"Wir müssen wieder wettbewerbsfähig werden"

Die hohen Energiepreise und die gestiegenen Lohnstückkosten drücken die Wettbewerbsfähigkeit der Kärntner Industrie. Spartenobmann Michael Velmeden im Interview über Investitionsfreudigkeit, Nachhaltigkeit, Abwanderung von Industriebetrieben und wann es wieder bergauf gehen soll.

Lesedauer: 5 Minuten

03.01.2024

Wir haben voriges Jahr zur gleichen Zeit ein Interview geführt. Da haben Sie Zuversicht für das Jahr 2023 gepredigt. Welche Botschaft senden Sie diesmal den Kärntner Industriebetrieben?

Velmeden: In der Rückschau kann man sagen, wir waren verhalten optimistisch. Die Realität hat gezeigt, dass sich das Umfeld signifikant gewandelt hat. Die Kärntner Industrieunternehmen leiden an deutlichem Auftragsrückgang. Kärnten ist ein Exportland und wir müssen im Wettbewerb bestehen können. Wir haben aufgrund zweier Komponenten massiv verloren. Zum einen sind es die Energiepreise. Wir benötigen wettbewerbsfähige Energiepreise mit anderen Regionen der Welt. Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird zu langsam und nicht zielgerecht fortgesetzt und der Ausbau der dazu notwendigen Netze findet nicht schnell genug statt. Der zweite Punkt sind die Kostenbelastungen, die Unternehmen wie auch Private treffen. Wir haben bei den Lohnstückkosten deutlich verloren, die die höchsten in Europa sind – vor allem gegen unseren unmittelbaren Nachbarn Deutschland.

Droht dadurch vielleicht sogar eine Abwanderung von Industriebetrieben in Kärnten?

Das wird sich nicht vermeiden lassen. Wobei man differenzieren muss. Die österreichische Wirtschaft ist stark mittelständisch geprägt und wir haben einige große Global Player, die einfach Produktionsentscheidungen treffen, wo die nächsten Produkte hergestellt werden. Für alle kleineren Betriebe wird es eine sehr schwere Situation, weil man nicht einfach seinen Standort von A nach B verlegen kann. Wir müssen wieder wettbewerbsfähig werden und darüber nachdenken, wie wir die Kostenbelastungen für die Unternehmen nachhaltig reduzieren können. Und wir reden hier von einem Zeithorizont von 3 bis 4 Jahren.

Was braucht es konkret, um wettbewerbsfähig zu werden?

Die erste Maßnahme wäre eine Lohnnebenkostensenkung, die sowohl den Mitarbeiter:innen als auch den Arbeitgeber:innen etwas bringt. Die vielen Subventionen wie Energiebonus oder Teuerungsausgleich sind zwar gut, aber wenn wir den arbeitenden Menschen entlasten wollen, ist es wichtiger und sichtbarer, wenn er sofort mehr Netto vom Brutto hat. Und gleichzeitig wird es auch die Unternehmen entlasten.

Läuft Europa dadurch nicht Gefahr, den Anschluss an die Weltspitze zu verlieren?

Den Anschluss verlieren hieße, wir haben ihn noch nicht verloren. Ich glaube, dass wir ihn in einigen Feldern bereits verloren haben. Wir haben wesentliche Industrien verloren. Wir sehen eine deutliche Transformation im Automotivsektor, der nicht unbedingt vielversprechend für Europa ist, sondern der durchaus einige Fragezeichen offenlässt. Außerdem stecken wir in einer politischen Krise, die so in Europa noch nicht vorhanden war – wir haben einen Krieg direkt vor der Haustür mit Russland und der Ukraine. Dann haben wir einen Krieg im Gazastreifen. Das sind keine guten Voraussetzungen. Und der dritte Punkt ist die gedachte Transformation in alternative Energien, die mittlerweile mit einem großen Fragezeichen versehen ist. Weil ein Ziel überhaupt nicht mehr artikuliert wird: Zu welchen Preis wollen wir das machen?

Inwiefern setzen Unternehmen auf Nachhaltigkeit, um die Energieeffizienz zu steigern?

Das hat die Industrie immer schon gemacht. Ökonomie und Ökologie spielen ja zusammen. Die Industrie war schon immer bestrebt, aus ökonomischen Gründen Kosten zu sparen. Das heißt, man hat schon Interesse, CO2-frei zu produzieren, CO2-frei zu sein – und das geht nur, wenn man alternative Energien nutzt. Gleichzeitig heißt das aber, es muss für Unternehmen attraktiv sein. Wenn wir die heutige Kostensituation ansehen – die Systeme sind ja immer teurer geworden. Das heißt, so leicht rechnet sich das gar nicht. Auf der anderen Seite – Beispiel Oberösterreich – sind Anlagen gar nicht mehr so leicht umsetzbar, weil die Netzkapazitäten das nicht hergeben.

Es ist also nicht der letzte Schlüssel, dass man auf jeden Industriebetrieb eine Photovoltaikanlage draufbaut?

Am Beispiel unseres Hauses: Wir haben das entsprechend beantragt. Wir können das nicht aufs Dach machen – das ist so ein Irrtum, der immer schnell diskutiert wird. Die Dächer sind in der Regel schon voll durch andere Applikationen. Man muss also Alternativen finden. Wir haben eine Freifläche zur Verfügung. Aber das würde 18 Prozent unseres Energiebedarfs decken. Wir haben also immer noch eine Lücke von rund 80 Prozent, die wir anderwärtig beschaffen müssen. Und das auch noch zu anderen Tageszeiten. Die zweite Seite ist die Kostensituation: Es würde nur funktionieren, wenn es auch gefördert wird. Die Fördertöpfe sind aber schnell wieder leer. Wir haben das Privileg, ins Netz einzuspeisen. Andere Kollegen in anderen Regionen – wo das Netz nicht tauglich ist – können das nicht, weil sie keine Zulassung bekommen und weil die Photovoltaikanlage gar nicht installierbar ist.

Wie soll es dann in diesem Bereich weitergehen?

Grundsätzlich muss man Ziele definieren: Österreichweit und auf Landesebene braucht es einen Energiemasterplan. Und dass man schaut, welche Energieformen stehen zur Verfügung. Und dass man die Parameter definiert. Das heißt, zu welchen Kosten will ich das schaffen, was sind unsere Zielsetzungen? Außerdem: Was ist zumutbar für Anwohner:innen und landschaftlich? Und welche Technologieoffenheit zeige ich, welche Systeme kann ich mit dem größtmöglichen Nutzen installieren? Das alles muss miteinander verbunden werden. Im Moment fehlt eindeutig die Kostenphantasie. Weil wenn alle anderen Kosten steigen, nützen auch kleine Beiträge mit alternativen Energien nichts, weil ich in der Gesamtkostenbilanz nicht besser aussteige. Und das ist die Situation für viele Unternehmen.

Wenn wir schon von Kosten sprechen: Wie sehr drücken die aktuellen Lohnabschlüsse auf die Investitionsfreudigkeit der Unternehmen?

Jeder muss sich erstmal Gedanken machen, wie sich das auswirkt. Wenn wir die makroökonomischen Daten betrachten, sehen wir, dass Investitionen massiv rückläufig sind. Warum ist das so: Weil die Kärntner Industrie und auch die österreichische mittelständisch organisiert ist. Sie ist großteils eine Zulieferindustrie. Das heißt, sie ist abhängig von anderen Märkten und steht damit in Konkurrenz zu anderen. Und die Konkurrenzsituation ist im Moment schwierig.

Wie sieht es im Bereich Arbeitskräftemangel aus. Gibt es bereits Verbesserungen oder ist dieser noch immer eklatant?

Gegenüber letztem Jahr ist aufgrund der Gesamtsituation eine Entspannung sichtbar. Gleichzeitig bleibt kurz- und langfristig der demografische Wandel. Wir sehen weiterhin einen Fachkräftebedarf, wir sehen Arbeitskräftebedarf, der nicht gedeckt werden kann. Und das wird ein Hindernis in der Wettbewerbsfähigkeit sein. Kärnten wird ohne qualifizierte Zuwanderung nicht zurechtkommen.

Welche Branchen sind trotzdem die Gewinner?

Die Elektronikindustrie läuft noch immer sehr stabil. Allerdings differenziert: Die elektronikverarbeitende Industrie steht sehr stark im Wettbewerbsdruck. Diejenigen, die Komponenten herstellen, bleiben weiterhin auf der Gewinnerstraße. Die Megatrends, unabhängig von der Branche, werden Digitalisierung und Nachhaltigkeit sein.

Wie sieht Ihre wirtschaftliche Prognose für 2024 aus?

Ich kann da nur andere zitieren. Wir sind in einer Rezession, in einer Schieflage – und die müssen wir aufholen. Ich glaube, dass das Jahr 2024 für uns alle noch sehr herausfordernd sein wird. Es wird keine kurzfristige Entspannung geben und es wird auch keinen kurzfristigen Wachstumsschub geben. Was ich auch glaube, ist, dass eine überzogene Nachfrage während und nach der Corona-Zeit zu einer Überhitzung geführt hat. Und damit sehen wir eine Abschwungphase, die signifikant ist, es aber wieder zu einem leichten Aufschwung kommt. Spannend wird sein, an welchem Punkt sich das entsprechend normalisiert.

Wann, glauben Sie, wird das soweit sein?

Ich hoffe, dass wir zumindest in der zweiten Jahreshälfte 2024 eine leichte Entspannung beziehungsweise einen Aufschwung sehen werden. Und ich hoffe, dass die Kolleg:innen so gut positioniert sind, um im Wettbewerb bestehen zu können.