BSI-Obmann Menz: Politik im Gegenwind
Kommentar des Obmannes Mag. Sigi Menz
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Konkrete Daten bestätigen den Eindruck, den man aufgrund der Wahlergebnisse des Jahres bereits gewinnen konnte: Noch nie haben Regierungen, Regierungsparteien und deren Kandidatinnen bzw. Kandidaten ein solches Ausmaß an Gegenwind durch die Wähler erfahren, wie im „Superwahljahr“ 2024. Dies sollte ein Weckruf sein, künftig wieder stärker auf die handwerkliche Qualität der Regierungsarbeit zu achten.
Ein Journalist der Financial Times hat kürzlich Daten veröffentlicht, die zeigen, dass im Jahr 2024 bei allen (wesentlichen) Wahlgängen die Amtsinhaber ausschließlich Niederlagen erlitten haben, oft in deutlichem Ausmaß. Die Datensätze, die immerhin einen Zeitraum von nahezu 120 Jahren umfassen, zeigen eine Abwahlstimmung, die es in diesem Ausmaß noch nie gegeben hat. Diese Haltung war nicht ideologisch motiviert, denn sie hat Regierungen unterschiedlichster politischer Schattierungen getroffen.
Wahlverlierer neigen dazu, ihre Niederlagen auf undankbare, unverantwortliche oder schlecht informierte Wähler zurückzuführen. Das ist eine sehr billige, weitgehend falsche Erklärung. Die unternehmerische Erfahrung zeigt zudem: Auf schlechte Ergebnisse mit Kritik an den Kunden zu reagieren ist kein Rezept für künftige Erfolge.
Viele Wähler teilen eine Erfahrung, die auch die Industrie macht: Die Aufmerksamkeit der Politik verhält sich oft verkehrt proportional zur Bedeutung von Themen, wodurch wichtige Fragen schlicht ungelöst von Regierungsperiode zu Regierungsperiode weiter gereicht werden; symbolische Politik und mediale Selbstdarstellung übertrumpfen die Sacharbeit; und ideologische Rechthaberei verhindern oft schon von Vornherein eine solide Analyse von Problemen und beschädigen überdies die Basis der Zusammenarbeit.
Daraus erwächst zunächst einmal das Problem, dass politische Lösungen viel zu oft weit hinter jenen Möglichkeiten zurückbleiben, die erreichbar wären. Dies ist schon unangenehm genug, da es die Lebenschancen vieler Menschen negativ berührt, aber auch die gesellschaftliche und nicht zuletzt die wirtschaftliche Entwicklung. Darüber hinaus wächst aber auch die Gefahr, dass sich eine zunehmende Zahl an Menschen aufgrund wiederholter Enttäuschung von grundlegenden Positionen des gesellschaftlichen – demokratischen, rechtsstaatlichen - Konsenses verabschiedet.
In Österreich entsteht gegenwärtig eine neue Regierung. Wie auch immer sie sich zusammensetzt, sie wird mehrere Parteien mit – legitimerweise – unterschiedlichen Interessenslagen umfassen. Sie wird ihre Handlungsgrenzen erfahren, zwischen europäischen Vorgaben und föderalen Ansprüchen. Sie wird sich strengeren budgetären Grenzen unterwerfen müssen als ihre Vorgängerin. Und sie wird sich überraschenden Entwicklungen ausgesetzt sehen, die einen Teil ihrer Aufmerksamkeit ungeplant beanspruchen werden. Sie kann aber erfolgreich sein, wenn sie drei grundlegende Prinzipien befolgt:
- Konzentration auf wichtige Themen: Zentrales Anliegen der Bevölkerung (und auch der Wirtschaft) ist eine Fokussierung auf Zukunftsfragen, somit auf Aus- und Weiterbildung sowie auf Rahmenbedingungen, die eine steigende Wertschöpfung und damit wachsende Einkommen und sichere Arbeitsplätze ermöglichen. Damit soll die Bedeutung anderer Themen nicht geschmälert werden, aber wenn individuell und kollektiv die Teilhabe am Wohlstand nicht gewährleistet ist, bleiben alle anderen Ziele unerreichbar.
- Sachorientierte Zusammenarbeit: Herausforderungen existieren. Bedauerlicherweise werden diese Herausforderungen aber vielfach nicht mehr aufmerksam analysiert und möglichst konsensual gelöst, sondern immer dramatischer zugespitzt und politisch-ideologisch aufgeladen, sodass dann jede Entscheidung – und erst recht jede Wahl – zu einer epochalen politischen Zäsur aufgeladen wird. Ob dies viele Menschen tatsächlich interessiert ist mehr als fraglich, der Schaden für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und auch die wirtschaftliche Entwicklung ist aber evident.
- Politische Selbstbegrenzung: In einem langen Prozess hat die Politik immer mehr Entscheidungen und Gestaltungen an sich gezogen. Die logische Folge davon sind (neben hohen Kosten) immer engmaschigere Vorgaben und bürokratische Lasten. Dies ist sicherlich vielfach gut gemeint, aber dennoch höchst kontraproduktiv: Einerseits lähmen Vorschriften und Bürokratie das Handeln (nicht nur, aber in besonderer Weise auch das unternehmerische Handeln), und andererseits wird der Staat (und damit die Politik) zur Zielscheibe der Unzufriedenheit: Denn Überregulierung löst zwar kein einziges Problem, weckt aber den - falschen - Eindruck einer staatlichen Allmacht zur Problemlösung.
Viele neue Regierungen haben 2024 ihre Arbeit aufgenommen, in anderen Fällen (wie in Österreich) dauert die Regierungsbildung noch an. Gerade aus Sicht der Industrie, die auf positive politische Rahmenbedingungen angewiesen ist, muss der Appell an Gewinner und Verlierer der Wahlen des Jahres 2024 erfolgen, die evidente Unzufriedenheit ernst zu nehmen und den Gegenwind seitens der Wählerinnen und Wähler richtig zu deuten: Nämlich als Auftrag in der politischen Arbeit die Sach- und Lösungsorientierung wieder an vorderste Stelle zu setzen.
Obmann der Bundessparte Industrie