Sparte Industrie

Energiepreisanstieg: BSI fordert Schutzpaket für Industrie

Der Europäische Rat blieb in seiner Sitzung am 22. Oktober 2021 ohne konkretes Ergebnis. Energieintensive Betriebe brauchen aber rasche Entlastungsmaßnahmen

Lesedauer: 4 Minuten

Die Industrie erlebt gerade einen beispiellosen Preisschock bei Gas und Strom. Die in einem nie zuvor gesehenen Ausmaß steigenden Preise für Strom und Gas bedeuten für die Unternehmen enorme zusätzliche Kostenbelastungen: die Verachtfachung des Erdgaspreises seit Anfang 2020 auf Werte über 90 Euro/MWh und die Verdoppelung des CO2-Preises auf rund 60 Euro/t im selben Zeitraum trieben die Preise im Stromgroßhandel zuletzt auf Werte bis zu 160 Euro/MWh oder das Vierfache. Hauptgründe für die Preisrallyes an den Energiebörsen sind die globalen Ungleichgewichte am Gasmarkt, die steigende Nachfrage nach Erdgas aufgrund der raschen wirtschaftlichen Erholung insbesondere in Asien, Rückgänge der europäischen Gasförderung, saisonale Faktoren, die auch die Produktion erneuerbarer Energien reduziert haben, niedrige Speicherfüllstände, hohe LNG-Importpreise, die Verringerung der Kernenergieproduktion und die gestiegenen CO2-Kosten, die in den Strompreisen weitergegeben werden. Die Staatschefs diskutierten in der Sitzung des Europäischen Rates am 21. Oktober 2021 das Thema intensiv, blieben aber konkrete Antworten schuldig. 

Transformation und Wettbewerbsfähigkeit gefährdet 

Energieintensive Unternehmen, die den Preisspitzen am stärksten ausgesetzt sind, mussten bereits mit der Einschränkung oder vorübergehenden Schließung von Anlagen reagieren. Anzeichen der Entspannung dieser kritischen Situation gibt es derzeit kaum. Die anhaltend hohen Preise an den Spotmärkten spiegeln sich auch in den Futures für das erste Halbjahr 2022 wider, die um bis zu 160% über den Notierungen im Frühjahr 2021 liegen. Diese Kosten bedrohen die vollständige Erholung der Industrie nach der Pandemie. Darüber hinaus stellt der Zugang zu erschwinglichen CO2-armen Energiequellen eine Schlüsselbedingung für eine wettbewerbsfähige Transformation energieintensiver Industrien am Pfad in Richtung Klimaneutralität dar. Daher drohen langwierig hohe und volatile Energiepreise mittelfristig auch dieses Ziel zu gefährden. Im Hinblick auf die Dekarbonisierung der Industrie in Richtung Klimaneutralität müssen ausreichende Mengen an erneuerbarem Strom und grünem Gas zu wettbewerbsfähigen Kosten verfügbar sein und Produktionsanlagen umgebaut werden. Dies kann nur erfolgen, wenn die notwendigen Investitionskosten erwirtschaftet werden können und die Unternehmen nicht durch ungleichen internationalen Wettbewerb aus dem Markt gedrängt werden. 

Neue Belastungen vermeiden 

Die von der Europäischen Kommission Mitte Oktober vorgestellte Toolbox gibt einen Überblick über gezielte und befristete Maßnahmen, die kurzfristig zur Unterstützung von Haushalten und Industrie ergriffen werden können, wie etwa die Absenkung von Energiesteuern. Die Idee, die Belastungen über eine Reduktion der Abgaben auf Energie zu senken, ist gut. Wenn aber die Kommission an anderer Stelle den Rechtsrahmen noch enger zurrt und damit die Kosten für die Industrie erhöht, lässt sich die dramatische Lage nicht entschärfen. So führen etwa die Pläne für neue Beihilfeleitlinien für Umwelt, Klima und Energie und die neue Energiesteuerrichtlinie dazu, dass dringend nötige Entlastungen für die Industrie stark zurückgefahren werden und den Energiepreisschock noch verschlimmern. Mit solchen Belastungen kann die europäische Industrie nicht wettbewerbsfähig bleiben. Es ist klar, dass zusätzliche Maßnahmen dringend nötig sind. Natürlich gibt es auch richtige Ansätze in der Kommissionsmitteilung. Der stärkere Ausbau der Erneuerbaren und Innovationssprünge in der Energieeffizienz können preisdämpfend wirken – allerdings nur langfristig. 

EU-Instrumentarium ausschöpfen 

Da die rasant gestiegenen Preise direkt auf die Kostenstruktur und Wettbewerbsfähigkeit der Industriebetriebe durchschlagen, sind rasche Entlastungsmaßnahmen nötig. Dies gilt umso mehr, als höhere Produktionskosten im internationalen Standortwettbewerb kaum über die Produktpreise weitergegeben werden können. Die BSI fordert daher die europäischen und nationalen Behörden nachdrücklich auf, das volle Potenzial des EU-Instrumentariums in Form eines Schutzpakets für die Industrie auszuschöpfen. Um Ungleichgewichte auf dem Gasmarkt auszugleichen, sollte die EU ihre kommerziellen und diplomatischen Handlungsspielräume bei den großen internationalen Gaslieferanten in vollem Umfang nutzen. Darüber hinaus sind Ad-hoc-Vorschriften für staatliche Beihilfen erforderlich, damit die Mitgliedstaaten - stärker als derzeit - zulässig reagieren können. Gleichzeitig muss ein enger Überwachungsmechanismus der Strom- und Gasmärkte eingerichtet werden, um eine weitere Zuspitzung im kommenden Winter zu verhindern. Während die anhaltende Krise vor allem mit mehreren konjunkturellen Faktoren zusammenhängt, liefern ihre Auswirkungen auch wichtige Hinweise für das Paket "Fit for 55" und den Klima- und Energie-Rechtsrahmen: Plötzliche Erhöhungen des Kohlenstoffpreises im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems müssen vermieden werden, und ein wirksamer Schutz vor Carbon Leakage muss in der überarbeiteten Emissionshandels-Richtlinie sichergestellt werden; langfristige Stromabnahmeverträge von Unternehmen sollten gefördert werden, um den Zugang zu wettbewerbsfähigem CO2-freiem Strom zu erschwinglicheren Preisen als auf Spotmärkten zu erleichtern; flexibles Abnahmeverhalten muss für die Vorteile bei der Netzstabilität angemessen belohnt werden; die Wettbewerbspolitik, einschließlich der bevorstehenden Klima-, Energie- und Umweltleitlinien, muss einen unterstützenden Rechtsrahmen für den industriellen Wandel bieten; schließlich sollten verstärkt Möglichkeiten zur Entkopplung des Strom- und Gasmarktes gesucht werden. 

Politik muss Handlungsspielräume nutzen 

Energieintensive Branchen, wie etwa die Papier-, Stahl-, Aluminium-, Zement-, chemische und Düngemittelindustrie haben bereits Alarm geschlagen. Um in Österreich sicher und wettbewerbsfähig produzieren zu können und Investitionen planen zu können, brauchen die Unternehmen Versorgungssicherheit mit Energie zu kompetitiven Kosten – und zwar 24/7. Ergänzend und kurzfristig zu Maßnahmen auf europäischer Ebene müssen daher auch nationale Handlungsspielräume zur Unterstützung der massiv betroffenen Betriebe genützt werden. Solche Maßnahmen können etwa über Entlastungen bei Netzentgelten für netzdienliches Verhalten nach dem Vorbild Deutschlands, temporäre Entlastung bei der Erdgas- und Elektrizitätsabgabe (zB Ausweitung der unterjährigen Vergütung) und die rasche, auch im Regierungsprogramm vorgesehene Umsetzung der Kompensation indirekter CO2-Kosten gemäß Emissionshandels-Richtlinie zur Vermeidung von indirekter Carbon Leakage sein. Die legistischen und infrastrukturellen Voraussetzungen zum Markthochlauf von Grünem Gas und Wasserstoff müssen unverzüglich geschaffen werden. Und schließlich darf auch die – befristete - Einführung eines Industrie-Strompreises kein Tabu sein. Darüber hinaus muss ein umfassender Belastungsstopp für die Industrie selbstverständlich sein. 

Die aktuelle Situation zeigt deutlich, wie wichtig der Ausbau erneuerbarer Energie und der entsprechenden Infrastruktur mittel- und langfristig ist – sie unterstreicht aber auch die hohe Bedeutung der Versorgungssicherheit mit vorhandenen Energieträgern im europäischen und internationalen Verbund, solange Alternativen nicht ausreichend vorhanden sind. Letztlich geht es nicht nur um kurzfristige Preissteigerungen, sondern um die mittel- bis langfristige Verfügbarkeit und Versorgungssicherheit mit leistbarer Energie als Voraussetzung für die Dekarbonisierung. 

Autor:
DI Oliver Dworak
E-Mail:
oliver.dworak@wko.at

Stand: 29.10.2021

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