Der Teilzeit-Sozialstaat
Informationen der Bundessparte Industrie
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In Österreich arbeitet jede zweite berufstätige Frau und jeder achte berufstätige Mann auf Teilzeitbasis. Die Tendenz ist weiterhin steigend. Eine vollumfängliche Finanzierung des Sozialstaates mit nur in Teilzeit arbeitenden Erwerbstätigen stößt aber zunehmend an Grenzen. Jede künftige Bundesregierung wird sich mit dieser Herausforderung befassen müssen.
Die statistische Evidenz ist unbestritten: Österreich ist ein Land der Teilzeitarbeit. Knapp mehr als 30 % aller Erwerbstätigen arbeiten auf Teilzeitbasis, bei Frauen beträgt die Teilzeitquote 50,3 %, bei Männern 12,4 % (Quelle: Eurostat, Stand 4.Quartal 2023). Innerhalb der Europäischen Union liegt Österreich damit an zweiter Stelle, hinter den Niederlanden (42,8 %) und knapp vor Deutschland (28,8 %). Der EU-Durchschnittswert liegt bei 17,9 %, somit also erheblich unter dem österreichischen Wert.
Grundsätzlich gibt es einen signifikant positiven Zusammenhang zwischen Erwerbsquote und Teilzeitquote: Je höher die Erwerbsquote, desto höher die Teilzeitquote. Dieser Zusammenhang ist auch gut erklärbar, denn bei einer hohen Erwerbsquote stehen viele Personen im Arbeitsprozess, die – aus unterschiedlichen Gründen, wie Betreuungsaufgaben oder Weiterbildung – keine volle Arbeitsverpflichtung eingehen wollen oder können. Bemerkenswert ist aber, dass die (vergleichsweise niedrige) Erwerbstätigenquote in Österreich mit 74,1 % (Stand Ende 2023) deutlich unter jener Regressionsgeraden liegt, die sich aus einer Kombination von Teilzeit- und Erwerbsquoten errechnet. Mit anderen Worten: Die Teilzeitquote in Österreich ist jedenfalls ungewöhnlich hoch.
In der österreichischen Industrie hingegen ist die Teilzeitquote unterdurchschnittlich: Bezogen auf das Eigenpersonal liegt die Teilzeitquote insgesamt bei 11,6 % (Quelle: Statistik Austria; Konjunkturstatistik Produzierender Bereich, Sonderauswertung nach der Kammersystematik, 2023). Dies ist teilweise auf den höheren Anteil an männlichen Arbeitskräften in der Industrie zurückzuführen, aber auch die geschlechtsspezifisch aufgeschlüsselten Teilzeitquoten zeigen in der Industrie geringere Anteile als in der Gesamtwirtschaft (bei Männern 6,0 statt 12,4 %; bei Frauen 31,6 statt 50,3 %).
Ursprünglich war Teilzeitarbeit im Wesentlichen weiblich, nämlich als mehr oder weniger maßgeschneiderte Arbeitstätigkeit in Kombination mit Kinderbetreuung. Nicht selten war eine Teilzeitarbeit aber auch unfreiwillig, da aus Gründen der Arbeitsmarktsituation keine Vollzeitstelle verfügbar war. Laut Mikrozensus-Erhebung der Statistik Austria haben im Jahr 2023 aber nur 14,8 % der Teilzeiterwerbstätigen angegeben, dass sie grundsätzlich gerne mehr arbeiten würden. Gleichzeitig würden 21,3 % der Erwerbstätigen gerne weniger arbeiten, selbst um den Preis entsprechender Einkommensverluste. In absoluten Zahlen stehen somit rund 200.000 Personen mit dem Wunsch einer längeren Arbeitszeit rund 650.000 Personen mit dem Wunsch einer (finanziell nicht ausgeglichenen) Arbeitszeitverkürzung gegenüber. Der weitere Anstieg der Teilzeitquote – auch in der Industrie – scheint damit vorgezeichnet.
Das zentrale Problem hoher Teilzeitquoten besteht darin, dass das Verhältnis aus erworbenen Ansprüchen gegenüber dem Sozialversicherungssystem gegenüber der absoluten Höhe der geleisteten Abgaben ungünstig ist. Genauer gesagt: Ungünstig für die Finanzierung des Systems, für die (teilzeit-)versicherte Person hingegen oft vorteilhaft. Zusätzlich zur demografisch bedingten Belastung des Systems – Ausscheiden geburtenstarker Jahrgänge aus dem Arbeitsmarkt mit entsprechenden Finanzierungserfordernissen für Alterspensionen – resultiert aus dem Teilzeitboom eine weitere Schwächung des Sozialsystems.
Insgesamt bedeutet dies eine Quersubventionierung jener Personen, die nur auf Teilzeitbasis arbeiten, durch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit voller Arbeitsverpflichtung. Sektoral liegt eine Quersubventionierung von Sektoren mit hoher Teilzeitquote durch jene Sektoren vor, die eine niedrige Teilzeitquote aufweisen. Insofern sind die Industrie bzw. die Industriebeschäftigten in ihrer Gesamtheit (aufgrund der niedrigeren Teilzeitquote) durch die ausufernde Teilzeitarbeit benachteiligt.
Häufig wird eine bessere (d.h. flächendeckende) Versorgung mit Kinderbetreuungseinrichtungen als Allheilmittel gegen überbordende Teilzeitarbeit empfohlen. Während ein Ausbau der Möglichkeiten der Kinderbetreuung grundsätzlich jedenfalls sinnvoll ist, sollte man den Effekt dieser Maßnahme aber nicht zu hoch einschätzen: Die Mehrheit der Teilzeitbeschäftigten hat nämlich keine Betreuungspflichten.
Der Hauptgrund, warum eine wachsende Zahl an Österreicherinnen und – stark zunehmend – Österreichern auf Teilzeitarbeit setzen, sind falsche Anreizsysteme. Angesichts einer hohen (und progressiv steigenden) Abgabenlast ist eine Mehrarbeit über einen bestimmten Punkt hinaus finanziell schlicht unattraktiv – jedenfalls unattraktiver als ein entsprechendes Mehr an Freizeit. Dies betrifft vor allem Personen mit überdurchschnittlichen Einkommen, weshalb ein Anwachsen der Teilzeitarbeit in der Industrie (mit ihren überdurchschnittlichen Löhnen und Gehältern) zu erwarten ist. Auf der unteren Seite der Einkommensskala liegen die Anreize für Teilzeitarbeit in verschiedenen Zuverdienstgrenzen und Abgabenbefreiungen.
Zuletzt hat die Politik begonnen, die Bedeutung des Problems für die zukünftige Finanzierung des Sozialstaates zu erkennen. Noch ist das Bewusstsein nicht weit verbreitet, aber eine künftige Bundesregierung wird dieses Thema wohl aufgreifen müssen. Konkret auf dem Tisch liegt gegenwärtig die Idee eines Vollzeitbonus. Dies entspricht einer gegenwärtigen politischen Mode, mit staatlichen Boni und Zuschüssen Fehlentwicklungen und Belastungen auszugleichen. Ein solcher Vollzeitbonus wäre zwar vermutlich eine bessere Maßnahme als völlige Untätigkeit. Langfristig sinnvoller wäre aber wohl eine Beseitigung von Fehlanreizen im Sozial- und Abgabensystem und eine systematische Einbindung in das Steuersystem, etwa über Sonderabsetzbeträge.
Autor:
Mag. Andreas Mörk
E-Mail: andreas.moerk@wko.at