SPIK - Sozialpolitik informativ & kurz
Newsletter Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit 28.2.2025
Lesedauer: 7 Minuten
Inhaltsübersicht
- Sozial- und gesundheitspolitische Punkte im Regierungsprogramm 2025-2029
- EU & Bürokratieabbau: Die Botschaft hör ich wohl…
- Es irrt der Mensch, solang er strebt
- Frauen 60 plus sind auf dem Arbeitsmarkt gut angekommen
- “The power of demography for Europe's future"
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
„was lange währt, wird endlich gut“: Nach fünf Monaten gibt es ein Regierungsprogramm mit vielen Maßnahmen und Projekten in den Bereichen Arbeitsrecht, Arbeitsmarkt, Gesundheit und Sozialversicherung. Die wichtigsten haben wir zusammengefasst. Angesichts der Wirtschafts- und Finanzlage gibt es viel zu tun.
Ein ewiges Projekt ist der Bürokratieabbau. Die Europäische Kommission will ihn angehen, jetzt aber wirklich…
Fünf Jahre Covid – im Nachhinein ist man klüger und erkennt die typischen Wahrnehmungsfehler, denen alle – Politik, Bürger, Medien, Wissenschaft – unterliegen.
Seit 1.1.2024 steigt das Frauenpensionsalter. Der Arbeitsmarkt hat das zusätzliche Angebot – trotz Rezession – gut aufgenommen.
Und schließlich ein Beitrag, nach dem die Demografie die Zukunft Europas bestimmt.
Alles Gute!
Rolf Gleißner
Sozial- und gesundheitspolitische Punkte im Regierungsprogramm 2025-2029
Angesichts der Wirtschafts- und Finanzlage gibt es viel zu tun. Das Regierungsprogramm enthält auf 211 Seiten eine Unzahl an Maßnahmen und Projekten in den Bereichen Arbeitsrecht, Arbeitsmarkt, Gesundheit und Sozialversicherung. Viele stehen im Kapitel Gesundheit, Pflege, Soziales & Arbeit, noch viel mehr Punkte sind aber verstreut in verschiedenen Kapiteln. Die wichtigsten haben wir zusammengefasst.
Sozial- und gesundheitspolitisch Punkte (pdf)
EU & Bürokratieabbau: Die Botschaft hör ich wohl…
Europäische Kommission will weniger Bürokratie und mehr Fachkräfte
Im Arbeitsprogramm 2025 will die Europäischen Kommission die Verwaltungslasten für Unternehmen um mindestens 25% verringern. Der Bereich Soziales ist aber ausgenommen, hier kommen eher Vorschriften hinzu.
Unter dem Motto „Gemeinsam vorankommen: Eine stärkere, einfachere und schnellere Union“ will die Kommission die Verwaltungslasten um mindestens 25%, für KMU sogar um mindestens 35% reduzieren. Dies soll durch eine Reihe von "Omnibus"-Vereinfachungsvorschlägen erreicht werden, das sind Rechtsakte, die gleichzeitig in viele Verordnungen und Richtlinien eingreifen. Konsultationen und Stakeholder-Dialoge sollen sicherstellen, dass die Bedürfnisse der Unternehmen besser berücksichtigt werden.
In der Theorie weniger Bürokratie, in der Praxis immer mehr…
Im Fokus der Kommission stehen das Lieferkettengesetz, die Nachhaltigkeitsberichterstattung und die Taxonomie-Verordnung. Hingegen ist der Bereich Soziales vom Vorhaben ausgenommen. Im Gegensatz zu den Zielen der Kommission kommen etwa im Arbeitnehmerschutz und im Arbeitsrecht stetig Vorschriften und Vorgaben hinzu: Aktuell ist etwa die EU-Lohntransparenzrichtlinie umzusetzen, die Unternehmen ab 100 Mitarbeiter zur genauen Auswertung von Löhnen, zu Konsultationen und teilweise zu Lohnkorrekturen zwingen wird. Auch will die EU gerade Praktika stärker regulieren. Schließlich erschwert der EuGH Unternehmen etwa mit seinen Entscheidungen zur Wochenendruhe, Gleichbehandlung und Vergütung von Mehrleistungen das Leben.
Immerhin zog die Kommission überraschend die Gleichbehandlungsrichtlinie zurück. Dieser Vorschlag sollte den Schutz vor Diskriminierung auf Bereiche außerhalb der Arbeitswelt erweitern, doch viele Mitgliedstaaten bezweifelten die Zuständigkeit der EU und die praktische Umsetzbarkeit.
Mehr Fachkräfte und mehr Kontrolle über Zuwanderung
Dafür enthält das Arbeitsprogramm weitere Vorschläge zur Beschäftigungs- und Gesundheitspolitik: Rund um den Weltfrauentag am 8. März wird die Roadmap für Frauenrechte vorgestellt, die die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt fördern soll. Gleichzeitig wird die Union of Skills veröffentlicht mit den bildungspolitischen Maßnahmen der ganzen Legislaturperiode. Bestehende Initiativen wie der EU Talent Pool und der Aktionsplan für digitale Bildung sollen weiterentwickelt werden. Noch heuer soll auch die Quality Jobs Roadmap veröffentlicht werden, die faire und nachhaltige Arbeitsverhältnisse in der EU fördern soll. Offen ist, wie das geschieht, Themen sind u.a. Telework, das Recht auf Nichterreichbarkeit und KI am Arbeitsplatz.
Die Europäische Strategie für Migration und Asyl soll der einzige legislative Vorschlag zur Beschäftigungspolitik sein. Diese Strategie soll den Zugang qualifizierter Arbeitskräfte zum EU-Arbeitsmarkt erleichtern, die Integration verbessern, die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern vertiefen, und insgesamt die Migration besser steuern.
Am 11. März soll der Critical Medicines Act veröffentlicht werden. Er soll im Rahmen der Preparedness Union Strategy die Unabhängigkeit der EU bei wichtigen Arzneimitteln und Medizinprodukten stärken. Bis Mitte 2025 wird auch eine neue Strategie für medizinische Maßnahmen erwartet, die die EU widerstandsfähiger gegen künftige Pandemien und Krisen machen soll.
Fazit: Das Ziel des Bürokratieabbaus ist gut und wichtig, bezüglich der Umsetzung fällt einem aber Goethes Faust ein: „Die Botschaft hör´ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Denn bisher sind stets Vorschriften hinzu- und kaum jemals weggekommen. Der Grund ist einfach: Bürokratie ist schlecht, aber hinter den meisten Vorschriften steht ein legitimes Interesse – Klimaschutz, Arbeitnehmerschutz, Datenschutz, etc.
Es irrt der Mensch, solang er strebt
Fünf Jahre nach COVID: Lockdowns und andere Wahrnehmungs- und Denkfehler
Politiker sollten Sachprobleme lösen, also rational entscheiden, der Bürger sich als „Homo Oeconomicus“ verhalten. Tatsächlich unterliegen Politiker, Bürger und Medien Denk- und Wahrnehmungsfehlern. Das zeigte sich vor allem in der Pandemie.
Ab dem 16. März 2020 verfügte die österreichische Regierung einen bundesweiten Lockdown, der am 1. Mai 2020 aufgehoben wurde. Dem folgten vier weitere harte Lockdowns – mehr als in jedem anderen Land. Der Hauptgrund: Die Entlastung der Spitäler von Covid-Erkrankten. Dabei hat Österreich im Schnitt die drittmeisten Spitalsbetten in der EU. Wie kam es zu den teilweise überzogenen Entscheidungen? Zeitdruck, Risken, eine unvollständige Datenlage, etc. erklären vieles. Tatsächlich zeigten sich an der Covid-Politik Wahrnehmungs- und Denkfehler, wie sie in politischen Prozessen häufig vorkommen.
Etwa der klassische Fokusfehler, der dadurch entsteht, dass man sich mit einem Thema oder Aspekt befasst, gleichzeitig damit zusammenhängende Aspekte und Effekte vernachlässigt. Während der Pandemie dominierte die Sicht der Virologen: Im Vordergrund stand die Vermeidung von Covid-Infektionen und -Erkrankungen. Die Kollateralschäden der Gegenmaßnahmen bis hin zu Lockdowns wurden nicht ausreichend berücksichtigt, etwa gesundheitliche Auswirkungen wie die Vernachlässigung anderer Erkrankungen, soziale wie Isolation, der Ausfall von Schulunterricht und Kinderbetreuung, wirtschaftliche, psychische Effekte, etc.
Das lag auch daran, dass sich die positiven Effekte (die Vermeidung von Infektionen) sofort und messbar zeigten, während die Kollateralschäden oft erst längerfristig eintraten und intransparent waren. Damit waren die Lockdown-Entscheidungen auch ein Beispiel für Verfügbarkeitsheuristik, bei der vor allem bekannte, offensichtliche Informationen und Effekte berücksichtigt werden. Weiters zeigte sich darin der Present Bias, also die Neigung des Menschen, in der Gegenwart Nachteile (z.B. Infektionen) zu vermeiden bzw. Vorteile vorzuziehen, auch wenn damit weit größere Nachteile in der Zukunft entstehen.
Affektheuristik: Gefühle entscheiden
Schließlich waren die Entscheidungen für Lockdowns und andere harte Maßnahmen auch Folge der Affektheuristik, bei der der Mensch aufgrund seiner Gefühle entscheidet. Gegen die Bilder aus Bergamo, von Leichensäcken, überforderten Spitälern, etc. kamen rationale Kosten-Nutzen-Erwägungen nicht an. Die Frage nach dem Wert eines Menschenlebens in Euro wirkt unmenschlich, ist aber im Gesundheitssystem oder im Straßenverkehr zu beantworten.
Auch bei aktuellen politischen Fragen schlagen Wahrnehmungsfehler zu: Ein Beispiel für den Fokusfehler ist die Bürokratie – alle politischen Akteure bekennen sich zum Abbau, dennoch nehmen Vorschriften permanent zu. Der Fokus auf Bürokratie erzeugt das Bild lästigen Aufwands, der Fokus auf die (meist) legitimen Ziele dahinter erzeugt hingegen Sympathie. So bürdet die aktuelle EU-Lohntransparenz-Richtlinie Unternehmen aufwändige Pflichten auf (negativ) mit dem Ziel, Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern zu verringern (positiv).
Der Present Bias: Leben auf Kosten der Zukunft
Allgegenwärtig bei individuellen und politischen Entscheidungen ist der Present Bias: Eine Pensionsreform etwa macht die Regierung nicht beliebter und verschafft erst langfristig, also der (über)nächsten Regierung finanziellen Spielraum. Zudem sind die Vorteile - weniger Schulden, Spielräume für Bildung, Innovation – nicht so transparent wie die Nachteile für künftige Pensionisten (Fokusfehler). Aus den selben Gründen vernachlässigen Mensch und Politik immer noch die Prävention, also gesundes Verhalten, Vorsorgeuntersuchungen, Impfungen, etc. Denn der Aufwand wird sofort fällig, während die Gesundheitseffekte ungewiss sowie schwer messbar sind und erst in Zukunft eintreten.
Verlustaversion bedeutet, Verluste werden stärker gewichtet als Gewinne des gleichen Betrags. Dadurch werden Reformen etwa auch im Gesundheitssystem blockiert, weil alle Seiten ein Problem zwar erkennen, aber den eigenen Beitrag höher bewerten als den Beitrag des anderen bzw. den bekannten Verlust höher als den ungewissen, künftigen Gewinn. Unter anderem diese Haltung verhindert etwa den umfassenden Austausch von Gesundheitsdaten unter den Akteuren.
Fazit: „Es irrt der Mensch, solang er strebt“, schreibt Goethe in Faust. Politische Akteure unterliegen ebenso wie Medien, Bürger und die Wissenschaft oft Denk- und Wahrnehmungsfehlern. Das ist in der Gesundheits- und Sozialpolitik mit ihren emotionalen, kontroversen Themen verständlich, aber auch problematisch, weil die Entscheidungen hier viele Menschen und enorme Ressourcen betreffen und daher rational im Sinne der Nutzenmaximierung getroffen werden sollten.
Frauen 60plus sind auf dem Arbeitsmarkt gut angekommen
Seit 1.1.2024 steigt das Frauenpensionsalter stufenweise: Für Frauen ab dem Geburtsjahrgang 1964 erhöht sich das gesetzliche Pensionsantrittsalter jährlich um ein halbes Jahr, bis es 2033 65 Jahre, das Alter der Männer, erreicht.
Ein Blick auf die Arbeitsmarktdaten 2024 zeigt – trotz Rezession - ein schönes Bild für Frauen 60plus. Endlich sind sie dort angekommen, wo sie der Arbeitsmarkt schon lange dringend braucht – in Beschäftigung: Die Zahl der unselbständig Beschäftigten hat sich von Dezember 2023 bis Dezember 2024 von 16.000 auf 31.200 verdoppelt.

Zwar ist auch die Zahl der arbeitslosen Frauen über 60 Jahre gestiegen: Aber 85% der zusätzlichen weiblichen Erwerbspersonen sind in Beschäftigung, nur 15% entfallen auf Arbeitslosigkeit. Dazu passt, dass laut AMS zuletzt 76% der Pensionsantritte von Frauen aus Beschäftigung und nur 6,8% aus Arbeitslosigkeit heraus erfolgten.
von Mag. Maria Kaun
“The power of demography for Europe's future"
Die Demografie hat massive Auswirkungen auf Europas Zukunft, weshalb die EU und ihre Mitgliedstaaten gegensteuern müssen, schreibt Christa Schweng, Mitglied des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses und Berichterstatterin für die EWSA-Stellungnahme The impact of demography on Social Europe.
www.openaccessgovernment.org/the-power-of-demography-for-europes-future/187924/
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