EU-Arbeitsprogramm 2023: Zukunft unter schwierigen Vorzeichen
Informationen der Bundessparte Industrie
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Eine Vielzahl simultaner Krisen sorgt für ein überaus komplexes Umfeld, in dem sich das Arbeitsprogramm 2023 der Europäischen Kommission bewähren muss.
Am 18.Oktober 2022 hat die Europäische Kommission unter dem Titel „Eine starke und geeinte Union“ ihr Arbeitsprogramm für 2023 veröffentlicht. Die Energiepreisexplosion und Lieferkettenengpässe sowie die damit einhergehende Inflation und auch der militärische Konflikt vor den Toren der Union erfordern auf der einen Seite schnelle und zielgerichtete Abhilfemaßnahmen und auf der anderen Seite Investitionen in die Zukunft.
Zentrale Eckpfeiler hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits in ihrer Rede zur Lage der Union Mitte September skizziert. Diese Grundsatzrede wird durch 43 neue legislative und nicht-legislative Maßnahmen in den wichtigsten politischen Rahmenzielsetzungen dieser Kommission (darunter Green Deal, Digitalisierung, Europa in der Welt und Stärkung der Europäischen Demokratie) präzisiert.
Die Hoffnung einiger, dass die EU auf die regulatorische Bremse treten würde, erfüllt sich augenscheinlich nicht. Die Kommission wird weiter daran arbeiten, ihr Mammutpaket „Fit for 55“ zu vollenden, um die EU auf den Pfad der Klimaneutralität bis 2050 zu bringen. Ein zusätzlicher Vorschlag für 2023 ist dabei die umfassende Reform des Strommarktes, die neben klimapolitischen Aspekten auch eine Entkopplung der Strompreise von den Gaspreisen beinhalten soll. Eine neue Europäische Wasserstoffbank wird das Ziel des Ausbaus der grünen Wasserstoffwirtschaft mit drei Milliarden Euro bis 2030 unterstützen. Ebenso soll die weitere Ökologisierung des Güterverkehrs mit dem Ziel einer intelligenteren und nachhaltigeren Mobilität vorangetrieben werden. Die bereits 2022 mehrmals verschobene Überarbeitung der Rechtsvorschriften über die Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe (REACH) soll nun Ende 2023 erfolgen.
Zur Bewältigung aktueller und künftiger Risiken in Form strategischer Abhängigkeiten wird die Kommission EU-Maßnahmen zur Sicherstellung eines angemessenen und diversifizierten Zugangs zu kritischen Rohstoffen vorschlagen. Ziel ist, die digitale und die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit Europas zu erhöhen. Zum 30-jährigen Jubiläum des Binnenmarktes sollen überdies Umsetzungslücken, etwa bei Zahlungsverzugsvorschriften und im Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht, angegangen werden.
Ebenfalls im Zeichen der Bemühung einer Steigerung der Resilienz der europäischen Wirtschaft steht die Überprüfung der wirtschaftspolitischen Steuerung (Economic Governance) mit einer Stärkung der sogenannten mid-term reviews. Dazu sollen auch neue Handelsabkommen, u.a. mit Mexiko, Chile und Neuseeland, beitragen. Interessant in Zusammenhang mit der Resilienz der Wirtschaft sind auch Vorschläge zur Anerkennung der Qualifikationen von Drittstaatsangehörigen, die hochqualifizierte Fachkräfte für Branchen mit Arbeitskräftemangel gewinnen sollen.
Angesichts der russischen Aggression gegenüber der Ukraine werden überdies diverse Sicherheitsstrategien überarbeitet und an aktuelle Anforderungen angepasst.
Aus Sicht der Bundessparte Industrie muss im Kontext der derzeitigen multiplen Krisen das oberste Ziel die Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen und europäischen Industrie sein. Maßnahmen zur Stärkung des Binnenmarktes sowie zur Diversifizierung der Rohstoffversorgung werden unter diesem Gesichtspunkt positiv gesehen. Weitere Wachstumsimpulse, etwa durch Handelsabkommen, werden ebenfalls ausdrücklich begrüßt. Eines kommt allerdings zum wiederholten Male zu kurz: Wachstumsimpulse durch Verwaltungsvereinfachung und weniger Regulierung. Der vielgenannte und -geforderte Bürokratieabbau für Unternehmen bleibt auch mit diesem Arbeitsprogramm ein Lippenbekenntnis. Es wird auch die Aufgabe der BSI sein, in Brüssel darauf zu achten, dass die zweifelsohne hehren Ziele ökonomisch nachhaltig und umsetzbar gestaltet werden.
Autor:
Clemens Rosenmayr, MSc, MSc
E-Mail: clemens.rosenmayr@wko.at