WKV-Präsident Karlheinz Kopf
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„Das gesündeste Wachstum ist ein investitionsgetriebenes“

KommR Karlheinz Kopf hat mit 1. Jänner 2025 die Funktion des WKV-Präsidenten übernommen. Im „diwi“-Interview spricht er über aktuell anspruchsvolle Zeiten und das Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und Politik.

Lesedauer: 6 Minuten

Aktualisiert am 23.01.2025

Glückwunsch zur neuen Rolle als Präsident. Gleich vorweg die Frage: Wie waren die ersten Wochen?
Sehr intensiv. Aktuell stehen viele Branchentermine aber auch interne Termine an, zum Kennenlernen der Mitarbeitenden sowie deren Inhalte und Tätigkeitsfelder.

Sie haben in turbulenten Zeiten das Amt übernommen. Welche ersten Ziele setzt man sich in solch‘ einer Situation?
Es geht mir jetzt kurzfristig vor allem darum, in direkten Kontakten die Situation der verschiedenen Branchen und Betriebe aufzunehmen und ihnen das Gefühl zu geben, als Partner an ihrer Seite zu stehen. Gleichzeitig gilt es, gemeinsam mit dem Land erste standortstärkende Maßnahmen und Projekte aus dem Regierungsprogramm bzw. aus unserer eigenen WKV-Agenda in die Umsetzung zu bringen. Und schließlich gilt es auch, auf die Regierungsverhandlungen im Bund im Hinblick auf die notwendige Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Einfluss zu nehmen.

Österreich ist in den vergangenen Monaten und Jahren wirtschaftlich ins Hintertreffen geraten. Was ist da falsch gelaufen?
Im Gegensatz zu anderen Ländern haben wir die Inflation – kommend von der Energiepreisentwicklung – nicht rasch genug in den Griff bekommen. Das hat nach den Preisen die Lohnentwicklung extrem angetrieben. Durch die daraus resultierende Explosion der Lohnstückkosten haben wir uns in vielen produzierenden Sektoren aus dem Markt „hinausgepreist“. Die rasanten Zinserhöhungen der EZB und die unnötige KIM-Verordnung haben den Wohnbau zum Erliegen gebracht. Und dazu kommt noch ein gewaltiger Bürokratieschub auf allen Ebenen.

Darunter werden wir wohl noch länger zu leiden haben?

Ja, wir sprechen hier nicht nur von einer konjunkturellen Flaute, sondern von echten strukturellen Problemen, die wir dringend bearbeiten müssen. Leider fehlt dem Bund ausgerechnet in dieser schwierigen Situation für die notwendige Senkung der Lohnnebenkosten und der Energieabgaben sowie für notwendige steuerliche Leistungsanreize der budgetäre Spielraum.

Andere Länder haben es in dieser Zeit aber besser gemacht.
Durchaus, wenngleich die Voraussetzungen auch sehr unterschiedlich waren. Wir haben jahrzehntelang vom günstigen Gas aus Russland preislich profitiert. Die starke Abhängigkeit wurde dann zum Nachteil, aber den  Angriffskrieg Russlands konnte niemand vorhersehen. Leider haben in der Folge die Gewerkschaften bei den Lohnverhandlungen jedes Augenmaß vermissen lassen und waren nicht einmal bereit, die großen staatlichen Hilfen zur Stärkung der Haushaltseinkommen in Anrechnung zu bringen. Die verlorene Wettbewerbsfähigkeit ist die Antwort darauf.

Wie muss man der paradoxen Situation – steigende Arbeitslosenzahlen und Fachkräftemangel – begegnen?
Die Hälfte der in Vorarlberg arbeitslosen Menschen verfügt nur über einen Pflichtschulabschluss. Das kann die Antwort nur lauten: Qualifikation! Dem Fachkräftemangel müssen wir durch verstärkte Mehrleistungsanreize für Überstunden, längeres Arbeiten im Alter und Aufstockung bei Teilzeitjobs sowie durch gezielte, qualifizierte Zuwanderung begegnen.

Auf der einen Seite sollen Belastungen für die Wirtschaft reduziert und die Investitionen angekurbelt werden. Gleichzeitig muss das Budgetloch saniert werden. Das ist eine Mammutaufgabe.
Das gesündeste Wachstum ist ein investitionsgetriebenes Wachstum durch angebotsseitige Fördermaßnahmen. Diese rechnen sich in der Regel fast von selbst. Die nachfragestärkenden Entlastungen und Zuwendungen der vergangenen Jahre haben angesichts der allgemeinen Unsicherheit nicht die gewünschte Wirkung erzielt, das ist in der gestiegenen Sparquote deutlich abzulesen. Gott sei Dank hat die Konjunktur in Teilen des Handels und vor allem im Tourismus gehalten. Wir müssen bei der Budgetsanierung jetzt sehr genau darauf achten, dass wir nicht Maßnahmen setzen, die der schwachen Konjunktur zusätzlich schaden.

Vorarlberg hat immer wieder Krisen getrotzt. Was gibt Anlass zum Optimismus?
Wir sind sowohl im Hinblick auf den Branchenmix als auch was die Unternehmensgrößen anbelangt sehr breit aufgestellt. Dadurch werden sektorale Schwankungen in Summe besser abgefangen. Aber die Schwäche der europäischen Industrieproduktion schlägt in einem Industrieland wie Vorarlberg besonders stark durch. Gut ist, dass sowohl auf europäischer wie auch auf nationaler Ebene die dringende Notwendigkeit einer forcierten Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und des europäischen Binnenmarktes erkannt wurde. Und auch das Arbeitsprogramm der neuen Landesregierung spricht die richtigen Standortthemen an. Wenn auf allen Ebenen rasch und beherzt gehandelt wird, besteht absolut Anlass zu einem gewissen Optimismus.

Das Zusammenspiel zwischen Politik und Wirtschaft ist essenzIell. Sie bringen enorme Erfahrungen in beiden Bereichen mit.
Ich sehe es als Vorteil, dass ich mit der eigenen Firma praktische Erfahrungen gesammelt habe. Auf der anderen Seite direkt durch die Politik als langjähriger Mandatar. Drittens in der Interessenvertretung auf Bundesebene. Da hilft es sicher, wenn man weiß, wie die Systeme ticken. Aber der Handlungsspielraum ist im Moment nicht unbegrenzt. Schon aus budgetären Gründen. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass es gelingen kann, in den laufenden Regierungsverhandlungen ein vernünftiges Standortpaket zustande zu bringen, das den Betrieben wieder Zuversicht gibt. Nichts ist lähmender als Unsicherheit.

Kommen wir zurück auf den Arbeitsmarkt. Arbeiten muss wieder attraktiver werden?
Absolut, denn viele fragen sich, rentiert sich das Leisten von Überstunden, rentiert sich ein Aufstocken, etwa von Teilzeit auf Vollzeit, rentiert sich längeres Arbeiten im Alter? Wir bringen in die Regierungsverhandlungen auf Bundesebene einen interessanten Vorschlag ein. Eine Art Flat-Tax von 20 Prozent für alle diese Zusatzleistungen. Ich könnte mir vorstellen, dass dieser finanzielle Anreiz bei vielen seine Wirkung nicht verfehlen würde.

Es braucht aber auch eine qualifizierte Zuwanderung?

Bis 2040 werden uns auf Grund der demografischen Entwicklung einige hunderttausend Arbeitskräfte fehlen. Das heißt, bei allem Ausschöpfen von Potenzialen durch Anreize mehr zu leisten, wird das nicht reichen. Ja, wir brauchen eine Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, aber nicht ins Sozialsystem. Da gilt es, attraktiv zu sein, schneller zu sein, Stichwort Rot-Weiß-Rot-Karte. Auch wenn hier vieles besser geworden ist, gibt es Luft nach oben, indem man diese Systeme vereinfacht und digitaler macht.

Herr Präsident, Österreich ist seit dem 1.1.2025 30 Jahre Mitglied in der EU. Ein Anlass zur Freude?
Als kleine Volkswirtschaft ist es für uns essenziell, Grenzen zu überschreiten und stark auf dem Weltmarkt aktiv zu sein. Wir verdienen mehr als die Hälfte unseres Wohlstandes im Ausland, davon wieder 70 Prozent im EU-Ausland. Nachweislich hat unsere EU-Mitgliedschaft pro Jahr circa ein halbes Prozent an zusätzlichem Wirtschaftswachstum gebracht. Das ist ein enormer Beitrag zu unserer Lebens- und Einkommenssituation. Es ist schade und bedauerlich, dass in der Zwischenzeit die EU-Skepsis so zugenommen hat.

Was ist aus Ihrer Sicht die Ursache dieser Skepsis?
Das hat viele Ursachen, eine ist sicher auch, dass falsche Schwerpunktsetzungen auf europäischer Ebene in eine starke Regulatorik gemündet haben und damit zu einer enormen Zunahme an Bürokratie für die Betriebe geführt hat. Die Menschen haben inzwischen das Gefühl, dass von europäischer Ebene vor allem sehr viele Vorschriften, Gebote und Verbote kommen. Dazu kommt eine enorme Skepsis gegenüber allem Fremden, die politisch geschürt und ein Stück weit der EU zugeschrieben wird. Das alles verstärkt diese Renationalisierungstendenzen nach dem Motto „Festung Österreich“, was natürlich blanker Unsinn ist.

Die Kammerwahlen stehen unmittelbar bevor. Stichwort starke Wirtschaft, starke Stimme.

Die Kammer mag für manche sehr komplex erscheinen. Aber diese matrixartige Organisation – auf der einen Seite als Betrieb Mitglied zu sein in meiner Fachgruppe, Innung, Gremium, wo ich eine fachliche Heimat habe, fachliche Beratung und Unterstützung – und auf der anderen Seite der Überbau mit Service, Bildungsangeboten und einer branchenübergreifenden Interessenvertretung, ist meines Erachtens genial konstruiert. Die gesetzliche Mitgliedschaft gibt der gesamten Organisation und damit den Vertretern der Wirtschaft erst die Schlagkraft, um wirklich  für alle wirklich sprechen können. Die Legitimation kommt schließlich demokratisch durch die Kammerwahlen. Darum ist es so wichtig, dass die Unternehmer:innen ihr Wahlrecht wahrnehmen. Damit verhelfen sie ihrer Interessenvertretung zu ihrer Legitimation und einer Stärke gegenüber der Politik.

Abschließend, was ist Ihre Motivation für diese Aufgabe als Präsident?
Ich komme aus einer Unternehmerfamilie und bin zeitlebens unternehmerisch bzw. als Führungskraft tätig gewesen. Und das seit über 40 Jahren. Das war auch immer meine Motivation, sowohl was die politische Tätigkeit als auch meine Funktion in der Interessenvertretung anbelangt. Es war immer mein Bedürfnis, wirtschaftspolitisch Weichenstellungen vornehmen zu können und gestalterisch tätig zu sein. Das rundet sich nun mit dem Nachhausekommen von Wien nach Vorarlberg und mit der Funktion in der Wirtschaftskammer Vorarlberg ab und schließt den großen Kreis meines wirtschaftspolitischen Lebens.

Vielen Dank für das Gespräch!


Das Gespräch führte Herbert Motter.