EU-Industriestrategie will Transformation beschleunigen
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Die Europäische Kommission zieht mit ihrer adaptierten Industriestrategie die Lehren aus der Coronakrise: die Wirtschaft muss krisenfester werden, und der beschleunigte Wandel zu einer nachhaltigen, digitalen, wettbewerbsfähigen und resilienten Industrie soll den Wiederaufschwung tragen. Um diese Ziele konkret umzusetzen, müssen aus Sicht der BSI allerdings zusätzliche Kostenbelastungen vermieden werden.
Am 5. Mai 2021 legte die EU-Kommission die aktualisierte europäische Industriestrategie mit dem Titel „Building a strong Single Market for Europe`s recovery“ vor. Grundlage dafür war eine Mitteilung, die bereits im März 2020 vorgestellt wurde – doch einen Tag danach definierte die Weltgesundheitsorganisation WHO die Ausbreitung des Coronavirus zur Pandemie. Die Bedingungen für Europas Industrie änderten sich von heute auf morgen dramatisch. Die Auswirkungen der Covid-19-Krise haben daher – wie von der BSI bereits im Frühjahr 2020 gefordert - eine Anpassung der Industriestrategie dringend notwendig gemacht, um die Krisenfestigkeit der Wirtschaft zu stärken und die Schaffung einer offenen strategischen Autonomie der EU voranzutreiben.
Starker Industriestandort im Fokus
„Das Update der EU-Industriestrategie schafft die richtigen Rahmenbedingungen für den Aufschwung“, so die positive Einschätzung von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck anlässlich der Veröffentlichung: „Gerade jetzt müssen wir unseren Industriestandort Europa stärken, um nachhaltig unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und auszubauen.“ Auch aus Sicht der BSI sind die neuen Schwerpunktsetzungen – Vertiefung und Stärkung des Binnenmarktes, Reduktion externer Abhängigkeiten sowie Beschleunigung der doppelten grünen und digitalen Transformation - zu begrüßen. Für die österreichische Industrie sind diese Vorhaben von großer Bedeutung; sie müssen aber durch konkrete Programme und Maßnahmen umgesetzt werden und dürfen nicht durch neue Kostenbelastungen und Investitionshemmnisse konterkariert werden.
Binnenmarkt, Allianzen und Wandel
Um die Leistungsfähigkeit des Binnenmarktes besser zu überwachen, plant die Kommission einen jährlichen Binnenmarktbericht, in dem eine Reihe zentraler Leistungsindikatoren (KPIs) die Entwicklungen zur Wettbewerbsfähigkeit, zur Binnenmarktintegration, zur Resilienz sowie zur grünen und digitalen Transformation erfassen soll. Weiters sollen externe Abhängigkeiten der EU, zum Beispiel bei Rohmaterialien energieintensiver Industrien, detaillierter untersucht und künftig reduziert werden. Mit neuen Instrumenten soll die Industrie dabei unterstützt werden, ihre internationalen Lieferketten im Sinne effektiver Krisenvorsorge zu diversifizieren und neue Partnerschaften zu formen.
Unternehmen gleicher Wertschöpfungsketten werden dabei zu „Ökosystemen“ zusammengefasst. Wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse (IPCEIs) sollen zunehmend in jenen Bereichen gebündelt werden, in denen der Markt alleine keine bahnbrechenden Innovationen hervorbringen kann.
Gemeinsam mit der Industrie will die Kommission Umfang, Kosten und Voraussetzungen zur Beschleunigung des grünen und digitalen Wandels erarbeiten. Zur Verwirklichung dieser im European Green Deal grundgelegten Ziele ist auch ein angepasster kohärenter Rechtsrahmen notwendig, insbesondere betreffend die Verfügbarkeit erneuerbarer Energie zu kompetitiven Kosten. Neue Förderinstrumente (zB Carbon Contracts for Difference) sollen Industrieunternehmen bei der Dekarbonisierung ihrer Produktion unterstützen.
Indirekte Kosten der Transformation steigen
Wie schwierig die Balance zwischen strategischen Zielen und konkreter Umsetzung ist, zeigt ein Blick auf die indirekten Kosten der Transformation, die von der Industrie finanziert werden müssen. Hier ist dringend Unterstützung notwendig. Allein die zusätzlichen Kosten aus dem bereits im Parlament liegenden Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, insbesondere für Strom und Grünes Gas, sowie parallel steigende Netzgebühren zur Finanzierung der erforderlichen Infrastruktur, werden der Industrie in den kommenden Jahren voraussichtlich rund 600 Millionen Euro zusätzlich kosten. Rechnet man geplante neue Belastungen im Bereich der Energieeffizienz sowie die in Österreich nach wie vor fehlende Strompreiskompensation („Indirektes Carbon Leakage“) dazu, nähert man sich bereits einer Milliarde. Etwa eine weitere Milliarde Euro pro Jahr würde on top dazukommen, sollte bei Einführung des auf EU-Ebene ab 2023 geplanten CO2-Grenzausgleichs die freie Zuteilung im EU-Emissionshandel entfallen – und das mit dem gerade aktuellen CO2-Preis von 56 Euro pro Tonne gerechnet; dieser kennt allerdings derzeit nur eine Richtung, und die geht – aktuell mehr durch Spekulation als durch konkrete Nachfrage getrieben - nach oben. Der Kommission kann das nur recht sein, sie will ja damit und mit weiteren Verschärfungen im Emissionshandel, die sich aus dem neuen EU-Klimaziel 2030 ergeben, ihre Eigenmittel zur Finanzierung ihres Wiederaufbauprogramms erhöhen. Der Kostenberg türmt sich für Unternehmen also bereits gewaltig auf – und dies noch ohne die Auswirkungen der aktuell überarbeiteten EU-Energiesteuerrichtlinie: Hier will die Kommission „nachjustieren“ und die Vorgaben den Zielen des EU Green Deals anpassen. Auch die Taxonomie-Verordnung und die neuen Vorgaben zur Nachhaltigen Finanzierung und Berichterstattung sind ganz sicher nicht „kostenneutral“.
Industrie braucht Gesamtkostendeckelung
Es darf daher nicht verwundern, dass der Aufschrei der Industrie angesichts der Pläne zur Einführung einer zusätzlichen automatischen CO2-Bepreisung auf nationaler Ebene über das aktuell diskutierte Klimaschutzgesetz 2021 enorm ist – sie würde der Industrie in der zuletzt diskutierten Form bis zu 200 Millionen Euro jährlich kosten. Wichtig ist daher, wie immer wieder gefordert, der Blick aufs Ganze. Oder anders formuliert: ein Kostendeckel. Dieser müsste in den derzeit ebenfalls überarbeiteten EU-Beihilfeleitlinien begründet werden und könnte auf das bisherige Modell, das die Gesamtkosten insbesondere in energieintensiven Sektoren als Maximalanteil der Wertschöpfung festlegt, aufbauen. Die Politik ist aufgerufen, sich dieses Problems zeitnahe anzunehmen. Gelingt dies nicht, ist zu befürchten, dass europäische Unternehmen im internationalen Standortwettbewerb immer öfter den Kürzeren ziehen, und auch die ambitionierteste Industriestrategie nur ein zahnloser Papiertiger bleiben wird.
Autor:
DI Oliver Dworak
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