Susanne Nickel spricht beim Ausbilder:innen-Forum zum Thema Emotional Leadership.
© Susanne Nickel

„Das ist keine Rocket-Science, sondern eine Frage der Haltung“

Susanne Nickel wird das 8. Vorarlberger Ausbilder:innen-Forum Anfang Oktober mit ihrer Expertise zum Thema Emotional Leadership bereichern. Vorab klärt sie im Interview über die Vorteile dieses Führungskonzepts für ausbildende Betriebe und Lehrlinge auf: „Unternehmen können ihren Lehrlingen eine Art Zuhause geben.“

Lesedauer: 3 Minuten

Aktualisiert am 30.09.2024

Frau Nickel, Emotional Leadership – auf welchen Werten basiert dieses Führungskonzept?
Es geht im Wesentlichen darum, dass Führungskräfte in der Lage sein wollen, gelingende Beziehungen aufzubauen. Die alte Führungswelt war vorrangig von Kontrolle, Zahlen, Daten und Fakten geprägt. Lassen Sie mich Emotional Leadership mit dem Eisberg-Beispiel erklären: 1/8 befindet sich über der Oberfläche und 7/8 darunter, das sind Emotionen, Bedürfnisse, Vertrauen; allesamt wertvolle, aber weiche Faktoren, die eine immer größere Rolle spielen. Führungskräfte sollen in der Lage sein, dahin zu kommen, um Mitarbeiter:innen zu binden und auf Augenhöhe und wertschätzend zu führen.

Inwiefern ist das speziell für die Ausbildung von Jugendlichen von Bedeutung?

Das ist insofern bedeutsam, weil junge Menschen großen Wert darauf legen, emotional abgeholt zu werden. Das belegen viele Studien, die sich ein Soziologe in meinem Team dazu angesehen hat: Gerade junge
Menschen brauchen emotionale Beziehungen, auch (kleinere) Unternehmen können ihren Lehrlingen eine Art Zuhause geben. Dabei geht es nicht um Zahlen, Daten und Fakten, sondern um das „Gesehenwerden“ der jungen Menschen – auch mit ihren Sorgen. Das kommt nicht nur den Lehrlingen zugute, sondern auch anderen Generationen, die in das Konzept eintauchen und die jungen Menschen so an das Unternehmen binden können.

Wie kann das konkret aussehen?
Ein Aspekt davon ist Coaching, wenn es um die Entwicklung von jungen Menschen geht: Über Coaching-Fragen kann man sie in Eigenverwantwortung bringen. Das ist auch in Kleinstbetrieben einfach anwendbar, weil neben der Technik die richtigen Fragen zu stellen, ist eine wertschätzende Haltung hilfreich, um Menschen zu entwickeln. Lehrlinge sind dadurch während der Ausbildungszeit besser gebunden, als wenn dieses Instrument nicht zum Einsatz kommt. 

Warum bietet das Konzept des Emotional Leadership speziell in unsicheren Zeiten Vorteile?

Wenn die Welt stabil wäre und alles glatt läuft, gibt es nicht so viele Ängste; Widerstand und Sorgen entstehen in unsicheren Zeiten. Die heutigen Lehrlinge haben die Lockdowns im Homeschooling erlebt, sie waren in jungen Jahren durch die Corona-Krise sehr gefordert und konnten noch keine so große Resilienz aufbauen wie ältere Menschen. Es ist wichtig, sie mit ihren Ängsten und Bedürfnissen emotional abzuholen.

Ein Beispiel?
Gerne. Sitzt ein kleines Kind angstvoll in einer Ecke, gehe ich hin, nehme seine Angst ernst und versuche es zu trösten, zu ermuntern. Ausbildungsverantwortliche in Unternehmen, die einem sorgenvollen Jugendlichen sagen „jaja, das wird schon“ oder „stell dich nicht so an“, schaffen es nicht, jemanden an sich zu binden oder  verlieren ihn emotional. Wenn ein Lehrling sagt, „ich habe Angst, weil ich nicht weiß, wie sich mein Berufsleben weiter gestaltet“, kann ich als Verantwortlicher mit Zahlen, Daten, Fakten argumentieren, aber abholen werde ich die jungen Menschen bei solchen Themen nur emotional. Sicherheit ist ein emotional geprägtes Bedürfnis, das bedeutet: Ich werde geschätzt und mit meinen Bedürfnissen gehört; auch wenn das nicht heißt, dass alles davon umgesetzt wird. Es geht darum zu verstehen, wie jemand tickt. Auf diese Weise entwickeln sich vertrauensvolle Beziehungen und auch eine Bindung an das Unternehmen.  

Wie kann die Veränderung hin zu „Emotional Leadership“ gelingen?
Viele – auch kleine – Betriebe machen schon Vieles richtig indem sie ihren Lehrlingen einen Mentor oder eine Patin zur Seite stellen. Die erfahrene Person kann wiederum von den Skills der jungen Menschen lernen. Eine solche Integration ins Unternehmen ist wichtig.
Ein zweiter Tipp lautet, Feedback zu geben; nicht nur in Form von Lob und Anerkennung, sondern sich zu fragen, wo die Person steht, was braucht sie, um sich zu entwickeln? Damit kann man bereits im ersten Lehrjahr beginnen.  
Der dritte Tipp dreht sich wie bereits erwähnt um einfache Coaching-Fragen, um Menschen in Entwicklung  und Eigenverantwortung zu bringen. Es gilt, Coaching als Instrument zu nutzen, mit einfachen Fragen zu trainieren. Das ist keine Rocket Science, sondern eine Frage der Haltung – auf Augenhöhe und mit Wertschätzung.

Vielen Dank für das Gespräch! Das Gespräch führte Sabine Barbisch.