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Deutschland: Was ist mit unserem Nachbarn los?

Dr. Michael Scherz Wirtschaftsdelegierter AußenwirtschaftsCenter Berlin: „Die Deutschen sind keine Freunde großer Brüche oder Revolutionen."

Lesedauer: 4 Minuten

Aktualisiert am 15.02.2024

Lassen Sie mich etwas ausholen in den Spätsommer 2021. Ein flauer Wahlkampf, der sich hauptsächlich mit Nebensächlichkeiten, wie einem lachenden CDU-Kanzlerkandidaten während der Überschwemmungen im Ahrtal, beschäftigte und so gut wie gar nicht mit Vorschlägen zu Reformen, Veränderungen, Neuausrichtungen der deutschen Gesellschaft.
Die Deutschen sind keine Freunde großer Brüche oder Revolutionen und so lächelte sich ein in sich ruhender Kanzlerkandidat der SPD ins Kanzleramt. Zu aller Überraschung wurde Olaf Scholz neuer Bundeskanzler in der Tradition des Regierens mit ruhiger Hand, an der Spitze einer Ampelkoalition mit starken Grünen und den – im Vergleich zu SPD und Grünen – marktwirtschaftlich ausgerichteten Liberalen. Zu Weihnachten 2021 präsentierte man ein ehrgeiziges Programm zur Transformation der deutschen Wirtschaft von fossilen zu erneuerbaren Energien. Die neue Regierung wirkte plötzlich modern, dynamisch, anpackend! Die Welt beneidete Deutschland um diese Regierung des Aufbruchs. Die Rede war von werteorientierter Politik; in der Außenpolitik sollte endlich der Feminismus Einzug halten. Die Aussöhnung der Ökonomie mit der Ökologie war angesagt. In wenigen Jahren raus aus der Kernenergie und der Kohle, hinein in Photovoltaik, Wind, Wasserstoff und auf dieser Basis sollte die deutsche Industrie wieder international glänzen und den Fortschritt bestimmen! Dann kam der 24. Februar 2022: Russland überfiel mit Ansage die Ukraine. Die deutsche Regierung gab sich geschockt und unvorbereitet.  Jahrzehnte lang setzte man in Bonn und Berlin auf Wandel durch Handel. Nun war das alles nur noch Makulatur.

Die ehrgeizigen Pläne der Ampel halten einer neuen Realpolitik in den folgenden Monaten immer schwerer Stand. Neben der finanziellen und militärischen Hilfe für die Ukraine sind noch nicht alle Folgen der Coronapandemie bewältigt. Die internationale Lage bleibt angespannt, China kommt nicht und nicht in die Gänge und ist doch Deutschlands wichtigster Handelspartner. Explodierende Energiepreise und eine sprunghafte ansteigende Inflation fordern nicht nur die deutsche Regierung bis zum Äußersten. Alle Teile der Wirtschaft und Gesellschaft rufen nach Hilfen und die Subventionen fließen bzw. werden zugesagt als gäbe es kein Morgen. Sondervermögen zur Aufrüstung der zu Tode gesparten Bundeswehr, Klima- und Transformationsfonds für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen; 90 Milliarden Euro für den Kohleausstieg, der Skandal um Nordstream2 und die Einstellung der Gaslieferungen aus Russland zwingen die Bundesregierung auf LNG-Gas umzusteigen, das vor allem aus den USA, Norwegen, den Niederlanden und Qatar bezogen wird. Immerhin gelingt es in wenigen Monaten erste LNG-Anlandungsterminals zu bauen. Zunehmend ächzt der produzierende Sektor unter den hohen Energiepreisen. Subventionen fließen wieder für Privathaushalte und Großverbraucher. Allen voran die Grünen bangen um die Realisierung ihrer Prestigeprojekte und erwirken wider jeder Vernunft den Ausstieg aus der Kernenergie. Energiepolitisch setzt man in Deutschland auf Gas als Übergangsenergie zu den Erneuerbaren; der Rest der Welt mehr oder weniger auf Atomkraft. Hämische internationale Kommentare können an diesem Kurs auch nichts mehr ändern. Die Ampel will von dem eingeschlagenen Weg nicht abrücken und unbedingt der Erste bei der Transformation sein, obwohl das weltweit fast keinen Einfluss auf den CO² Ausstoß hat.


Die Auswirkungen auf die Industrie werden im Laufe des Jahres 2023 immer dramatischer und auch in der Bevölkerung wird der Unmut mit dieser Bundesregierung immer größer. Es kommt zu Protesten und die Umfragewerte der drei Koalitionsparteien sind im freien Fall. Vor allem bräuchten die Industrie, aber auch die Privathaushalte mehr Zeit für diesen Transformationsprozess. Das geplante neue Gebäudeenergiegesetz scheitert immer wieder; die Verwirrung auf allen Seiten steigt.

Energieintensive Industrieunternehmen verlagern immer stärker ihre Produktionsanlagen ins Ausland. Besonders attraktiv sind dafür die USA, die mit ihrem IRA (Inflation Reduction Act) vorprescht und genau das Gegenteil der Deutschen macht. Washington setzt auf totale Innovationsoffenheit, Atomkraft, Steuererleichterungen und Schiefergas, das es auch in Deutschland gibt, aber die Grünen jede Förderung ablehnen. Die USA mit viel niedrigeren Energiepreisen als in Europa haben einen satten Vorteil.

Immer lauter wird in Berlin der Ruf nach Änderungen in der Energie- und Industriepolitik. Aber beharrlich bleibt man hier bei Subventionen. Internationale Investoren wie INTEL werden mit Dutzenden Milliarden Euro nach Deutschland gelockt. Zum Jahresende 2023 erklärt der Bundesverfassungsgerichtshof den Haushalt 2023 nachwirkend für ungültig. Zwischenzeitlich gehen die Investitionen im Mittelstand, der Herzkammer der deutschen Wirtschaft, immer weiter zurück. Man gewinnt den Eindruck, dass die deutsche Bundesregierung und besonders die Grünen die Bedeutung des Mittelstandes nie wirklich erkannt haben. Gleichzeitig verweigern die Liberalen jede Aufweichung oder Änderung der Schuldenbremse.

In der Zwischenzeit sind auch die Nachbarn Deutschlands alarmiert: Sehen wir den Untergang des wirtschaftlichen Riesens Deutschland? Viele Beobachter gehen davon aus, dass das Land mit offenen Augen in eine Katastrophe läuft. Verschärft wird das alles noch von einem immer größeren Mangel an Arbeitern! Was passiert, wenn Trump wieder Präsident der USA wird, wie will Europa unter Umständen die Ukraine alleine unterstützen? Chinas Politik gegenüber Taiwan trägt auch nicht gerade zur Entspannung bei. Die deutsche Automobilindustrie steckt mitten im Wandel zum Elektroantrieb fest – mit ersten Erfolgen, aber langfristig vielen offenen Problemen. Der Maschinen- und Anlagenbau meldet jeden Monat ein weiteres Exportminus. Die Stimmung ist ausgesprochen schlecht.
Die unmittelbaren Auswirkungen zeigen sich für Österreich in einem langsam zurückgehenden Außenhandel. Chancen gibt es dennoch! Sie reichen von innovativen Lösungen für die Automobilindustrie,  für den Transformationsprozess zu erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne und Wasserstoff, belastbaren Leitungsnetzen, modernen Baustoffen, digitalen Lösungen für die öffentliche Verwaltung und die Optimierung von industriellen Abläufen, chemischen und pharmazeutischen Produkten, biologischen Lebensmitteln bis zur Modernisierung der maroden Eisenbahn- und Autobahninfrastruktur. Es bleiben also noch viele Geschäftschancen, die es umzusetzen gilt. Gleichzeitig sollte die österreichische Wirtschaft sich weiter vor allem auch geographisch diversifizieren.   

Es hätte so schön werden können mit einer feministischen und werteorientierten deutschen Außenpolitik und ohne schädliche Fabriken; nur mit Biobauern und Biobäuerinnen und veganer Kost; ohne Skikanonen zur Herstellung von Kunstschnee; jeder hätte ein subventioniertes Lasten e-Bike erhalten und Bullerbü wäre Wirklichkeit geworden. Die Blase scheint jedoch zu platzen, aber vielleicht ist die deutsche Wirtschaft doch noch nicht verloren!