Neue EU Durchführungsverordnungen
Erweiterung der Liste schwerwiegender Verstöße und Berechnung der Risikoeinstufung von Verkehrsunternehmen.
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Update zum Risikoeinstufungssystem
Stand 09.08.2022
Wie wir bereits in der Vergangenheit informiert haben, hat die Europäische Kommission eine gemeinsame Formel für die Berechnung der Risikoeinstufung von Verkehrsunternehmen festgelegt, die auch Auswirkungen auf Unternehmen im Werkverkehr haben kann (siehe Beilage).
Wir dürfen dazu das folgende Update der Bundessparte übermitteln, das das Ergebnis einer Besprechung mit dem Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) ist:
- Das BMK ist gerade dabei, das bisherige Risikoeinstufungssystem zu überarbeiten.
- Die neue Formel findet derzeit in Österreich noch keine Anwendung. Das Ministerium vertritt informativ die Rechtsmeinung, dass die neue Formel erst 14 Monate nach Inkrafttreten des Durchführungsrechtsaktes (VO (EU) 2022/695 der Europäischen Kommission vom 2. Mai 2022, in Geltung seit 23. Mai 2022), also am 23.7.2023 anwendbar sein muss. Dies ergibt sich nach Meinung des Ministeriums aus Artikel 23 der VO 1071/2009 idF der VO 1055/2020. In den nächsten Monaten wird das Ministerium daher die bestehenden offenen Fragen und Umsetzungsmaßnahmen klären; einerseits wird es sich dazu auch mit der Europäischen Kommission (va im Hinblick auf die Widersprüchlichkeit einzelner EU-VO und RL, die jeweils Teile des Risikoeinstufungssystems regeln) und andererseits mit dem Bundesrechenzentrum (zu den technische Voraussetzungen) austauschen. Im Spätherbst sollte Näheres bekannt sein, wir haben ein weiteres Gespräch Ende Oktober/Anfang November avisiert.
Legistisch sind das KFG und die KDV anzupassen, auch ein entsprechender Erlass wird aufgrund der Komplexität der Thematik in Aussicht gestellt. Die technische Umsetzung erfolgt durch das Bundesrechenzentrum.
- Wichtiger Hinweis für Kleintransporteure (grenzüberschreitend über 2,5 bis einschließlich 3,5t): Das BMK geht nach derzeitigem Wissensstand davon aus, dass die Risikoeinstufung in diesem Segment erst ab 1. Juli 2026 anzuwenden sein wird (parallel zur Ausdehnung des Geltungsbereichs der VO 561/2006).
- Das Risikoeinstufungssystem muss in Zukunft EU-weit vernetzt und für ausländische EU-Kontrollorgane einsehbar sein. Darum wird das BMK auch insbesondere auf den Gleichklang in der Umsetzung mit den anderen Mitgliedstaaten achten.
- Überleitung vom bisherigen System zum neuen System: Das BMK erhielt von der Kommission folgende Information: Ab Geltung der neuen Formel wird das neue System zur Gänze das bisherige ersetzen und die Risikoeinstufung für alle Unternehmen in der EU wieder von Neuem beginnen. Somit starten alle Unternehmen mit dem Inkrafttreten des neuen Systems mit einer Risikoeinstufung von Null.
- Letztlich wurde in Aussicht gestellt, bei der Programmierung des neuen Risikoeinstufungssystems anhand der neuen Formel auch unserer Forderung nach einer Verständigung der Unternehmen bei Einträgen nachzukommen (Details dazu sind noch zu klären, überlegt wird eine Umsetzung im Unternehmensservice Portal).
Über die weiteren Entwicklungen halten wir Sie selbstverständlich auf dem Laufenden.
Die Europäische Kommission hat zwei delegierte Verordnungen angenommen, die am 3. Mai 2022 im Amtsblatt der EU kundgemacht wurden:
1. Durchführungsverordnung (EU) 2022/694 der Kommission vom 2. Mai 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/403 hinsichtlich neuer schwerwiegender Verstöße gegen die Unionsvorschriften, die zur Aberkennung der Zuverlässigkeit des Kraftverkehrsunternehmers führen können
Hintergrund: Die Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 wurde durch die Verordnung (EU) 2020/1055 geändert, mit der neue schwerwiegende Verstöße gegen das auf vertragliche Schuldverhältnisse, Kabotage und die Entsendung von Arbeitnehmern im Kraftverkehr anzuwendende Recht in die Liste der Verstöße aufgenommen wurden, die zur Aberkennung der Zuverlässigkeit führen können. Außerdem wird mit der VO (EU) 2020/1055 ein zusätzliches von der EK bei der Festlegung des Schweregrads schwerwiegender Verstöße zu berücksichtigende Kriterium eingeführt, indem der Verweis auf die Gefahr von Wettbewerbsverfälschungen im Güterkraftverkehrsmarkt hinzugefügt wurde. Außerdem bedingt die VO 1054/2020 weitere Änderungen.
Inhalt der Verordnung: Mit der nun vorliegenden Verordnung wird die Verordnung (EU) 2016/403 geändert, um die neuen Verstöße aufzunehmen (Anhang I). Außerdem wird das Kriterium zur Festsetzung der Häufigkeit der Verstöße, bei deren Überschreiten wiederholte Verstöße als schwerwiegendere Verstöße einzustufen sind, geändert. Nunmehr ist die Zahl der für die Verkehrstätigkeit eingesetzten Fahrzeuge und nicht die Zahl der Fahrer dabei zu berücksichtigen (Anhang II).
Bei den neu aufgenommenen Verstößen handelt es sich insbesondere um:
Ruhezeiten:
- Keine Ausgleichsruhezeit für zwei aufeinanderfolgende reduzierte wöchentliche Ruhezeiten (VSI)
- Verbringen der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit oder einer wöchentlichen Ruhezeit von mehr als 45 Stunden in einem Fahrzeug (VSI)
- Keine Übernahme der Kosten für die Unterbringung außerhalb des Fahrzeugs durch den Arbeitgeber (SI)
Arbeitsorganisation:
- Arbeit der Fahrer vom VU nicht so geplant, dass die Fahrer in der Lage sind, zur Betriebsstätte des AG oder zu ihrem Wohnort zurückzukehren (VSI)
Fahrtenschreiber:
- Erforderliche Angaben nicht auf dem Schaublatt eingetragen (VSI)
- Aufzeichnung ohne die Symbole der Länder, deren Grenzen der Fahrer während der tgl. Arbeitszeit überquert hat (SI)
- Aufzeichnungen ohne die Symbole der Länder, in denen die tägliche Arbeitszeit des Fahrers begann und endete (SI)
- Berücksichtigung des 56 Tage Zeitraums für Vorlegen von Aufzeichnungen und Ausdrucke ab 31.12.2024 (VSI)
Geschwindigkeitsbegrenzer:
- Auch das Vorhandensein (nicht nur die Verwendung) einer betrügerischen Vorrichtung zur Verfälschung ist MSI
Kabotage Güterbeförderung (VO 1072/2009):
- Durchführung einer Kabotagebeförderung, die nicht mit den im Aufnahmemitgliedstaat geltenden Rechtsund Verwaltungsvorschriften im Einklang steht (VSI)
- Durchführung von Kabotagebeförderungen in einem Mitgliedstaat innerhalb von vier Tagen nach Ende der letzten rechtmäßigen Kabotagebeförderung im selben Mitgliedstaat (VSI)
- Das VU ist nicht in der Lage, eindeutige Belege für die vorhergehende grenzüberschreitende Beförderung und/oder für jede durchgeführte darauf folgende Kabotagebeförderung und/oder – in Fällen, in denen sich das Fahrzeug innerhalb der Frist von vier Tagen vor der grenzüberschreitenden Beförderung im Aufnahmemitgliedstaat befindet – für alle durchgeführten Beförderungen vorzuweisen und diese Belege während der Straßenkontrolle vorzulegen. (VSI)
Kabotage Personenkraftverkehrsmarkt (VO 1073/2009)
- Durchführung einer Kabotagebeförderung, die nicht mit den im Aufnahmemitgliedstaat geltenden Rechtsund Verwaltungsvorschriften im Einklang steht (VSI)
- Kontrollpapiere für die Kabotage (Fahrtenblatt für den Gelegenheitsverkehr oder der Vertrag zwischen dem Verkehrsunternehmer und dem Veranstalter des Verkehrsdienstes oder eine beglaubigte Abschrift davon bei Sonderformen des Linienverkehrs) werden nicht an Bord des Fahrzeugs mitgeführt oder können Kontrollberechtigten auf Verlangen nicht vorgezeigt werden (VSI)
Verstoß gegen das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, Rom I (VSI)
- Außerdem werden neue Kriterien für die Festlegung des Schweregrads und der Häufigkeit des Auftretens dieser Verstöße eingeführt. Bei der Festsetzung der Häufigkeit der Verstöße, bei deren Überschreiten wiederholte Verstöße als schwerwiegendere Verstöße einzustufen sind, wird in Zukunft die Zahl der für die Verkehrstätigkeit eingesetzten Fahrzeuge und nicht die Zahl der Fahrer relevant sein.
Gruppe von Verstößen gegen die EntsendeRL
- Unvollständige Angaben auf der Entsendemeldung (SI)
- Dem Mitgliedstaat, in den der Fahrer entsandt wird, wird nicht spätestens bei Beginn der Entsendung eine Entsendemeldung übermittelt (VSI)
- Gefälschte Entsendemeldung für Fahrer (VSI)
- Fahrer kann keine gültige Entsendemeldung vorlegen (VSI)
- Dem Fahrer wird keine gültige Entsendemeldung zur Verfügung gestellt (VSI)
- Dem Aufnahmemitgliedstaat werden die angeforderten Unterlagen nicht innerhalb von acht Wochen nach dem Tag der Aufforderung vorgelegt (VSI)
- Unternehmen hält die Entsendemeldungen an der mit dem IMI verbundenen öffentlichen Schnittstelle nicht auf dem neuesten Stand (SI)
Vorsicht: die VO ist in Zukunft auch für grenzüberschreitend tätige Kleintransportunternehmen mit Fahrzeugen, deren zulässige Gesamtmasse mehr als 2,5 t, jedoch nicht mehr als 3,5 t beträgt und die ab 21.5.2022 eine EU-Gemeinschaftslizenz benötigen, relevant.
Die VO tritt am 23.5.2022 in Kraft.
2. Durchführungsverordnung (EU) 2022/695 der Kommission vom 2. Mai 2022 zur Festlegung von Regeln für die Anwendung der Richtlinie 2006/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der gemeinsamen Formel für die Berechnung der Risikoeinstufung von Verkehrsunternehmen
Hintergrund: Die von den Mitgliedsstaaten eingeführten nationale Risikoeinstufungssysteme, mit denen die Kontrollen gezielter auf Unternehmen mit hoher Risikoeinstufung ausgerichtet werden, basieren derzeit auf unterschiedlichen nationalen Berechnungsmethoden (bisher gab es nur eine Empfehlung der EK). Nach Artikel 9 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/22/EG musste die Kommission im Wege von Durchführungsrechtsakten eine gemeinsame Formel für die Risikoeinstufung eines Unternehmens festlegen. Dies hat sie nunmehr in der vorliegenden VO getan. Die bisherige Formel, die national in § 60a KDV verankert wird, wird dadurch geändert.
- Neu ist ein „fixes System“ bei der Einstufung (es wurde gegenüber dem begutachteten Entwurf noch abgeändert):
- Betreiber, die nicht kontrolliert wurden (graue Gruppe)
- 0-100 Punkte: Betreiber mit geringem Risiko (grüne Gruppe)
- 101-200 Punkte: Betreiber mit mittlerem Risiko (gelbe Gruppe)
- 201 Punkte oder mehr: Betreiber mit hohem Risiko (rote Gruppe)
- Insgesamt wird die gewichtete Punktzahl für eine Einzelkontrolle anhand der folgenden Gewichtungsfaktoren für die einzelnen Arten von Verstößen berechnet:
- MI = 1
- SI = 10
- VSI = 30
- MSI = 90
- Die bisherige Gewichtung nach Jahren entfällt. Jeder Verstoß wird in der Formel während eines Zeitraums von zwei Jahren angerechnet.
- Wird bei einer Kontrolle auf dem Unternehmensgelände des Verkehrsunternehmens festgestellt, dass die gesamte Flotte mit dem intelligenten Fahrtenschreiber gemäß Kapitel II der Verordnung (EU) Nr. 165/2014 ausgerüstet ist, wird die Endpunktzahl mit dem Faktor 0,9 („g“) multipliziert.
Vorsicht: in Zukunft (ab 23.7.2023) auch für Kleintransportunternehmen, die grenzüberschreitend tätig sind (über 2,5 t bis einschließlich 3,5t) relevant:
Nach Art 23 der VO 1055/2020 gilt: Abweichend von Artikel 16 Absatz 2 gilt die Anforderung der Einbeziehung der Risikoeinstufung der Unternehmen in die einzelstaatlichen elektronischen Register nach Ablauf von 14 Monaten nach dem Inkrafttreten des Durchführungsrechtsakts über eine gemeinsame Formel für die Risikoeinstufung gemäß Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie 2006/22/EG.
Die Verordnung tritt am 23.5.2022 in Kraft und gilt unmittelbar.
Im Downloadbereich finden Sie die Verordnungen in deutscher Sprache. Anbei auch noch der Link zur PA: Implementing Mobility Package 1: European Commission harmonises enforcement of road transport rules (europa.eu)