Sparte Industrie

Polnischer EU-Ratsvorsitz vor riesigen Herausforderungen

Informationen der Bundessparte Industrie

Lesedauer: 2 Minuten

27.01.2025

Polen hat mit 1. Jänner 2025 die Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union in einer Zeit des Wandels innerhalb und außerhalb der Union übernommen.

Die EU, die mit einer schleppenden Wirtschaft zu kämpfen hat, bereitet sich auf Donald Trump im Weißen Haus unter dem Motto „America First“ und die mögliche Einführung von US-Zöllen auf europäische Exporte vor. Sie ist außerdem mit sich verschlechternden Handelsbeziehungen zu China und Russlands zermürbendem Krieg in der Ukraine konfrontiert, und das alles zu einer Zeit, in der die beiden federführenden Mitgliedstaaten, Frankreich und Deutschland, durch eine volatile innenpolitische Lage abgelenkt sind. Damit noch nicht genug, beginnt auch in der EU ein neuer legislativer Zyklus mit einer neuen Kommission, die im Dezember 2024 ihre Arbeit aufgenommen hat, sowie dem nun ebenfalls arbeitsfähigen neuen Parlament.

Unter dem übergreifenden Motto „Stärkung der europäischen Sicherheit“ wird sich Polen auf sieben Arbeitsbereiche konzentrieren (Verteidigung und Sicherheit, Schutz von Menschen und Grenzen, Widerstand gegen Einflussnahme aus dem Ausland und Desinformation, Gewährleistung der Sicherheit und Freiheit von Unternehmen, Energiewende, wettbewerbsfähige und widerstandsfähige Landwirtschaft, Gesundheitssicherheit). Polen ist um Stabilität und Einheit innerhalb der Union bemüht und tritt mit einem versierten Team an. So hat die nun stellvertretende ständige Vertreterin des Landes in Brüssel bereits als Generaldirektorin für Kommunikation des Rates gearbeitet. Der polnische Ministerpräsident selbst, Donald Tusk, war bereits Präsident des Europäischen Rates und zuvor Vorsitzender der Europäischen Volkspartei. Er war es auch, der 2011 die erste polnische Ratspräsidentschaft leitete.

Ein übergeordnetes Leitmotiv im Sinne des breiten Sicherheitsfokus des Vorsitzes ist die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der EU. Das Hauptziel ist es, den Binnenmarkt weiter zu vertiefen, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und regulatorische sowie administrative Hürden abzubauen. Die Arbeiten stützen sich maßgeblich auf den jährlichen Binnenmarkt- und Wettbewerbsfähigkeitsbericht der Kommission, der im ersten Quartal 2025 vorgelegt werden soll, sowie auf die für Juni 2025 geplante horizontale Binnenmarktstrategie.

Im Bereich Industrie sollen die Verhandlungen zum Industrial Decarbonisation Accelerator Act als wesentliches Legislativdossier zur Umsetzung des Clean Industrial Deal beginnen. Daneben wird die Ratspräsidentschaft die Unterstützung der energieintensiven Industrien (insbesondere Chemie-, Stahl-, Automobilsektor) sowie die Implementierung abgeschlossener Legislativdossiers (European Chips Act, Critical Raw Materials Act, Net-Zero Industry Act) forcieren. Mit Blick auf die bessere Rechtsetzung werden die Themen Reduzierung der Verwaltungslasten und umfassende Folgenabschätzungen weiterhin im Mittelpunkt der Debatten stehen.

Im Bereich Energie sollen die Energiesicherheit, die Unterstützung für die Ukraine und die Wettbewerbsfähigkeit priorisiert werden. Dabei sind insbesondere auch das Auslaufen des Gastransitabkommens durch die Ukraine, die Umsetzung der Zielsetzungen von REPowerEU sowie der erwartete Vorschlag der Kommission zur Verlängerung der Gasspeicher-Verordnung von Bedeutung. Zudem ist die Erarbeitung von Ratsschlussfolgerungen zur Energiesicherheit geplant. Erschwingliche Energiepreise werden auch im Hinblick auf die Präsentation des Clean Industrial Deal im Zentrum stehen.

Die große Aufgabe für Polen wird es also sein, sowohl bestehende Dossiers voranzutreiben – quasi das Tagesgeschäft des Ratsvorsitzes – als auch die Einheit innerhalb der Union angesichts der drängendsten aktuellen Fragestellungen – Stichwort Ukrainekrieg, Trump, China – sicherzustellen. Das zentrale Thema, das alle diese Herausforderungen eint, und auch schon, zumindest am Papier, zum neuen Mantra der Kommission erkoren wurde, ist die Wettbewerbsfähigkeit. Hier kann ein entschlossener Ratsvorsitz, der die Zeichen der Zeit zu deuten und sich auftuende Möglichkeiten zu nutzen weiß, durchaus das Ruder auf den richtigen Kurs setzen. Denn auch bei den vielfältigen Themenstellungen, die sich hinter den Bekenntnissen zur Unterstützung der Industrie verbergen, besteht nicht immer Einigkeit zwischen den Mitgliedstaaten. Während der Zeit des Ratsvorsitzes könnte die polnische Regierung innenpolitischen Gegenwind erhalten, sollte am 18. Mai 2025 in Warschau der Präsidentschaftskandidat der oppositionellen, rechtskonservativen PiS-Partei den Vorzug der Wähler:innen bekommen. Ministerpräsident Tusk muss daher einen Balanceakt wagen, um mit seinem betont pro-europäischen Auftreten kein innenpolitisches Porzellan zu zerschlagen.

Autor:

Clemens Rosenmayr, MSc, MSc, BSc
E-Mail: clemens.rosenmayr@wko.at

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