Leitsätze zu VersVG §§ 49-80 − Schadenversicherung allgemeiner Teil
Rechtsservice- und Schlichtungsstelle (RSS) des Fachverbandes der Versicherungsmakler und Berater in Versicherungsangelegenheiten
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RSL20021
§ 68 VersVG
Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 68 VersVG ist, dass das versicherte Interesse gänzlich wegfällt, eine geringere Wahrscheinlichkeit des Versicherungsfalles genügt nicht. Ist in der Rechtsschutz-Versicherung eines Betriebes nicht nur eine ausschließliche Privatnutzung der ausschließlich betrieblich genutzten Fahrzeuge, sondern auch ein Lenker-Rechtsschutz vereinbart, liegt kein völliger Interessewegfall vor. (RSS-E 26/24).
RSL20018
§ 69 VersVG
Weiters ist festzuhalten, dass die Übergabe eines gemäß § 8 Abs 1 in das Firmenbuch eingetragenen Unternehmens, das selbst keine juristische Person ist, von der das Unternehmen führenden, noch lebenden natürlichen Person auf eine andere natürliche Person nur im Wege der Einzelrechtsnachfolge möglich ist. Insofern liegt in der Übergabe des Unternehmens nach Ansicht der Schlichtungskommission eine Veräußerung im Sinne des § 158o VersVG vor, welche zu einer Kündigung des Versicherungsvertrages durch den Erwerber berechtigt.
Gleiches gilt auch für die Einbringung des Unternehmens in eine Personengesellschaft, auch dieser Vorgang stellt eine Veräußerung iSd § 69 VersVG, auf den § 158o VersVG verweist, dar. (RSS-E 101/23)
RSL20017
§ 69 VersVG
Das Kündigungsrecht des Erwerbers einer Liegenschaft setzt den bücherlichen Erwerb voraus und erlischt erst einen Monat nach Zustellung des Verbücherungsbeschlusses. Nicht strittig ist, dass die Erwerberin diese Frist versäumt hat.
Hatte allerdings der Erwerber im Zeitpunkt des Erwerbs keine Kenntnis von der Versicherung, so läuft die Frist zur Kündigung bis zum Ablauf eines Monats ab Kenntniserlangung. Kenntnis von der Versicherung bedeutet, dass der Erwerber jene Tatsachen kennen muss, die ihm die Ausübung seines Kündigungsrechtes ermöglichen. Für die Kenntnis vom Bestehen einer Versicherung reicht es aus, dass der Erwerber den Namen des Versicherers kennt und vom Bestehen der Versicherung weiß. Er muss die Details der Versicherung nicht kennen. Den Erwerber trifft keine Erkundigungspflicht bezüglich des Bestehens einer Versicherung. Kenntnis des Erwerbers einer versicherten Sache vom Bestehen der Versicherung ist der Normalfall, weshalb der Erwerber das spätere Erlangen der Kenntnis hievon beweisen muss. (RSS-E 39/23). (auch RSS-E 46/23).
RSL20016
§ 70 VersVG
Der Zweck der Norm liegt darin, die Abschlussfreiheit im Nachhinein wieder herzustellen, d.h. einen Ausgleich dafür herzustellen, dass sich der Erwerber und der Versicherer neuen Vertragspartnern gegenüberstehen, die sie sich nicht aussuchen konnten.
Nach der herrschenden Lehre steht dem Anteilserwerber daher kein Kündigungsrecht gemäß § 70 VersVG zu, auch nicht, wenn er Mehrheits- oder Alleineigentümer wurde. Für ihn ist der Versicherer nicht neu. Er hat ihn vielmehr aus freien Stücken gewählt, wenn auch in seiner Eigenschaft als Glied einer Miteigentümergemeinschaft (RSS-E 11/23).
RSL20015
§ 70 VersVG
Der Zeitpunkt der Veräußerung ist eine unscharfe Abgrenzung. Es kann sowohl der Eigentumsübergang als auch der Gefahrenübergang gemeint sein. Sollten Veräußerer und Erwerber den Gefahrenübergang auf einen Zeitpunkt vor Abschluss des Veräußerungsgeschäfts gelegt haben, wie es aus steuer- und bilanztechnischen Gründen vor allem bei Unternehmensveräußerungen vorkommt, so wirkt eine solche Vereinbarung nur intern. Ein Übergang der Sachversicherung ex lege mit Rückwirkung wäre systemwidrig und dem Versicherer als ahnungslosem Dritten ohne jede Steuerungsmöglichkeit unzumutbar.
Für Betriebshaftpflichtversicherungen gilt Besonderes: Da hier das Interesse des Betreibers versichert ist, kommt es auf den Wechsel in der Betriebsführung an. Der Versicherungsvertrag geht somit erst auf den Erwerber (hier also auf die Antragstellerin) über, sobald dieser den Betrieb übernimmt und führt. Dies ist jedoch erst mit Unterfertigung des Einbringungsvertrags möglich, da die Antragstellerin ohne diesen keine Berechtigung zur Betriebsführung hat. (RSS-E 40/22).
RSL20014
§ 60 VersVG
Die Klärung der Vertragslage ist bei einer unklaren oder rechtlich mangelhaften Kündigung dringend geboten. Deshalb muss der Versicherer eine Klärung unverzüglich einleiten. Die nicht rechtzeitige Zurückweisung einer − aus welchen Gründen immer - unwirksamen Kündigung ist als Zustimmung zur vorzeitigen Auflösung des Vertragsverhältnisses oder als Verzicht auf die Geltendmachung der aus der Verspätung oder der Unwirksamkeit einer Kündigung abgeleiteten Rechtsfolgen anzusehen.
Im vorliegenden Fall erfolgte nach sechs Tagen erstmals die Aufforderung, entsprechende Nachweise vorzulegen, woraufhin die Antragstellervertreterin die angeforderten Unterlagen zur weiteren Prüfung am selben Tag übermittelt hat. Eine Zurückweisung der Kündigung erfolgte dann nicht, bis die Antragsgegnerin die Änderungspolizze mit Ausschluss lediglich der Feuer- und Betriebsunterbrechungsversicherung übermittelte (RSS-E 11/21).
RSL20013
§ 70 VersVG
Nach Rechtsprechung und herrschender Lehre ist eine zeitwidrige Kündigung (insbesondere auch) des Versicherungsvertrags grundsätzlich in eine ordnungsgemäße Kündigung umzudeuten, also rechtlich so zu behandeln, als ob sie unter Einhaltung der vorgeschriebenen Frist zum nächstzulässigen Termin ausgesprochen worden wäre, wenn dies dem mutmaßlichen, dem Erklärungsempfänger erkennbaren Willen des Kündigenden zum Zeitpunkt der Kündigung entspricht. Der Versicherungsvertrag endet dann zum nächstmöglichen Kündigungstermin, ohne dass es einer erneuten Kündigung bedarf (RSS-E 14/21).
RSL20012
§ 52 VersVG
Der Umstand, dass die Versicherungsnehmerin bislang lediglich Leasingnehmerin war, bei Neukauf der Sache jedoch unmittelbar Eigentümerin wird, kann nach den getroffenen Vereinbarungen nicht dazu führen, einen anderen als den versicherten Wert der Entschädigungsleistung zugrunde zu legen.
Die Versicherungsnehmerin muss aus der Entschädigungsleistung einerseits das Neugerät kaufen, andererseits auch den Auflösungswert an die Leasinggeberin leisten. Insofern liegt in der Zahlung des Neuwerts keine ungerechtfertigte Bereicherung der Versicherungsnehmerin vor (RSS-E 5/21).
RSL20011
§ 61 VersVG
Grobe Fahrlässigkeit ist im Bereich des Versicherungsvertragsrechts dann gegeben, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen, wenn jedenfalls völlige Gleichgültigkeit gegen das vorliegt, was offenbar unter den gegebenen Umständen hätte geschehen müssen. Das Einfahren in eine Garage nach dem Ausladen der Einkäufe stellt eine Routinehandlung dar, bei der es durchaus vorkommen kann, dass nicht daran gedacht wurde, die geöffnete Heckklappe zu schließen. Eine derartige Unachtsamkeit ist im Sinn der Grundsätze der Rechtsprechung zur Abgrenzung der beiden Fahrlässigkeitsstufen nicht als grob fahrlässiges Verhalten zu qualifizieren (RSS-E 59/20).
RSL20010
§ 63 VersVG
Rettungsaufwand ist aber jede Vermögensverringerung, die im adäquaten Zusammenhang mit einer im Rahmen des § 62 VersVG ergriffenen Rettungsmaßnahme steht, soweit sie nicht nach dem Vertrag als Hauptschaden gilt. Rettungsmaßnahmen bringen öfters unvermeidliche Folgekosten mit sich; auch sie gehören zu den erstattungspflichtigen Aufwendungen. Dazu zählen auch die Sachschäden an Dächern, die bei der Entfernung großer Schneemassen entstehen (RSS-E 27/20).
RSL20009
§ 63 VersVG
Voraussetzung für die Anwendung der §§ 62, 63 VersVG ist, dass der Versicherungsfall unmittelbar bevorstand oder der Versicherungsnehmer subjektiv dies annehmen durfte, wobei einer solchen Annahme nur grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz entgegensteht. Die konkret in Betracht kommenden Maßnahmen müssen generell geeignet sein, den Schaden abzuwehren beziehungsweise zu mindern.
Für die rechtliche Beurteilung der auf diese Weise zu ermittelnden Rettungsmaßnahme ist immer der Zeitpunkt entscheidend, in dem die Rettungsmaßnahme vorzunehmen ist; es kommt nicht darauf an, ob sich bei einer ex post-Betrachtung ergibt, dass die Maßnahme tatsächlich zum Erfolg geführt hätte.
Den Versicherungsnehmer trifft die Beweislast dafür, dass der Versicherungsfall unmittelbar bevorstand oder dass er dies den Umständen nach annehmen durfte. War die Rettungsmaßnahme objektiv nicht geboten, so kommt es darauf an, ob der Versicherungsnehmer diese für geboten halten durfte. Insoweit ist auf die subjektive Sicht eines vernünftigen Versicherungsnehmers im Zeitpunkt des Handelns unter Berücksichtigung der konkreten Umstände und der konkreten Lage des Versicherungsnehmers abzustellen.
Die Abwendungspflicht und Milderungspflicht beginnt mit dem Beginn eines Ereignisses, das in seiner Folge wahrscheinlich den Schaden herbeiführen wird. Liegen bereits außergewöhnliche Schneemassen vor und sind Dächer in der Umgebung bereits eingestützt, steht der Annahme, dass der Versicherungsfall unmittelbar bevorsteht, nicht entgegen, dass das zum Assistenzeinsatz angeforderte Bundesheer erst 4 Tage nach der Anforderung tatsächlich zum Einsatz kommt (RSS-E 27/20).
RSL20008
§ 56 VersVG
Die Anwendbarkeit des § 56 VersVG setzt die Vereinbarung einer Versicherungssumme voraus (RSS-E 74/19).
RSL20007
§ 63 VersVG
§§ 62 f. VersVG ist nur insoweit anwendbar, soweit es sich um die Minderung eines bereits eingetretenen Schadens handelt, nicht aber um Kosten, die zur Behebung des eigentlichen Schadens dienen (RSS-E 68/19).
RSL20006
§ 78 VersVG
In der Versicherung für fremde Rechnung besteht schon aufgrund von § 78 VersVG kein ernster Zweifel daran, dass auch das Verhalten des Versicherten den Tatbestand von § 61 erfüllen kann. Wenn allerdings eigenes und fremdes Interesse gleichzeitig versichert sind, schadet nur das Verhalten des Versicherungsnehmers ihm und dem Versicherten, das Verhalten des Versicherten hingegen nur diesem und nicht auch dem Versicherungsnehmer.
Soweit der Versicherer daher davon ausgeht, dass ein grob fahrlässiges Verhalten der Miteigentümerin, die nicht Versicherungsnehmerin ist, dazu führt, dass keine Deckung nur im Ausmaß ihres hälftigen Miteigentumsanteils besteht, ist dies aus dem Aspekt der Zurechnung nicht zu beanstanden (RSS-E 50/19).
RSL20005
§ 61 VersVG
In der bisherigen Judikatur des versicherungsrechtlichen Senats des OGH wurden Fälle des Vergessens von Öl auf der heißen Herdplatte bislang durchwegs im Einzelfall als grob fahrlässig erachtet und die diesbezüglichen Entscheidungen der Unterinstanzen bestätigt. Auch wenn das Versicherungsunternehmen für das Vorliegen grober Fahrlässigkeit beweispflichtig ist, trifft den Versicherungsnehmer zumindest eine qualifizierte Behauptungs- bzw. Substantiierungslast hinsichtlich eines allfälligen "Augenblicksversagens", einer einmaligen, unbewussten Fehlleistung (RSS-E 50/19).
RSL20004
§ 67 VersVG
Die deutsche Rechtsprechung, wonach ein Mieter, der einen Brandschaden durch einfache Fahrlässigkeit verursacht hat, regelmäßig vor einem Rückgriff des Gebäudeversicherers in der Weise geschützt ist, dass eine durch die Interessen der Vertragsparteien gerechtfertigte ergänzende Auslegung des Gebäudeversicherungsvertrages einen konkludenten Regressverzicht des Versicherers für die Fälle ergibt, in denen der Wohnungsmieter einen Brandschaden durch einfache Fahrlässigkeit verursacht hat, ist auch auf den österreichischen Rechtsbereich übertragbar.
Ein Regress gegen eine Mieterin erscheint unbillig, zumal nicht nachvollziehbar ist, warum eine Mieterin, die vom Vermieter im Wege der Betriebskostenabrechnung mit den Kosten der Gebäudeversicherung belastet wird, nicht unter den versicherten Personenkreis fallen sollte (RSS-E 26/19).
RSL20003
§ 69 VersVG
Die Kündigung des Pachtvertrages ist kein Veräußerungsvorgang iSd § 69 f. VersVG. Vielmehr bleibt der Versicherungsvertrag mit der ehemaligen Pächterin bis zu einer etwaigen anderen Kündigungsmöglichkeit weiterhin aufrecht. Es obliegt vielmehr den Parteien des Pachtvertrages, eine entsprechende Vereinbarung zu treffen, zumal die Versicherungsnehmerin gegenüber dem ehemaligen Verpächter weiterhin in einer Art Treuhandverhältnis steht (RSS-E 21/19).
RSL20002
§ 68, 74 Abs 2 VersVG
Ist die Versicherungsnehmerin Pächterin der versicherten Sachen, ist nicht nur ihr eigenes Interesse als Pächterin, sondern auch das Sacherhaltungsinteresse des Verpächters versichert. Dieses Interesse ist jedoch bei Ruhendmeldung des Gewerbes durch die Pächterin nicht weggefallen, weshalb für die Anwendung des § 68 VersVG kein Raum bleibt (RSS-E 21/19).
RSL20001
§ 60 VersVG
Bei einer Mehrfachversicherung einer Passivenversicherung ist eine Rechtsfortbildung in der Form möglich, dass die Versicherungssumme des ersten Vertrages als Selbstbehalt in den späteren Vertrag aufgenommen werden kann (RSS-E 19/19).