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Stärkung des multilateralen Welthandelssystems - WTO-Reform

Position der WKÖ

Lesedauer: 6 Minuten

Aktualisiert am 13.09.2024

Die Welthandelsorganisation (WTO) steht vor noch nie da gewesenen Herausforderungen. Globalisierungskritische Angriffe, das Ausbleiben von multilateralen Verhandlungsergebnissen, scheinbar unüberwindliche Interessensgegensätze zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern sowie Angriffe auf die Funktionsfähigkeit aus den eigenen Reihen stellen die WTO als Garantin für den freien Welthandel, die die Grundlagen für Rechtssicherheit und Fairness im internationalen Handel sowie für die Beilegung von Handelskonflikten zwischen den mittlerweile 164 WTO-Mitgliedern bietet, in Frage.

Die Existenz und Akzeptanz bindender Regeln zum grenzüberschreitenden Handel, die von der WTO verhandelt, überwacht und mittels eines unparteiischen Systems zur Streitbeilegung durchgesetzt werden, hat jahrzehntelang dazu beigetragen, Handelskonflikte abzubauen und Handelskriege zu vermeiden.

Die Entwicklung neuer Handelsregeln durch die WTO konnte jedoch mit den wirtschaftlichen, politischen und technischen Veränderungen der Globalisierung nicht Schritt halten. Auch die WKÖ sah den Beginn der laufenden Verhandlungsrunde vor mittlerweile achtzehn Jahren als Chance ehrgeiziger Marktzugangsverhandlungen für industriell-gewerbliche Waren aber auch für Ergänzungen des WTO-Systems bei Dienstleistungen, Landwirtschaft, Investitionen, Wettbewerb etc. Einige der großen „Player“ der WTO kritisieren heute insbesondere die weiter bestehenden marktverzerrenden Beihilfen, die oft über staatseigene Unternehmen wirken, die Verletzung geistiger Eigentumsrechte, unflexible Verfahren, ungerechtfertigte Vorteile für industrialisierte Schwellenländer u.a.m.

Die WTO und ihre Mitgliedsländer konnten ihre Handelsregeln seit 2001 aufgrund unterschiedlicher Interessen nur sehr unzureichend modernisieren. Das für die regelbasierte Lösung von Handelskonflikten zuständige WTO-Streitbeilegungsverfahren ist aufgrund der Blockade der Stellenbesetzung im Berufungsgremium akut gefährdet. Zudem ist die Rolle der WTO als Überwachungsinstanz durch mangelnde Notifikationen der WTO-Mitglieder und daraus resultierende mangelnde Transparenz gefährdet.

Die Erhaltung und Stärkung der Rolle der WTO als internationales Verhandlungsforum, als Überwachungsinstanz sowie als Garantin weltweit geltender Handelsregeln ist für die Wirtschaft von großer Bedeutung.

Die WTO garantiert die Umsetzung ihrer Handelsregeln durch ein prinzipiell gut funktionierendes Streitbeilegungssystem, das bei internationalen Handelsstreitigkeiten zwischen den WTO-Mitgliedern zur Anwendung kommt. Gerade diese zentrale Rolle wird von den USA derzeit gefährdet, da sich diese weigern, der Nachbesetzung vakanter Richterposten im Berufungsgremium des WTO-Streitschlichtungssystems zuzustimmen. Dies könnte zu einer Lahmlegung des WTO-Berufungsgremiums mit Ende 2019 führen, da die erforderliche Anzahl von mindestens drei Richtern nicht mehr gegeben sein wird

Aus Sicht der Wirtschaft ist ein allgemein anerkannter, verbindlicher WTO-Streitbeilegungsmechanismus auch in Zukunft unverzichtbar. Nur eine uneingeschränkt funktionsfähige WTO sichert in Zeiten verstärkten Protektionismus die Einhaltung von fairen Wettbewerbsbedingungen im internationalen Handel. Diese Rahmenbedingungen sind für international tätige Unternehmen, insbesondere für KMU, im Sinne größerer Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit staatlicher Regelungen von großer Bedeutung.

Die WKÖ fordert daher eine weiterhin funktionierende, modernisierte WTO zur Schaffung, Überwachung und Durchsetzung von weltweit geltenden Handelsregeln. Nur eine moderne WTO kann den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden.

Folgende Punkte müssen hierbei im Vordergrund stehen:

1. Eine funktionierende WTO-Streitbeilegung

Im Rahmen der aktuellen Blockade der USA bei der Nachbesetzung von Richterposten für die Berufungsinstanz ist in erster Linie eine Verhandlungslösung auf multilateraler Ebene unter Einbindung der USA anzustreben. Verfahren sollten, bei gleichzeitiger Stärkung der Ressourcen und Kapazitäten des WTO-Streitbeilegungsgremiums, verkürzt und effizienter gestaltet werden.

Bedenken wegen eines die Kompetenzen der WTO-Staaten angeblich einschränkenden „judicial overreach“ des Berufungsgremiums sollten auf ihre Berechtigung untersucht und gegebenenfalls in der Reformdebatte gebührend berücksichtigt werden. Sollte dies zu keiner konsensualen Lösung führen, kann als zweite Möglichkeit die Bestellung eines Richters mittels Mehrheitsentscheidung angedacht werden. Den USA könnte, unter Aufgabe ihrer Boykotthaltung, bei der Nominierung eines/r derart bestellten Richters/Richterin eine entscheidende Rolle zugedacht werden.

Eine dritte Möglichkeit besteht darin, das beschleunigte Verfahren nach Artikel 25 DSU heranzuziehen. Dort ist die Möglichkeit zur Einberufung eines ad-hoc-Streitbeilegungspanels innerhalb des WTO Systems verankert. Im Einvernehmen der Streitparteien kann dadurch ein beschleunigtes Schiedsverfahren geführt werden, das vor Beginn des Verfahrens allen Mitgliedern notifiziert wird. Die Streitparteien kommen überein, den Schiedsspruch anzunehmen, eine Berufung ist nicht vorgesehen.

Um den neuen ad-hoc-Streitbeilegungspanels auch das nötige politische Gewicht zu verleihen, müsste eine „kritische Masse“ von Mitgliedern ihre Empfehlungen auch anerkennen und umsetzen.

Eine rasche Lösung hinsichtlich einer weiterhin funktionierenden Streitbeilegung ist jedenfalls von größter Bedeutung für die Internationale Wirtschaft und die Glaubwürdigkeit der WTO.

2. Moderne, verbesserte WTO-Regeln

Dazu gehören vor allem greifbare Ergebnisse zu folgenden Verhandlungsthemen:

  • Abschluss der Doha-Agenden im Bereich des verbesserten Marktzugangs für Industrieprodukte und im Agrarhandel
  • Aufnahme von Zukunftsthemen in die Verhandlungsagenda wie digitale Wirtschaft/digitaler Handel und globale Wertschöpfungsketten
  • Verbesserung des regulatorischen Umfeldes um Benachteiligung und Diskriminierung zu verhindern
  • Beseitigung von ungerechtfertigten nichttarifären Handelshemmnissen in allen Bereichen und Sektoren des internationalen Handels
  • Notwendigkeit der Anpassung der Regeln zum Schutz des geistigen Eigentums und ihrer effektiven Rechtsdurchsetzung.

3. Ausnahmeregeln und Exportbeschränkungen

In beiden für die Wirtschaft wichtigen Bereichen müssen Verhandlungslösungen gefunden werden, um den politischen Missbrauch und schleichende protektionistische Maßnahmen zu unterbinden. Dies gilt aus aktuellem Anlass besonders, aber nicht nur, für die allgemeine Ausnahme handelsbeschränkender Maßnahmen aufgrund von staatlichen, nationalen Sicherheitserwägungen von den WTO-Regeln.

Es gilt als anerkannter Rechtsgrundsatz, dass Ausnahmeregelungen restriktiv zu interpretieren sind. Es wäre von großem Vorteil, wenn sich dies deutlicher in den WTO-Verträgen verankern ließe.

4. Verbesserung der Transparenz und Notifizierungsmoral

Eine grundlegende Aufgabe aller WTO-Mitgliedstaaten ist es, in den dafür zuständigen WTO-Räten und Ausschüssen zu kontrollieren, ob die bereits jetzt bestehenden Vorschriften zur Notifizierung von potenziell handelsbeschränkenden und handelsverzerrenden nationalen Maßnahmen und Gesetzen von allen Mitgliedstaaten eingehalten werden. Dazu zählen z.B. Maßnahmen zum Schutz von Pflanzen, Tieren, Lebensmitteln, technische Sicherheitsbestimmungen aber auch Antidumping-Maßnahmen oder bestimmte Beihilfen.

Viele wichtige Handelspartner kommen diesen Notifizierungserfordernissen nicht oder nur unzureichend nach. Die in der WTO an sich vorgesehene Transparenz über Markt- und Marktzugangsbedingungen der WTO-Mitglieder ist daher weder für Staaten, noch für Wirtschaft und Unternehmen gegeben. Die WTO sollte dringend die Notifizierungsdisziplin ihrer Mitglieder heben, strenger überwachen, die dafür zuständigen Gremien stärken und damit die allgemeine Transparenz zu Markt- und Marktzugangsbedingungen in ihren Mitgliedstaaten erhöhen.

5. Plurilaterale und sektorale Lösungen

Wir bekennen uns zu multilateralen Verhandlungsergebnissen, die von einem größtmöglichen Konsens aller WTO-Mitglieder getragen werden. Solche sind durch das Einstimmigkeitserfordernis aber oft schwierig zu erreichen. Daher sollten flexible Verhandlungsansätze angestrebt und plurilaterale sowie sektorale Lösungen verstärkt ins Auge gefasst werden.

Einzelne Staaten können sich so ihren „Policy Space“ bewahren, hindern andere Staaten aber nicht daran, wichtige Handelsthemen weiterzuentwickeln. Allfällige Risiken von plurilateralen Initiativen in der WTO können durch bestimmte Anforderungen minimiert werden. Zu diesen zählen etwa die Möglichkeit für alle WTO-Staaten, einen plurilateralen Abkommen später beizutreten („Multilateralisierung“) oder die Erreichung einer aus wirtschaftlicher Sicht „kritischen Masse“, sowie die mit ihr unmittelbar zusammenhängende allfällige Ausweitung der Meistbegünstigung auf Nicht-Mitglieder des plurilateralen Abkommens.

Es geht dabei nicht um die Abschaffung von Multilateralismus, sondern im Gegenteil darum, diesen mangels multilateraler Lösungsmöglichkeiten zu stärken. Es ist auch intensiver zu untersuchen, wie man mit den Kritikern plurilateraler Abkommen unter den WTO-Mitgliedern weiter im Gespräch bleiben, und ob ihre Beteiligung an plurilateralen Initiativen durch interessante Angebote auch in anderen Regelungsbereichen der WTO ermöglicht werden kann.

6. Stärkere Berücksichtigung von KMU Interessen

Die WTO-Regeln müssen die Interessen von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) aufgrund spezifischer und differenzierter Interessenlagen stärker berücksichtigen. Insbesondere KMU sind auf faire Bedingungen im internationalen Handel angewiesen.

7. Dialog mit Bündnispartnern

Die WKÖ unterstützt die Modernisierungsvorschläge der EU von September 2018 und die darauf aufbauenden Initiativen zu verbesserter Transparenz und Notifikation sowie der Reform der Streitschlichtung. Um die Reform umzusetzen, bedarf es starker Bündnispartner („like-minded-partners“) innerhalb der WTO und darüber hinaus

Die Kommission zeigt durch die Vorlage konkreter Modernisierungsvorschläge und Aufnahme des Dialogs mit potentiellen Bündnispartnern in der WTO und in internationalen Foren (G20, EU-US-JP Kooperation, EU-China Working Group, u.a.) Engagement, Ambition und Willen, eine umfassende, breit aufgestellte, seriöse und nicht zuletzt dringend notwendige Diskussion zur Reform der WTO zu führen. Wir bestärken die Kommission, den begonnenen Dialog mit potentiellen Bündnispartner fortzusetzen und zu intensivieren, da weitere Anstrengungen auch in Zukunft notwendig sein werden, um das Reformvorhaben erfolgreich voranzutreiben und abzuschließen.