Sparte Industrie

Aarhus-VO: Geltungsbereich wird erweitert

EU-Parlament und Rat haben sich Anfang Oktober auf eine Ausweitung der Rechte der Öffentlichkeit betreffend die Überprüfung von Verwaltungsakten geeinigt

Lesedauer: 2 Minuten

EU-Parlament und Rat haben Anfang Oktober eine vorläufige Einigung zur Überarbeitung der Aarhus-Verordnung erzielt. Diese regelt die EU-Umsetzung der internationalen Aarhus-Konvention zum Recht der Öffentlichkeit auf Überprüfung von Verwaltungsakten

Der EU-Umweltrat hat am 6.Oktober 2021 seinen Standpunkt über eine Änderung der Aarhus-VO festgelegt. In der Verordnung ist im Wesentlichen geregelt, wie die EU und ihre Mitgliedstaaten das internationale Übereinkommen von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten umsetzen sollen. Die Festlegung des Standpunkts des Rates erfolgte im Anschluss an eine vorläufige Einigung, die im Juli 2021 mit dem EU-Parlament erzielt wurde, und stellt den letzten Schritt des Annahmeverfahrens dar. 

Ziel der Revision der Aarhus-VO war es, die öffentliche Kontrolle über Verwaltungsentscheidungen zu verbessern und den Zugang zu Gerichten (vor allem für NGOs) zu erleichtern. Durch den nunmehr erweiterten Anwendungsbereich ist mit weitreichenden Auswirkungen für Industrieunternehmen zu rechnen. 

So besteht etwa die Gefahr, dass zukünftig wichtige Entscheidungen der EU in verschiedenen Politikbereichen eher blockiert werden, wie z.B. im Energiebereich, in der Verkehrspolitik, bei Produktzulassungen, aber etwa auch bei Forschungsprojekten und im Gesundheitsbereich. 

Mit der Revision sollte sichergestellt werden, dass die EU das Übereinkommen von Aarhus uneingeschränkt einhält, etwa in Bezug auf das Recht der Mitglieder der Öffentlichkeit, die Überprüfung der von einem Organ oder einer Einrichtung der EU erlassenen Verwaltungsakte ohne Gesetzescharakter zu beantragen, wenn diese rechtliche Auswirkungen haben und Bestimmungen enthalten, die möglicherweise gegen Umweltrecht verstoßen. 

Der Rat und das Parlament haben u.a. vereinbart,

  • die Klagebefugnis über NGOs hinaus auszuweiten, sodass andere Mitglieder der Öffentlichkeit unter bestimmten Voraussetzungen eine interne Überprüfung von Verwaltungsakten beantragen können. Mitglieder der Öffentlichkeit müssen entweder nachweisen, dass ihre Rechte aufgrund des behaupteten Verstoßes gegen das Umweltrecht verletzt wurden und dass sie von einer solchen Beeinträchtigung im Verhältnis zur breiten Öffentlichkeit unmittelbar betroffen sind, oder nachweisen, dass ein ausreichendes öffentliches Interesse besteht und dass der Antrag von mindestens 4000 Mitgliedern der Öffentlichkeit unterstützt wird, die in mindestens 5 Mitgliedstaaten wohnhaft bzw. niedergelassen sind, wobei mindestens 250 Mitglieder der Öffentlichkeit in jedem dieser Mitgliedstaaten wohnhaft oder niedergelassen sind. In beiden Fällen wird die Öffentlichkeit durch eine NGO oder einen Rechtsanwalt vertreten;
  • die Ausnahme von Verwaltungsakten betreffend staatliche Beihilfen nicht aus der Verordnung zu streichen (eine Frage der Einhaltung, die Gegenstand eines aktuelleren Falls vor dem Ausschuss zur Überwachung der Einhaltung des Übereinkommens von Aarhus ist);
  • die Organe und Einrichtungen der EU zu verpflichten, Überprüfungsanträge und diesbezügliche Entscheidungen zu veröffentlichen. 

Im Wesentlichen hat sich durch die Revision geändert, dass nun deutlich mehr Verwaltungsakte betroffen sind und der Kreis der Anfechtungsberechtigten durch die Ausweitung auf „andere Mitglieder der Öffentlichkeit“ (mit den oben erwähnten Einschränkungen) erweitert wurde. Bis dato konnte eine Überprüfung von EU-Rechtsakten nur bei Vorliegen eines „individuellen Interesses“ beantragt werden. Künftig können NGOs auch die Überprüfung von Verwaltungsakten von „allgemeinem Interesse“ beantragen. 

Mit anderen Worten: Bisher konnten Umwelt-NGOs nur Entscheidungen anfechten, die bestimmte Unternehmen individuell betrafen. Anträge auf Überprüfung waren unzulässig, wenn sich Entscheidungen an ganze Branchen richteten. Das ändert sich nun. Betroffen können etwa Zulassungen für Düngemittel, Saatgut und Pflanzenschutzmittel sein. 

Beispiel: Unter der alten Regelung lehnte die Europäische Kommission einen Antrag auf Überprüfung ihrer Entscheidung ab, die es einer nationalen Regierung erlaubte, kostenlose Emissionshandelszertifikate für die Modernisierung der Stromerzeugung zuzuteilen. Künftig kann eine solche Entscheidung von Umwelt-NGOs an den EuGH herangetragen werden, was für ein betroffenes Unternehmen eventuell bedeutet, dass es bei einer existenziellen Frage lange im Unklaren bleibt.  

Es kann nun mittels entsprechenden Antrags grundsätzlich jeder Verwaltungsakt, der im weitesten Sinne möglicherweise gegen EU-Umweltrecht verstößt, einer Überprüfung unterzogen werden. Verwaltungsakte, die staatliche Beihilfen betreffen, sind allerdings nach wie vor explizit ausgenommen. 

Autor: 
Mag. Gerfried Habenicht
E-Mail:
gerfried.habenicht@wko.at

Stand: 29.10.2021

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