Volker R. Ammann  Österreichischer  Wirtschaftsdelegierter  AC Los Angeles
© Stephan Huger | Studio Huger

Die USA - „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ – Sprichwörtlich!

Gastkommentar von Volker R. Ammann - Österreichischer Wirtschaftsdelegierter in Los Angeles.

Lesedauer: 4 Minuten

Aktualisiert am 24.10.2024

Wenngleich die Gräben tief sind und allerorts die Kristallkugeln auf Hochglanz poliert werden – in ein, zwei Dingen sind sich alle einig:

1. Die US-Wahlen am 5. November werden in vieler Hinsicht eine historische Wahl und
2. die US-Wähler:innen werden ihre Wahlentscheidung in erster und zweiter Linie von der eigenen Geldbörse abhängig machen.

„Lunch-Menü“
Dabei gleicht die Auswahl mehr einem amerikanischen “Lunch-Menü-Zettel” als jenem eines typisch österreichischen Gasthofs. Aber das war hier (fast) immer schon so. Lesen wir das Kleingedruckte – die „Allergen-Fußnote“ – dann sieht man rasch, was auf uns zukommt und in den Töpfen brodelt:
Kamela Harris setzt auf die Rezepte des Vorgängers, wenngleich mit einer stärkeren Prise Liberalismus. Dabei wird sie auf bewährte Zutaten und Partner setzen und damit NATO und die EU mit in die Küche holen. Bewährte Rezepte würden wohl angepasst und verfeinert. Neue Handelskriege würden eher vermieden als vom Zaun gebrochen und bestehende offene Agenden mit langjährigen Partnern (EU) eher versucht einer Lösung zugeführt zu werden.
Hieße der neue/alte Präsident Trump zeigt sich ein differenziertes Bild mit polarisierender und weiter verstärkter „America First“-Politik.
Erinnern wir uns: Er hinterfragte nicht nur lange Partnerschaften. Vielmehr distanzierte er die USA von solchen und löste bestehende Verträge (NATO, Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen, Abkehr vom Iran-Atom-Deal, Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation). Er setzte auf Protektionismus (einschließlich Zölle auf europäische Produkte). Alle sind sich einig: Unter Donald Trump kam es zum Erdbeben im internationalen Konsensgefüge und erschütterte mit „Stärke 12“ das bislang tiefe Vertrauen zahlreicher US-Partner – uns Europäern allen voran. Er kann in seinen Aussagen nicht klarer sein - das wird im Falle seiner Wiederwahl nicht anders – und Europa müsste sich wärmer anziehen.

Rezessionsbecken „Kongress“
Glücklicherweise gibt es auch in der US-Politik ein Sicherheitsventil für den Dampfdruckkessel. Das Rezessionsbecken der US-Politik heißt “Kongress” - und auch dieser wird zum Großteil bei der Wahl im November neu besetzt werden. Weitreichende Weichenstellungen bedürfen einer Mehrheit im US-Kongress. Zentrale Bedeutung kommt folglich seiner künftigen Zusammensetzung und den Mehrheitsverhältnissen zu.  
Hier die Prise Salz: Die Zusammensetzung im Kongress wird wohl wieder recht ausgeglichen sein. Dann braucht es das Fingerspitzengefühl des Chefkochs. Kann sie/er Kompromisse eingehen und politisch Andersdenkende in wichtigen Fragen an Bord holen und Mehrheiten für wichtige Gesetzesvorlagen schaffen?
Was auch der großen und starken US-Wirtschaft nicht bekäme ist Stillstand und Blockade. Die Wirtschaft braucht hier wie dort klare Regeln, Sicherheit und Planbarkeit.

Aber zurück zur Wahl selbst und jenen, die sie entscheiden werden: Die Amerikanerinnen und Amerikaner. Ihre Wahlentscheidung wird allem voran vom eigenen wirtschaftlichen Komfortempfinden abhängen. Das war immer so. Das Land ist zu groß und viel Wasser zwischen den (eigentlichen) Kriegsgeschehen aber auch den Partnern. Daher bleiben die zentralen Themen jene am Küchentisch: Arbeit/Arbeitslosigkeit, Kosten, Lebensstandard, Gesundheit, Ausbildung, … und ja, das Abtreibungsthema wird auch eine Rolle spielen.
 … und beide Seiten haben in gewisser Weise recht: Die Demokraten, wenn sie sagen, dass Biden und seine Regierung alles richtig gemacht haben und die Republikaner, wenn sie sagen, dass es bei der Bevölkerung nicht angekommen ist. Der Blick in den Rückspiegel erzählt die Geschichte einer durchaus erfolgreichen US-Wirtschaftspolitik in einer Zeit schwerwiegender Pandemie und Konflikte, die weltweit Energiemärkte aus der Balance brachten und die Weltwirtschaft und Lieferketten nachhaltig veränderten.
Die US-Wirtschaft wuchs zuletzt um +2,4 Prozent stärker als die Volkswirtschaften anderer Industriestaaten. Trotz steigender Zinsen wurde investiert und das Wachstum gestärkt. Die Inflation bekam man vergleichsweise rasch in den Griff und zehntausende neuer Arbeitsplätze konnten geschaffen werden.

Österreich und USA
Die österreichische Wirtschaft konnte von dem großen Kuchen in den vergangen Jahren Großteils ein ordentliches Stück abschneiden. Ein Blick in die Statistik erzählt vom wahrhaftigen „Warenexport-Feuerwerk“: 2022 +16,4 Prozent, 2023 +12,1 Prozent und 2024 sehen wir bislang Zuwächse von rund +11 Prozent. Der Dienstleistungssektor wächst langsamer, der Pfeil zeigt jedoch ebenfalls beständig nach oben. Dennoch - unsere Firmen werden zunehmend vorsichtiger, wenngleich der Kuchen groß genug ist für unsere vergleichbar kleine Volkswirtschaft und deren „Player“. Mit einem Wehrmutstropfen: Aufwand und Kosten für den hoch entwickelten US-Markt - mindestens fünf Flugstunden und fünf Arbeitsstunden im Arbeitstag-Zeitfenster entfernt - sind vergleichsweise hoch.
Eine Pandemie (die uns zwar mit flexibleren Arbeitszeiten und mehr Videotelefonie segnete) und einigen Hick-Ups später, stellen wir fest, dass der Tag dennoch nur 24 Stunden hat, die Flieger nicht schneller fliegen und der Zeitunterschied zwischen den Kontinenten geblieben ist. Dank der für unsere Betriebe typischen David/Goliath-Mentalität („sei schneller und Service-orientierter“), aber vor allem dem hohen Spezialisierungsgrad, sind wir in der Zulieferung erfolgreich und als Partner geschätzt. Der hohe Diversifikationsgrad unserer Nischenweltmeister hilft im Gesamtbild.
Zurück zur Wahl, der US-Wirtschaftsentwicklung und der Frage „Warum kam das alles bei der breiten Bevölkerung nicht an?“ – Wohnen ist längst nicht mehr leistbar und gefährdet den Mittelstand in beängstigender Form. Früher eine Herausforderung an der West- und Ostküste, ist das Problem im Zentrum des Landes angekommen und beschleunigt die Armutsentwicklung. Dazu kommen vergleichbar hohe Kosten für Schule, Uni, Ausbildung, Gesundheit und Fürsorge.

Starkmacher Forschung und Entwicklung

Was den USA nach wie vor gelingt und sie stark macht, ist das Thema Forschung und Entwicklung: Sowohl der private als auch öffentliche Bereich haben die restliche Welt weit hinter sich gelassen - insbesondere Europa. Über 160 US-Konzerne finden sich in den Top500 der F&E-Investitions-Weltmeister. Tendenz steigend. Allein sie investierten 2022 bereits fast 500 Milliarden Euro.    … 500.000.000.000 EURO! Das ist mehr als die Hälfte aller weltweit getätigten Investitionen im Forschungs- und Entwicklungsbereich. Die Wachstumsrate zweistellig (2022 +16 Prozent). Wenn in diesen Investitionen unsere Zukunft liegt, scheint diese in den USA gesichert.

Unabhängig wie die von uns allen mit Spannung verfolgten US-Wahlen ausgehen werden - die USA sind und bleiben für alle vorhersehbare Zukunft einer - wenn nicht der - bestimmende Faktor des weltwirtschaftlichen Geschehens und von entscheidender Bedeutung für Europa. Ich habe mich entschieden, die Kristallkugel im Regal zu lassen. Also staubt sie dort weiter vor sich hin. Zumindest das werden wir alle in wenigen Tagen wieder gemeinsam haben.