SPIK - Sozialpolitik informativ & kurz
Newsletter Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit 28.3.2025
Lesedauer: 9 Minuten
Inhaltsübersicht
- Soll länger arbeiten, wer länger lebt?
- Deutsche Studie: Teilzeitbeschäftigte erschöpfter als Vollzeitarbeitnehmer
- Krebs und Arbeit: 80% kommen zurück!
- Rekordanteil der Arbeitnehmer am Wohlstandskuchen
- Terminaviso: Präsentation Fehlzeitenreport 2025
- FlexLex Arbeits- und Personalrecht
- „Irrtum Ruhestand“ von Gerhard Drexel
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Die Konjunktur springt (noch) nicht an, das Loch im Budget wird größer. Da fast 60% der Staatsausgaben auf Soziales und Gesundheit entfallen, stehen hier zahlreiche Sparmaßnahmen an. In Diskussion ist auch der größte Ausgabenposten, die Pensionen, wo Lebenserwartung und Demografie die Kosten in die Höhe treiben, aber niemand zahlen will.
In Diskussion auch stets die Arbeitszeit, die weiter zurückgeht. Dabei ist Vollzeit nach einer Studie nicht unbedingt belastender als Teilzeit.
Eine Krebsdiagnose ist immer Schock und Tragödie. Aber die Chancen für Patienten haben sich verbessert.
Nicht verbessert haben sich die Einkommen von Selbständigen und Unternehmensgewinne, die besonders unter der hartnäckigen Rezession leiden. Umso wichtiger sind hier Entlastungen!
Und am 2. Juli 2025 wird der neue Fehlzeitenreport präsentiert.
Abschließend noch ein nützlicher und ein spannender Buchtipp.
Alles Gute!
Rolf Gleißner
Soll länger arbeiten, wer länger lebt?
Angesichts des Budgetdefizits steht der größte Ausgabenposten, die Pensionen, wieder im Fokus von Politik und Medien. Lebenserwartung und Demografie treiben die Kosten. Aber niemand will zahlen.
Leben wir alle länger, sollten wir auch länger arbeiten. Eine einfache Rechnung, der auch die meisten EU-Länder folgen. Sie haben das Pensionsantrittsalter direkt oder indirekt an die steigende Lebenserwartung gekoppelt. Bei einem statischen Pensionsantrittsalter verlängert die steigende Lebenserwartung nämlich nur den Pensionsbezug, während die Erwerbszeit gleich bleibt. Die Folge: Die Pensionsausgaben klaffen immer weiter auseinander mit den Beitragseinnahmen. Diese Lücke kann man nur schließen, indem man 1. die Pensionen senkt, 2. die Beiträge erhöht oder 3. eben das Pensionsalter anhebt, also länger arbeitet.
Österreich hat den vierten Weg gefunden: Es steigt einfach der Zuschuss aus dem Bundesbudget immer weiter. Faktisch ist das Variante 2, weil auch hier die Last von den Menschen im Haupterwerbsalter getragen wird, die weit mehr an Steuern zahlen, als sie vom Staat bekommen. Ungünstigerweise werden diese demografiebedingt immer weniger, die Pensionisten immer mehr. Hier geben auch „Systembewahrer“ zu, dass zumindest das faktische Pensionsalter steigen müsste. Das suggeriert, dass kein Gesetz angefasst werden soll. Allerdings sind es Gesetze, die Frühpensionen ermöglichen – die Schwerarbeitspension mit 60 Jahren, die Langzeitversicherungs- und Korridorpension mit 62, die Invaliditätspension jederzeit, die Altersteilzeit bei Männern mit 60, bei Frauen mit 58, etc. Alle unantastbar?
Sollen nur Besserverdiener oder Gebildete länger arbeiten?
Nun soll laut Regierungsprogramm die Korridorpension auf 63 Jahre steigen. Das bringt den Betroffenen höhere Pensionen, langfristig aber aus demselben Grund keine Entlastung im Budget. Die würde eine generelle Erhöhung des gesetzlichen Pensionsalters von 65 Jahren bringen. Das sei ungerecht, meint der neue Finanzminister (und einzelne andere Ökonomen), weil Menschen mit gutem Einkommen und höherer Bildung länger leben als andere. Das klingt logisch, allerdings hat es jahrzehntelang niemanden gestört, dass Männer bei geringerer Lebenserwartung fünf Jahre länger arbeiten müssen als Frauen.
Dabei stimmt der Einwand: Wer mehr verdient, lebt im Schnitt länger. Ein viel stärkerer Zusammenhang besteht zwischen Bildung und Lebenserwartung: Männer mit Universitätsabschluss werden im Schnitt 83,2 Jahre, Männer mit Pflichtschulabschluss 76,7 Jahre alt.
Was beeinflusst die Lebenserwartung?
Heißt das, mehr Einkommen oder mehr Bildung führen zu längerer Lebenserwartung? Die eigentliche Wahrheit liegt wohl noch tiefer: Laut dem (verstorbenen) US-Ökonom Victor Fuchs unterscheiden sich die Menschen in ihrer Bereitschaft, heute auf etwas zu verzichten, um morgen belohnt zu werden. Diese Bereitschaft führe zu gesundem Verhalten, zu Bildungsdisziplin und zu Konsumverzicht und damit gleichzeitig zu mehr Lebenserwartung, Bildung und Einkommen.
Sollen also Besserverdiener oder Gebildete länger arbeiten müssen? Das Wesen der Sozialversicherung spricht gegen eine Differenzierung: Eine Pensionsversicherung soll unabhängig vom Risiko oder (Gesundheits)Verhalten des Einzelnen Sicherheit im Alter verschaffen – wer länger lebt, bekommt ebenso mehr heraus, wie der länger Arbeitslose eben mehr vom AMS erhält und der häufig Kranke mehr von der ÖGK. Niemand käme auf die Idee, letzteren weniger Leistungen zu geben oder höhere Beiträge abzuverlangen, wie auch WU-Ökonom Martin Halla kürzlich feststellte.
Das Pensionssystem differenziert bereits
Zweifellos wirken auch andere Faktoren auf die Lebenserwartung, die unser Pensionssystem aber berücksichtigt: Schwerarbeiter sind aufgrund ihrer Arbeit stärker belastet, daher die Schwerarbeitspension. Wer schon seit seiner Jugend einzahlt, hat das System lange finanziert, daher die Langzeitversicherungspension. Wer berufsunfähig ist, hat ein Anrecht auf Unterstützung, daher die Invaliditätspension.
Fazit: Die Menschen im Haupterwerbsalter werden weniger, die Menschen im Pensionsalter mehr. Zudem leben wir länger. Dieser Gewinn an Lebenszeit sollte nicht nur den Pensionsbezug, sondern auch das Erwerbsleben verlängern - wie in anderen Ländern auch. Nur das ist nachhaltig im Sinne junger und künftiger Generationen.
Wir haben eine demografische Bombe, was das Budget betrifft… Ich finde es wirklich schlimm, dass sich die Regierung offensichtlich wieder nicht traut, das Pensionsantrittsalter langfristig anzuheben.
Fiskalratspräsident Christoph Badelt
in der ORF-Pressestunde am 16.3.202
Deutsche Studie: Teilzeitbeschäftigte erschöpfter als Vollzeitarbeitnehmer
Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat den Zusammenhang zwischen der Länge der Arbeitszeit und Erschöpfungszuständen untersucht. Demnach ist Vollzeit keineswegs belastender als Teilzeit.
Die Studie wertet Erkenntnisse der Arbeitszeiterhebung durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin aus. Es zeigt sich, dass eine Vollzeitbeschäftigung (35-40 Stunden pro Woche) seltener zu emotionaler oder körperlicher Erschöpfung führt als Teilzeit unter 35 Stunden. Teilzeit führt demnach gleich oft zu Erschöpfung wie Vollzeit mit Überstunden (40-48 Stunden). Dies widerspricht der Argumentation von Befürwortern der Viertagewoche, nach denen eine kürzere Arbeitswoche zur Förderung der Gesundheit notwendig wäre.
Erst über 48 Stunden ändert sich das Bild: Beschäftigte, die mehr als 48 Stunden pro Woche arbeiten, berichten häufiger über Erschöpfung und Stress. Doch auch hier ist zu differenzieren: Führungskräfte und Experten, die größere Handlungsspielräume haben, arbeiten oft mehr als 48 Stunden und berichten nicht von negativen Auswirkungen auf ihre Arbeitszufriedenheit. Nach EU-Recht ist ein dauerhaftes Arbeiten über 48 Stunden ohnehin nur bei leitenden Angestellten zulässig.
Andere Faktoren wichtiger als Arbeitszeit
Die Arbeitszeit dürfte also eine geringere Rolle für die empfundene Belastung spielen als andere Faktoren, wie die Art der Tätigkeit, der Gestaltungsfreiraum, die persönliche Situation, Spaß an der Arbeit oder der Wunsch nach beruflichem Aufstieg und höherem Einkommen. Das zeigt auch, dass für viele Arbeitnehmer die Arbeitszeitgestaltung und –belastung nicht nur von externen Druckfaktoren, sondern auch von eigenen Prioritäten beeinflusst wird.
Diese Ergebnisse entsprechen auch dem deutschen Fehlzeitenreport, wonach Teilzeitbeschäftigte durchwegs mehr Krankenstandstage aufweisen als Vollzeitbeschäftigte.
Übrigens geht der Trend in Deutschland wie in Österreich zu kürzerer Arbeitszeit. Die Zahl der Überstunden ist in Österreich seit 2019 um über 90 Mio zurückgegangen, das ist etwa eine halbe Überstunde pro Kopf und Woche. Die Arbeitnehmer arbeiteten 2024 im Schnitt um fast zwei Stunden pro Woche kürzer als 2019.
Fazit: Erschöpfung und Krankenstände hängen von vielen Faktoren ab, die Arbeitszeit spielt eine erstaunlich geringe Rolle. Eine Arbeitszeitverkürzung hat viele Auswirkungen – aber nicht auf die Gesundheit.
Quellen:
Studie zu Arbeitszeit und Erschöpfung
Arbeitskräfteerhebung 04/2024
von Mag. Pia-Maria Rosner-Scheibengraf, Dr. Ingomar Stupar
Krebs und Arbeit: 80% kommen zurück!
Menschen mit einer Krebsdiagnose können gut wieder ins Arbeitsleben integriert werden: 80% der betroffen Erwerbstätigen sind ein Jahr nach Diagnose wieder berufstätig, so der Krebsreport.
Die 4. Ausgabe des Österreichischen Krebsreports beleuchtet die psychosozialen Folgen von Krebs, insbesondere bei Erwerbstätigen. Im Jahr 2023 erkrankten insgesamt 46.518 Personen in Österreich an Krebs. Die Häufigkeit (Prävalenz) ist in den letzten zehn Jahren um 27,8% gestiegen, was auf die demografische Alterung, steigende Lebenserwartung und verbesserte Überlebenschancen zurückzuführen ist. Die Wahrscheinlichkeit der Erkrankung (Inzidenz) ist hingegen stabil.
Jährlich 8.500 Erwerbstätige betroffen
In Österreich leben derzeit rund 140.000 Menschen im Alter von 15 bis 64 Jahren mit oder nach einer Krebsdiagnose. Die meisten Menschen erkranken im hohen Alter an Krebs, aber jede dritte Neuerkrankung, also rund 15.000 pro Jahr, betrifft die Altersgruppe 15-64 Jahre. Von diesen stehen wiederum fast 60%, also 8.500 im Erwerbsleben. Die häufigsten Krebsarten in dieser Altersgruppe sind Brustkrebs, Magen-Darm-Krebs, Lungenkrebs, Prostatakrebs, Blutkrebserkrankungen und Melanome.
Eine Krebsdiagnose ist immer ein Schock und eine menschliche Tragödie. Erwerbstätige sind mehrfach betroffen – gesundheitlich, aber auch beruflich und damit in ihrem Einkommen. Immerhin sind ein Jahr nach der Diagnose 80,1% der Betroffenen wieder oder weiterhin erwerbstätig. 9% der Erkrankten – vor allem Ältere - sind nach einem Jahr in Pension.
Frauen kehren seltener in das Arbeitsleben zurück als Männer. Über 50 Jahre sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr deutlich, ebenso bei Betroffenen unter 25 Jahren. Höhere Bildung erhöht hingegen die Chancen, beruflich aktiv zu bleiben. Und natürlich beeinflussen Art und Stadium der Krebserkrankung die Erwerbsfähigkeit stark.
Im EU-Vergleich steht Österreich übrigens gut da: Wir verzeichneten 2022 fast die niedrigsten Krebsneuerkrankungsraten (Platz 25 bei Frauen, 26 bei Männern) und liegen auch in der Krebssterblichkeit im unteren EU-Drittel (Männer: Rang 22, Frauen: Rang 20).
Viele Instrumente zur Unterstützung von Patienten
In Österreich gibt es eine Vielzahl an Instrumenten, die Krebspatienten bei der Wiedereingliederung unterstützen. Die Wiedereingliederungsteilzeit ermöglicht es Arbeitnehmern, nach einer Erkrankung für bis zu sechs Monate Teilzeit zu arbeiten. Die Arbeitsassistenz Krebs und Beruf richtet sich an Krebspatienten im erwerbsfähigen Alter, die ihren bestehenden Arbeitsplatz sichern oder einen neuen Arbeitsplatz suchen möchten. Je nach Krankheitsbild wird (befristet) der Behindertenstatus zuerkannt, was den besonderen Kündigungsschutz auslöst und spezielle Lohnzuschüsse für den Arbeitgeber ermöglicht. Auch die Krebshilfe hat eigene Angebote.
Auch für Unternehmen ist die Erkrankung eines Mitarbeiters eine Herausforderung, der man sensibel und sozial verantwortungsvoll begegnen sollte. Mögliche Instrumente sind flexible Arbeitszeit, Homeoffice, gesundheitsfördernde Maßnahmen und die Vereinbarung einer Wiedereingliederungsteilzeit.
Weiterführende Links:
https://www.krebsreport.at
Krebserkrankungen in Österreich 2025 - Ergebnisse im Überblick
Zur Aktion „Gemeinsam gegen Krebs“ der SVS: https://www.svs.at/krebsvorsorge
von Mag. Maria Cristina de Arteaga
Rekordanteil der Arbeitnehmer am Wohlstandskuchen
Die Lohnquote gibt den Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen wieder, der Rest entfällt auf Unternehmensgewinne und Einkommen von Selbständigen. Laut WIFO erreicht der Anteil der Arbeitnehmer den höchsten Wert seit 30 Jahren, der Anteil der Selbständigen und Unternehmen ist auf einem Tiefpunkt. Die hartnäckige Rezession trifft letztere daher weit stärker als die Arbeitnehmer und Pensionisten.
Das ist kein Wunder: Die Lohnabschlüsse der Sozialpartner und die gesetzlichen Pensionserhöhungen haben die Kaufkraft der Arbeitnehmer und Pensionisten in der Krise abgesichert. Hingegen kommen die Selbständigen und Unternehmen in die Doppelmühle aus massiven Kostensteigerungen und Auftragsflaute. Umso wichtiger sind hier Entlastungen!
Terminaviso: Präsentation Fehlzeitenreport 2025
Seit 2007 ist der Fehlzeitenreport jährlicher Fixpunkt. Er ist ein sozialpartnerschaftliches Projekt und wird vom Dachverband der Sozialversicherungsträger, der Arbeiterkammer und der Wirtschaftskammer beauftragt und vom WIFO erstellt.
Programm und Anmeldemöglichkeit folgen.
WANN: Mittwoch, 2. Juli 2025, 10:00-13:00 Uhr
WO: Dachverband der Sozialversicherungsträger; Veranstaltungszentrum
Kundmanngasse 21, 1030 Wien
FlexLex Arbeits- und Personalrecht
Die Gesetzessammlung ist nunmehr in zweiter Auflage erschienen. Die Autoren Hitz und Schrenk bilden darin eben dem Arbeitsrecht auch praxisrelevante Teile des Sozialversicherungs- bzw. Steuerrechts ab. Weiters finden sich Gesetzesmaterialien von jüngeren Novellen sowie FAQ und QR-Codes im Werk. Zusätzliche Recherchen erspart man sich dadurch.
FlexLex Arbeits- und Personalrecht von Wolfram Hitz, Florian Schrenk - 978-3-99071-386-0
„Irrtum Ruhestand“ von Gerhard Drexel
Angesichts der Widerstände gegen ein höheres Pensionsalter entsteht fast der Eindruck, im postchristlichen Zeitalter kommt das Paradies mit der (Früh)Pension. Nach Gerhard Drexel, dem ehemaligen Spar-Chef, ein Irrtum, den er in seinem Buch „Irrtum Ruhestand“ ausführt. Ein passiver Ruhestand oder bloßer Freizeitstress werden dem Menschen nicht gerecht und schaden sogar der Gesundheit.
Inspiriert von den Lehren des großen Psychiaters Viktor Frankl, zeigt Drexel auf, dass berufliche, ehrenamtliche, jedenfalls sinnstiftende Tätigkeit auch im Alter das Leben bereichern und sogar verlängern.
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