, Land- und Luftverkehr, Landwirtschaft, Strom, Lebensmittelsicherheit, Konformitätsbewertungen.

Streitbeilegung

In allen Abkommen, die den Binnenmarktzugang regeln, entscheidet nun ein Schiedsgericht über Streitigkeiten. Muss das Schiedsgericht eine Frage des Unionsrechts klären, legt es diese dem Europäischen Gerichtshof vor, dessen Entscheidung bindend ist. Die Rechtsprechung des EuGH gilt für alle Abkommen, unabhängig ob die Urteile vor oder nach dem Inkrafttreten getroffen wurden.

Staatliche Beihilfen

Die Abkommen über Luftverkehr, Landverkehr und Strom beinhalten Bestimmungen über staatliche Beihilfen. Die Schweiz verpflichtet sich, ein Kontrollsystem für staatliche Beihilfen einzurichten, das ein gleichwertiges Überwachungs- und Durchsetzungsniveau wie das der EU bietet.

Freizügigkeit

Das Abkommen zur Personenfreizügigkeit wird durch eine maßgeschneiderte Version der Unionsbürgerrichtlinie ergänzt. Unionsbürger erhalten erweiterte Aufenthaltsrechte in der Schweiz, die Schweiz darf weiterhin keine Obergrenze festlegen. Eine Schutzklausel erlaubt bei ernsthaften wirtschaftlichen Problemen, Maßnahmen zur Beschränkung der Zuwanderung zu ergreifen. 

Ausnahmebestimmungen und flankierende Maßnahmen seitens der Schweiz

  • Daueraufenthaltsrecht nach fünf Jahren nur für Erwerbstätige
  • Meldepflicht für Stellenantretende wurde auf selbständige Erwerbstätige ausgedehnt (damit die auf 90 Tage beschränkte Dienstleistungsfreiheit nicht umgangen wird). 

Positiv ist, dass gleiche Studiengebühren für EU- und Schweizer Studierende künftig gelten, EU-Studierende haben jedoch keinen Anspruch auf Stipendien.

Lohnschutz und Entsendungen

Die Schweiz hat ihre 2004 eingeführten flankierenden Maßnahmen für Entsendungen aus der EU überarbeitet. Die WKÖ kritisiert diese Maßnahmen als diskriminierend, mit der Überarbeitung ist aber eine Abschwächung gelungen. 

  • Verkürzung der Voranmeldefrist für EU-Dienstleister von acht auf vier Kalendertage (nur in Risikobranchen)
  • Einschränkung der Kautionspflicht auf säumige Unternehmen. 

Die Kontrolldichte durch Schweizer paritätische Kommission wird jedoch beibehalten.

EU-Programme

Seit 2021 verweigerte die EU der Schweiz die Assoziierung an den EU-Programmen. Mit dem Abkommen wird die künftige Assoziierung der Schweiz an Horizon Europe, Euratom, ITER, Digital Europe, Erasmus+ und EU4Health vereinbart. Seit 2025 gelten Übergangsbestimmungen, Schweizer FTI Akteure können an Projektausschreibungen von Horizon Europe, Euratom und Digital Europe teilnehmen.

Von diesen Kooperationen profitieren auch österreichische Wirtschaftstreibende. Um die Teilnahme der Schweiz an den EU-Programmen zu ermöglichen, soll das Unionsprogramme-Abkommen als einziges schon ab Herbst 2025 unterzeichnet und vorläufig angewendet werden.

Finanzielle Beiträge | neu

Die Schweiz verpflichtet sich ab 2030 zu dauerhaften, jährlichen Kohäsionsbeiträgen an die EU. Das Abkommen präzisiert den Mechanismus für diese Beiträge. Von 2030 bis 2036 wurde der jährliche Beitrag von 350 Millionen Franken vereinbart. Bis dahin gelten Übergangsregelungen mit Beiträgen von 130 Millionen Franken jährlich. 

Konformitätsbewertungen (Mutual Recognition Agreement, MRA) | neu

Das MRA ermöglicht die gegenseitige Anerkennung von Produktzertifizierungen in Form eines einmal zu erbringenden Nachweises. Dies gilt für 20 Sektoren, darunter Medizinprodukte, Maschinen, elektrische Geräte und Pharmazeutika.

Seit 2021 verweigerte die EU aufgrund des ausstehenden Abkommenspaketes die Aktualisierung für Medizinprodukte. Zudem ist eine Schweizer Teilnahme an der EU-Marktüberwachung vorgesehen. Erst mit dem Inkrafttreten des Abkommens wird die Aktualisierung erfolgen.  Bis dahin gelten Übergangsbestimmungen.

Sektorale Abkommen im Detail 

Landverkehr

Das Abkommen regelt den grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr auf Straße und Schiene. Schutzmaßnahmen im Straßenverkehr bleiben weiter bestehen:

  • Höchstgrenzen LKWs bis 40-Tonnen
  • Nacht- und Sonntagsfahrverbot für LKWs
  • Verbot Kabotage
  • Schweizer Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe | LSVA mit Höchstsätzen bleibt
  • Kein Straßenausbau durch Alpen 

Im Schienenverkehr wurden gegenseitige Kabotagerechte eingeräumt, sofern freie Trassen zur Verfügung stehen. Die Trassenplanung und -sicherung (Netznutzungskonzept/ Netznutzungspläne) bleibt aber in nationaler Hand.

Ein Vorrang des nationalen Taktverkehrs von Personenzügen und im Güterverkehr ist in der EU und Schweiz möglich. Anders als in der EU können bestellte, grenzüberschreitende Angebote auf der Schiene weiter direkt von der Schweiz vergeben werden, ohne öffentliche Ausschreibung. wird. Zudem wurde eine Zusammenarbeit mit der EU-Eisenbahnagentur ERA vereinbart. 

Luftverkehr

Mit der Modernisierung können EU-Fluggesellschaften Inlandsflüge in der Schweiz anbieten und umgekehrt (Austausch von Kabotagerechten/8. und 9. Freiheit). Zudem wird die Schweizer Beteiligung am Forschungsprogramm SESAR 3 geregelt. 

Strommarkt | neu

Gegenseitige Öffnung der Strommärkte sowie Mitwirkung der Schweizer Akteure in EU-Handelsplattformen, Agenturen und Gremien wurde vereinbart.

Schweizer Verbraucher können ihren Stromlieferanten frei wählen, wobei flankierende Schutzmaßnahmen geplant sind. Exportbeschränkungen sind künftig unzulässig, selbst im Fall von Energiekrisen. Zudem wurden Kooperationen im Bereich erneuerbare Energien mit ambitionierten, aber unverbindlichen Zielen vereinbart. Über die Nutzung der Wasserkraft (Wasserzins und Konzessionsvergabe) kann die Schweiz weiterhin autonom entscheiden.

Landwirtschaftliche Erzeugnisse: Lebensmittel | neu

Das Abkommen erweitert das Landwirtschaftsabkommen auf die gesamte Lebensmittelkette und ermöglicht den Schweizern den Zugang zur Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).

Der gemeinsame Lebensmittelsicherheitsraum umfasst damit die bereits bestehenden Bereiche Pflanzengesundheit, Futtermittel und Saatgut, Handel mit Tieren und tierischen Erzeugnissen sowie die neuen Bereiche Handel mit nichttierischen Lebensmitteln und die Zulassung Pflanzenschutzmitteln. Schweizer Sonderregelungen im Bereich Tierschutz und gentechnisch veränderte Organismen bleiben bestehen. 

Gesundheitsbedrohungen | neu

Mechanismen zur Bewältigung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren, die Mitwirkung am Europäischen Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten und die Teilnahme am Programm EU4Health werden eingeführt.

Nächste Schritte 

In den kommenden Monaten werden die Abkommen finalisiert. Die Vertragstexte wurden daher noch nicht veröffentlicht. Das Abkommenspaket soll Anfang 2026 dem Schweizer Parlament vorgelegt werden, das Unionsprogramme-Abkommen sogar schon im Herbst 2025. Eine Volksabstimmung ist dann für 2027 geplant.

Auf EU Seite ist die Zustimmung von Rat und Parlament erforderlich, jedoch keine Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten.

Wirtschaftsbeziehungen 

Die Europäische Union und die Schweiz sind wirtschaftlich eng miteinander verbunden. Die EU ist für die Schweiz der wichtigste Handelspartner und umgekehrt ist die Schweiz viertwichtigste Exportdestination für Waren der EU. Für EU-Dienstleistungserbringer ist der Schweizer Markt der drittwichtigste Absatzmarkt nach den USA und dem Vereinigten Königreich.

Für Österreich ist die Schweiz der viertwichtigste Exportpartner für Waren. Im Jahr 2023 erreichte der Wert der exportierten Waren beinahe die 10 Milliarden Euro-Marke. Mit 5,7 Mrd. Euro an österreichischen Dienstleistungsexporten war die Schweiz 2023 nach Deutschland mit Abstand der zweitwichtigste Absatzmarkt österreichischer Dienstleistungsexporte.

Mehr Infos

Weitere interessante Artikel
  • Detailansicht ungeordneter Dokumenten mit Büroklammern zusammengefasst auf gelbem Hintergrund
    Weniger EU-Bürokratie – mehr Wettbewerbsfähigkeit für unsere Betriebe
    Weiterlesen
  • Halbrunde Europakarte mit kleinen Länderfähnchen in Karte gesteckt
    Prioritäten der belgischen EU-Ratspräsidentschaft
    Weiterlesen