„Es gibt nichts Verführerisches als ein Fragezeichen, ein Rätsel, das gelüftet werden muss“
Ausbildung. Was macht eine gute Wissensvermittlung der Zukunft aus? Dr. Henning Beck – Neurowissenschaftler und Autor – ist Gastredner beim diesjährigen Ausbilder:innen Forum am 4. Oktober im Kulturhaus Dornbirn.
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Herr Beck, Sie treten beim kommenden Ausbilder:innen Forum auf. Wo sind die Anknüpfungspunkte der Neurowissenschaften zur Ausbildung von Jugendlichen?
Alles Lernen findet im Kopf statt. Wer verstehen will, wie Menschen neue Informationen verarbeiten und wie das konkret gelingen kann, findet in der Funktionsweise des Gehirns die Antworten. Wenn man sich an unserer Art des Denkens orientiert, darf man das Gehirn nicht als „Auswendiglernmaschine“ missinterpretieren. Wissen ist nicht wie ein Sack Reis, den man von A nach B stellt. Wissen entsteht, wenn man sich aktiv mit den Dingen auseinandersetzt und ein Modell der Dinge aufbaut. Dazu ist es wichtig, Freiheiten zum Ausprobieren zu lassen und Menschen im Lernprozess nicht zu passivieren. Wissensinhalte müssen mit Rätseln, Geheimnissen, konkreten Aufgaben erlebbar gemacht werden.
Heißt, es geht für Unternehmen auch darum, effektivere Lehr- und Lernmethoden zu entwickeln. Welche Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft können uns dabei helfen?
Es gibt nichts Verführerisches als ein Fragezeichen, ein Rätsel, das gelüftet werden muss. Irgendwann stellt sich jeder im Lernprozess die Frage: Warum lerne ich das? Wofür brauche ich das? Mit dieser Frage muss man anfangen, um eine Nützlichkeit zu betonen. Ich hatte einen Geschichtslehrer, der in unsere Klasse kam und meinte: „Leute, ich bin Papst. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Doch der König sieht das nicht ein. Was sollte ich wohl tun?“ Indem wir überlegten, verstanden wir das Problem, kamen aber nicht auf die richtige Lösung (den Gang nach Canossa). Solche interaktiven Elemente führen dazu, dass man Wissen nicht passiv konsumiert, sondern aktiv erlebt. Lehrmethoden sind deswegen keine Frage der Technik, sondern eine Frage der Didaktik. Man kann die beste Weiterbildung der Welt an einer Schiefertafel machen. Und die schlechteste mit einem Tablet.
Sie bezeichnen das Gehirn als die fehlerhafteste und gleichzeitig innovativste Struktur überhaupt auf der Welt. Wie beeinflusst das Gehirn die Motivation und das Engagement von Lernenden?
Es gibt drei Dinge, die Menschen antreibt: das Streben nach Freiheit, das Streben nach Verbesserung und das Streben nach sozialer Anerkennung. All diese Dinge müssen im Lernprozess konkret erlebbar gemacht werden, indem man den persönlichen Fortschritt zeigt (dass man z.B. ein Problem lösen kann). Dass man zumindest in Teilen selbstständig arbeiten darf. Und dass man am Ende in der Gruppe dafür durch Anerkennung belohnt wird. Nur dann kann Motivation entstehen.
Die Künstliche Intelligenz überrollt uns gerade. Warum wird das nicht ausreichen, um gute Ideen zu kreieren?
Künstliche Intelligenz optimiert Regeln, denn genau das ist die Definition von Intelligenz. Intelligenz bedeutet nicht, Regeln zu brechen, zu hinterfragen, neue Regeln aufzustellen oder etwas zu testen, ohne zu wissen, ob es funktionieren wird. Intelligente Menschen (oder Maschinen) verschieben gerade nicht die Grenzen der Menschheit, sie optimieren sie, bis sie in einem lokalen Minimum gefangen sind. Die ersten Kreativitätstests wurden von der NASA entwickelt, weil man feststellte, dass intelligente Menschen nicht unbedingt innovativ sind. Es wird deswegen in Zukunft auf die Symbiose aus musterfindender KI und regelbrechendem menschlichem Denken ankommen.
Überall Smartphones und Tablets, permanent sind Jugendliche und auch wir Erwachsene damit konfrontiert. Welche Auswirkungen haben moderne Technologien auf das Gehirn und das „sich Bilden“?
Was die langfristigen Folgen sind, können wir noch nicht sagen, da eine Multi-Screen-Umgebung erst seit etwa 15 Jahren exisitert. Klar ist, dass auch in Zukunft gute Wissensvermittlung auf eine persönliche Interaktion mit einem Lernagenten angewiesen ist. Dieser Agent kann und wird in Teilen durch KI ersetzt werden, die einem individuell Wissensinhalte aufbereitet, Testaufgaben erstellt oder Hausaufgaben abfragt. Doch zusätzlich braucht es eine Interaktion mit anderen Menschen, um das Wissen in einer Gruppe anzuwenden.
Vielfach geht es in der Bildung und Ausbildung um Widerstandsfähigkeit und Stressmanagement...
Resistenz gegenüber Stressfaktoren ist ein ganz wesentlicher Teil einer Ausbildung. Wer nicht lernt, mit dem Druck einer Abschlussprüfung umzugehen, wird auch im Leben niemals bereit für Top-Leistung sein, wenn die Rahmenbedingungen kompliziert sind. Ausbilder könnten Tricks zeigen, wie man sich auf Prüfungen vorbereitet: durch Prognosetraining, bei dem man zuhause eine Prüfung simuliert. Zum Beispiel, indem man einen Abschlussvortrag nur ein einziges Mal ohne abzusetzen hält. Oder indem man öfter Prüfungssituationen während einer Lernkampagne einsetzt. Nur dadurch lernt man, mit dem Stress umzugehen.
Welche Tipps können Sie unseren Ausbilder:innen für deren Arbeit noch ganz spontan mitgeben?
Verpacken Sie Wissensinhalte in Rätsel, in Aufgaben, die von einer Gruppe (oder einem Individuum) gelöst werden müssen. Verraten Sie die Lösung (den zu lernenden Wissensinhalt) nicht zu früh, sondern lösen Sie am Ende auf. Genauso wie man Weihnachtsgeschenke einpackt. Denn die Spannung bei einem verpackten Geschenk und die Überraschung beim Auspacken sind unbezahlbar.
Vielen Dank für das Gespräch!