Diskussionsrunde mit 4 Herren
© Andreas Kraus
Metalltechnische Industrie, Fachgruppe

Niederösterreich am Scheide­weg: Was passiert, wenn die Industrie ab­wandert?

Eine Studie im Auftrag der Metalltechnischen Industrie und Sparte Industrie der Wirtschaftskammer Niederösterreich zeigt, wie tief die Industrie in das soziale und wirtschaftliche Gefüge Niederösterreichs verwoben ist.  Ohne weitsichtige Industriepolitik steht die Zukunftsfähigkeit der Region auf dem Spiel. Aus der Analyse leiten sich sieben wesentliche Forderungen ab.

Lesedauer: 3 Minuten

11.07.2024

Die Rahmenbedingungen für die heimische Industrie haben sich in den letzten Jahren spürbar verschlechtert. Nahezu jedes zweite Unternehmen (46 Prozent) überlegt Standortverlagerungen, so das Ergebnis einer Blitzbefragung der Industrie. Was wäre, wenn die Spitzen-Industrie aus Niederösterreich abwandert? Welche Auswirkungen hätte das für die Region und deren Bevölkerung – von der Arbeitsplatzsituation über das Vereinswesen bis hin zu den öffentlichen Infrastrukturen? Um dieses Szenario greifbar darstellen zu können, hat die WKNÖ (Sparte Industrie und Fachgruppe Metalltechnische Industrie) die Studie "Fehlende Industrie NÖ" beim Industriewissenschaftlichen Institut in Auftrag gegeben. Deren Ergebnis: Selbst wenn "nur" 19  wichtige Industriebetriebe ihre Standorte ins Ausland verlagern würden, wären die Effekte dramatisch.

"Die Industrie ist nicht nur Impulsgeberin und Multiplikatorin in der österreichischen Volkswirtschaft, sie hat auch grundlegende Bedeutung für die jeweilige Region. Ohne weitsichtige Standortpolitik für die Industrie steht deren Zukunftsfähigkeit auf dem Spiel", warnt Helmut Schwarzl, Spartenobmann Industrie der WKNÖ. Eine mahnende Botschaft, die bei den politischen Verantwortlichen im Land Niederösterreich aber bereits durchaus angekommen sei und ernst genommen werde, fügt er hinzu.

Jedes zweite Unternehmen überlegt Standortverlegung

Die Industrie mit ihrem vielfältigen Branchenmix bildet die wirtschaftliche Basis Niederösterreichs. Die rund 1.000 Industrieunternehmen generieren eine Bruttowertschöpfung von nahezu 27 Milliarden Euro. Von ihnen hängen direkt oder indirekt etwa 260.000 Arbeitsplätze ab. Allerdings stehen die Industrieunternehmen unter großem Druck. Der globale Wettbewerb, Fachkräftemangel, Investitionsbedarf in Innovation und Ausbildung, externe Faktoren wie Umwelt und Infrastruktur, hohe Energiekosten oder eine überbordende Bürokratie sind Herausforderungen, die die Industrie stark belasten. „Wir müssen in Österreich aufpassen. Wir haben das Wort Deindustrialisierung vor Augen“, betont Veit Schmid-Schmidsfelden, Fachgruppenobmann Metalltechnische Industrie NÖ. Dies belegt eine aktuelle Umfrage von Deloitte: Bereits drei Viertel der befragten Betriebe (74 Prozent) sehen die Gefahr einer Deindustrialisierung hierzulande. 

Studienergebnisse: 57.700 Arbeitsplätze gefährdet

Die Studie "Fehlende Industrie NÖ" hat untersucht, was passieren würde, wenn 19 in Niederösterreich ansässige Spitzen-Industriebetriebe aus verschiedenen Bereichen des produzierenden Sektors in den nächsten fünf Jahren absiedeln würden.

  • Insgesamt wären 57.700 Arbeitsplätze gefährdet, das entspricht etwa der Einwohnerzahl von St. Pölten.
  • Der volkswirtschaftliche Verlust hinsichtlich des Produktionswertes würde sich auf insgesamt 16,36 Milliarden Euro im Jahr belaufen.
  • Eine Kettenreaktion weiterer wirtschaftlicher Schäden wäre zu befürchten, da Zulieferbetriebe, die von diesen Großindustrien abhängig sind, in massive Schwierigkeiten geraten. 
  • Pro Jahr würden Steuern und Sozialabgaben in Höhe von rund 1,93 Milliarden Euro verloren gehen. Das entspricht dem Landesbudget für Bildung und Wissenschaft.

„Ihre Rolle als Arbeitgeberin, Investorin und Steuerzahlerin macht die Industrie zu einem unverzichtbaren Teil des sozialen und wirtschaftlichen Gefüges in Niederösterreich und darüber hinaus“, so Helmut Schwarzl, Spartenobmann Industrie der WKNÖ.  

Industrieunternehmen sind aktive Gestalter in der Region

 „Die Industrieunternehmen sind stark vernetzt am Standort. Zulieferer, Dienstleistungen, Konsum – an ihnen hängen zahlreiche weitere kleine Betriebe. Es ist eine eng miteinander verflochtene Wertschöpfungskette. Wenn ein Industrieunternehmen abwandert, ist dies vergleichbar mit einem Stein, den man in einen Teich wirft und dessen Wellen sich immer weiter ausbreiten“, betont Herwig Schneider, Geschäftsführer des Industriewissenschaftlichen Instituts. Hinzu kommt: Die Industrieunternehmen haben eine große soziale Verantwortung in der Region. Dieses Engagement umfasst Bereiche wie Aus- und Weiterbildung oder die Unterstützung lokaler Einrichtungen wie der Feuerwehr. Außerdem sponsern sie Sport- und Kulturveranstaltungen sowie lokale Vereine. „Ohne Industrie käme es zu einem verheerenden Stillstand im Land“, warnt Veit Schmid-Schmidsfelden, Fachgruppenobmann Metalltechnische Industrie NÖ.  

7 Forderungen für eine starke Standortpolitik

"Wenn man das alles bedenkt, wird schnell klar, warum die große Sorge um das Land uns veranlasst, eine starke und die Industrie unterstützende Standortpolitik einzufordern. Die Industrie ist bereit, ihren Beitrag zu leisten. Wir brauchen jedoch industriefreundliche Rahmenbedingungen", mahnt Helmut Schwarzl, Spartenobmann Industrie der WKNÖ. „Einen Standort zu entwickeln heißt, jetzt Entscheidungen zu treffen, damit wir auch übermorgen noch Wohlstand haben“, unterstreicht Veit Schmid-Schmidsfelden, Fachgruppenobmann Metalltechnische Industrie NÖ.  Um Gefahren einer mangelnden Standortförderung zu vermeiden, stellt die Sparte Industrie sieben wesentliche Forderungen. 

  1. Ein besseres Verständnis für den Industriestandort entwickeln.
  2. Faktor Arbeit entlasten.
  3. Transformation als zentrales öffentliches Interesse.
  4. Energie wettbewerbsfähig gestalten.
  5. Bürokratie abbauen.
  6. Technologieoffenheit zulassen.
  7. Infrastruktur ausbauen.

Über den FMTI – Fachverband Metalltechnische Industrie

Die Metalltechnische Industrie ist Österreichs stärkste Branche. Mit über 1.200 Unternehmen bildet sie das Rückgrat der heimischen Industrie und ist für ein Viertel aller österreichischen Exporte verantwortlich. Zahlreiche Betriebe sind Weltmarktführer und „Hidden Champions“.

Der Fachverband Metalltechnische Industrie, ein Zusammenschluss der ehemaligen Fachverbände Maschinen- und Metallwarenindustrie sowie Gießereiindustrie, zählt zu den größten Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden Österreichs und ist eine eigenständige Organisation im Rahmen der Wirtschaftskammer Österreich.