Umsetzung der Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD)
Gemeinsames Positionspapier des österreichischen Versicherungsverbandes, der Versicherungsagenten und der Versicherungsmakler
Lesedauer: 7 Minuten
Änderungen im Vertriebsrecht stellen für Wirtschaftszweige immer eine große Herausforderung dar. Eingriffe in das Verhältnis Industrie – Vertrieb – Kunden sollten daher immer mit der gebotenen Sensibilität erfolgen, um funktionierende Strukturen und Kundenbeziehungen nicht zu gefährden bzw. den Wettbewerb zu behindern.
Die österreichische Versicherungswirtschaft – Versicherungsunternehmen, Versicherungsagenten und Versicherungsmakler – hat sich daher darauf verständigt, gemeinsame Anliegen im Zusammenhang mit der bevorstehenden Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 über den Versicherungsvertrieb (IDD) zu formulieren.
Keine Anforderungen über die Richtlinie hinaus
Die bereits aufgrund der Vorgängerrichtlinie erlassenen Vorschriften auf dem Gebiet der Versicherungsvermittlung sowie die aufgrund der Solvency II-Richtlinie erlassenen aufsichtsrechtlichen Bestimmungen auf Gesetzes- und Verordnungsebene gewährleisten in Österreich bereits jetzt ein sehr hohes Niveau der Qualität der Versicherungsvermittlung und des Kundenschutzes. Aufgrund dessen erscheint es uns weder notwendig noch geboten, bei der Umsetzung der IDD Anforderungen festzulegen, die über die IDD hinausgehen. Ein sogenanntes gold plating würde wohl lediglich zu Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil der österreichischen Versicherungsvermittler führen, ohne den Kunden wirklich weitere Vorteile zu bringen.
Mitgliedsstaatenwahlrechte
Dort, wo die IDD den Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung Spielräume überlässt, sollten diese in einer Weise ausgeübt werden, die den gewachsenen Strukturen der Versicherungsvermittlerbranche in
Österreich Rechnung trägt und Wettbewerbsnachteile für diese vermeidet. Die Versicherungsvermittler erfüllen bei der ausreichenden Versorgung der österreichischen Bevölkerung und Volkswirtschaft mit Versicherungsschutz eine wichtige Funktion, sodass die Fähigkeit dieser Branche, ihre Aufgabe zu erfüllen, nicht durch übermäßig bürokratisch belastende, den Kunden aber keinen Mehrwert bringende Vorschriften beeinträchtigt werden sollte.
Vergütung der Versicherungsvermittlung
In der österreichischen Versicherungswirtschaft sind derzeit mehr als 26.000 Personen bei Versicherungsunternehmen und mehrere zehntausend Personen bei den mehr als 15.000 selbständigen Versicherungsvermittlern (Versicherungsmaklern, selbständigen Agenten und Vermögensberatern) beschäftigt, was eine geschätzte Gesamtanzahl von mindestens 50.000 bis 60.000 Beschäftigten ergibt. Es sollten daher bei der Umsetzung der IDD keine Vorschriften erlassen werden, die das Einkommen
dieser Berufsgruppe einschränken oder gar gefährden würden oder diese Berufsgruppe anderweitig benachteiligen würden.
Das Provisionssystem sichert die solidarische Finanzierung der Beratung durch die Versichertengemeinschaft und damit den Zugang für alle Kunden, die eine Beratung wünschen. Beratung darf in
Österreich keinesfalls nach dem Vorbild anderer, westeuropäischer Versicherungsmärkte zu einem Minderheitenprivileg werden. Daher sollte das bewährte System der Vergütung der Beratungs- und Vermittlungsleistung durch eine Provision nicht in Frage gestellt werden, das eine einfache, praktikable und nachvollziehbare Berechnung der Vergütung gestattet und zugleich sicherstellt, dass die oft nicht weniger intensive Beratung bei Verträgen mit niedrigen Prämien für den Kunden dennoch leistbar ist.
Ebenso wenig sollte eine Pflicht zur Offenlegung der Vergütung vorgesehen werden. Die Angabe des Vergütungsbetrages oder auch nur die Art und die Grundlage der Berechnung dieses Betrages haben nämlich keinen Informationswert, der den Kunden in die Lage versetzen würde, die Eignung, die Qualität und die Bedarfsgerechtigkeit des angebotenen Versicherungsproduktes zu beurteilen. Die Offen-
legung würde die Aufmerksamkeit daher auf einen Umstand lenken, der mit der Produktqualität und
-eignung nichts zu tun hat, sodass dies sogar zu einer Fehleinschätzung wichtiger Qualitätsmerkmale des Produktes selbst führt.
Anders als in vielen EU-Mitgliedstaaten sind Versicherungsunternehmen in Österreich nach
§ 253 VAG in der Lebensversicherung bereits dazu verpflichtet, die Wirkung der Kosten auf die
Gesamtverzinsung über die gesamte Laufzeit offenzulegen, wodurch die Provision in eine für den Kunden nachvollziehbare Relation gesetzt wird, die der Kunde durch eine isolierte Provisionsoffen-
legung niemals erlangen würde.
Weiters würde die Pflicht zur Offenlegung dazu führen, dass die Entlohnung bestimmter Berufsstände ohne erkennbaren Nutzen im Gegensatz zu allen anderen Branchen in der Öffentlichkeit „breitgetreten“ und einem tendenziell destruktiven Wettbewerb ausgesetzt würde. Der dadurch ausgelöste Druck auf die Entlohnung der in diesem Bereich tätigen Personen hätte negative Folgen für eine Vielzahl von Arbeitsplätzen und für die bereits jetzt herausfordernde Rekrutierung des Personals in diesem Bereich. Dies wiegt umso schwerer, als gerade junge, neu im Versicherungsvertrieb beginnende Mitarbeiter von einem Provisionsverbot oder von einer Pflicht zur Offenlegung besonders betroffen wären.
Diese Effekte würden sich schließlich auch nachteilig auf die Qualität der Beratung auswirken, sodass mit der Pflicht zur Offenlegung der Vergütung gerade das Gegenteil von dem erreicht wird, was man damit erreichen will. Dies hätte wiederum negative Auswirkungen auf die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Versicherungsschutz, dessen Bedeutung aber gerade im Hinblick auf die Veränderung der Bevölkerungsstruktur und die steigende Bedeutung von Versicherungslösungen zunimmt.
An dieser Stelle ist anzumerken, dass die individuelle Beurteilung der eigenen Risikosituation von der Tendenz getragen ist, drohende oder auch neuartige Risiken zu unterschätzen, weshalb es ohne ein ausreichendes und flächendeckendes Angebot an fachkundiger Beratung und Risikoanalyse zu einer weitgreifenden Unterversorgung mit Versicherungsschutz und daraus resultierend zu einer Anhäufung existenzbedrohender Folgeerscheinungen käme. Um dies zu vermeiden, bedarf es eines personell entsprechend ausgestatteten Vertriebssystems, das die Haushalte und die Wirtschaft professionell mit passenden Angeboten an Versicherungsdienstleistungen versorgt.
Zu bedenken ist auch, dass vom Versicherungssektor eine stabilisierende Wirkung für das Finanzsystem und für die gesamte Volkswirtschaft ausgeht und diese Wirkung keinesfalls gefährdet oder auch nur beeinträchtigt werden sollte.
Technikneutralität
Bei der Umsetzung der IDD sollte darauf geachtet werden, dass die Umsetzungsvorschriften nicht bestimmte Kommunikationsformen benachteiligen und insbesondere die Kommunikation mit den Kunden mit modernen, zeit- und kostensparenden, umweltfreundlichen und immer mehr von Kunden angenommenen Kommunikationsmitteln möglich sein wird.
Klare Unterscheidung von Versicherungsmakler und Versicherungsagent
Anlässlich der Umsetzung der IDD besteht die Gelegenheit, die in Österreich seit jeher bestehende Unterscheidung von Versicherungsmakler, der „Bundesgenosse“ des Versicherungsnehmers ist, und dem vom Versicherer zur Vermittlung beauftragten Versicherungsagenten auch wieder im Gesetz klar nachzuziehen und die Ausübungsform „Versicherungsvermittler“ (gleichzeitige Ausübung Versicherungsmakler und Versicherungsagent) zu streichen.
Eine klare Unterscheidung ist
- im Interesse der Kunden, die klar erkennen sollen, ob der Vermittler sein Bundesgenosse ist oder Geschäftsgehilfe des Versicherers,
- im Interesse der Vermittler, deren Rolle und Haftungssituation klar definiert sein soll, und
- im Interesse der Versicherungsunternehmen, für welche die klare Zurechnung ebenfalls von Vorteil ist.
Festlegung der Versicherungsanlageprodukte
Es sollte klar definiert werden, welche Produkte als Versicherungsanlageprodukt gelten sollen und welche nicht. Von den für Versicherungsanlageprodukte zusätzlich geltenden Bestimmungen ausgenommen werden sollten jedenfalls
- die Pensionszusatzversicherung nach § 108b EStG,
- die prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge nach § 108g EStG,
- sofort beginnende Rentenversicherungen,
- aufgeschobene Rentenversicherungen,
- Risikoversicherungen (Ablebens-, Pflege-, Begräbniskosten-, Berufsunfähigkeits-, Erwerbsunfähigkeits-, Arbeitsunfähigkeits-, Grundfähigkeits- und Dread-Desease-Versicherungen) und
- die betriebliche Altersvorsorge (betriebliche Kollektivversicherung, Zukunftssicherung nach § 3 Abs. 1 Z 15 EStG, Pensionsrückdeckungsversicherung, Abfertigungsrückdeckungsversicherung, Abfertigungs- und Jubiläumsgeldauslagerungsversicherung).
Berufliche und organisatorische Anforderungen
Bei der Schaffung von Mechanismen zur wirksamen Kontrolle und Bewertung der Kenntnisse und Fähigkeiten von Vermittlern sowie Angestellten von Versicherungsunternehmen und Angestellten von Vermittlern auf der Grundlage von mindestens 15 Stunden beruflicher Schulung oder Weiterbildung pro Jahr sollte darauf geachtet werden, dass wiederum moderne Technologien der Informationsvermittlung, wie etwa E-Learning, sinnvoll eingesetzt werden können.
Die beruflichen Anforderungen sollten nur für jene Mitarbeiter von Versicherungsunternehmen und Versicherungsvermittlern gelten, die direkt am Versicherungsvertrieb beteiligt sind bzw. für maßgebliche Personen innerhalb der Leitungsstruktur, die für den Vertrieb verantwortlich sind.
Treumäßige Verwahrung von Kundengeldern
In der Praxis bestehen aktuell Probleme hinsichtlich der Verwahrung bzw. Weiterleitung von Kundengeldern, da echte Treuhandkonten – wie dies derzeit § 138 Abs. 2 GewO vorsieht – maklerseitig de facto nicht umsetzbar bzw. administrierbar sind. Es müsste nämlich für jeden einzelnen Kunden ein separates Konto angelegt werden und dies sprengt schlichtweg den administrativ möglichen Rahmen.
Aus der IDD selbst entspringt keine unmittelbare Pflicht, Kundengelder über ein Treuhandkonto zu verwalten. Die IDD sieht in Art.10 Pkt. 6 unterschiedliche Möglichkeiten für den Versicherungsvermittler, die Kundengelder treumäßig zu verwahren, sodass den Mitgliedsstaaten die Option verbleibt, unter einer dieser Möglichkeiten zu wählen.
Wir sprechen uns aus Praktikabilitätsgründen für eine Vorschrift aus, nach der der Vermittler über eine finanzielle Leistungsfähigkeit zu verfügen hat, die jederzeit 4 % der Summe seiner jährlichen Prämieneinnahmen, mindestens jedoch 18 750 EUR, entspricht (vgl. Art.10 Pkt. 6 lit. b) IDD). In diesem Zusammenhang möchten wir ergänzend darauf hinweisen, dass in Deutschland bereits jetzt – auf Basis der dt. innerstaatlichen IMD-Umsetzung – eine derartige Regelung gem. § 12 Abs. 4 dt. Versicherungsvermittlerverordnung (VersVermVO) existiert und diese offenkundig in der Praxis keinerlei Probleme aufwirft.
Beschwerden, außergerichtliche Beilegung von Streitigkeiten
Bei der Umsetzung der diesbezüglichen Bestimmungen der Richtlinie sollte auf bestehende Verfahren und Einrichtungen zurückgegriffen oder an diese angeknüpft werden, sodass keine Doppel- oder gar Mehrfachstrukturen aufgebaut werden müssen.
Beratung
Die IDD stellt es den Mitgliedstaaten nach Artikel 22 Abs. 2 Unterabs. 3 sowie Artikel 29 Abs. 3 frei, eine Verpflichtung zur Beratung vorzusehen. Die Umsetzung der IDD in Österreich sollte entsprechend deren Regulierungsziel die Bedürfnisse und Wünsche des Kunden in den Vordergrund stellen und daher vorsehen, dass bei einer Vermittlungstätigkeit eine Beratung zu erfolgen hat.
Professionelle Kunden
Nach Artikel 22 Abs. 1 Unterabs. 2 der IDD können Mitgliedsstaaten vorsehen, dass die in den Artikeln 29 und 30 genannten Auskünfte (Kundeninformation, Beurteilung der Eignung und Zweckmäßigkeit sowie Berichtspflicht gegenüber Kunden) einem professionellen Kunden im Sinne der MiFID 2-Richtlinie nicht erteilt zu werden brauchen.
Im Gegensatz zur MiFID 2 sieht die IDD keine Kundenklassifikation vor. Um die künftige Versicherungsvertriebsregulierung in Österreich so praxistauglich wie möglich zu gestalten, sollte man von partiellen Querverweisen auf das Wertpapierrecht vollständig absehen und es wie zuvor ausgeführt ausschließlich vom Kundenwunsch abhängig machen, ob eine Beratung erfolgt oder nicht.
Zeitrahmen
Nach Artikel 42 Abs. 1 der IDD haben die Mitgliedsstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen, um der Richtlinie ab dem 23.02.2018 nachzukommen.
Im Hinblick auf den umfassenden Implementierungsbedarf in den Unternehmen, insbesondere die notwendige Schaffung der (vor allem informations-)technischen Voraussetzungen sowie die erforderliche Schulung zigtausender Mitarbeiter sollte den Unternehmen ausreichend Zeit zur Verfügung stehen, um die Umsetzung auch in hoher Qualität vornehmen zu können.
Es sollten daher die österreichischen Umsetzungsrechtsakte so rasch wie möglich erlassen oder nötigenfalls (insbesondere aufgrund der zu erwartenden späten Veröffentlichung der delegierten Rechtsakte) das Inkrafttreten verschoben werden.
Wien, 27. März 2017
Stand: 06.06.2019