SPIK - Sozialpolitik informativ & kurz

Newsletter Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit 25.11.2024

Lesedauer: 9 Minuten

Aktualisiert am 22.11.2024

Inhaltsübersicht

  • Österreich im OECD-Vergleich: Viel Zuwanderung, zu wenig in den Arbeitsmarkt
  • International „War of Talents“: Österreich legt nach
  • Deutsches Projekt zur Viertagewoche: Erfolg oder Grimms Märchen?
  • Beschäftigung: öffentlicher Sektor wächst, Rest schrumpft
  • Rechnungshof fordert rasche Umsetzung von eHealth-Anwendungen
  • Tagung „Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Arbeitswelt“ am 16./17.01.2025 in Innsbruck


Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ob in den USA oder in Österreich, Arbeitsmarkt und Migration sind zentrale Themen für Wahlen und die aktuelle Regierungsbildung. 2023 war weltweit ein Rekordjahr in der Migration. Österreich liegt im Spitzenfeld. Das ist gut, weil wir angesichts der Demografie Zuwanderung brauchen, aber auch problematisch, weil der Großteil der Immigration nicht arbeitsmarktbezogen, sondern ungesteuert ist.

Doch Österreich legt im Wettbewerb um Talente nach. Die Philippinen haben in Wien ein Büro zur Unterstützung von Expats und ihrer Arbeitgeber eingerichtet, und neue Tools sollen Transparenz für ausländische Ausbildungen schaffen.

Ein deutsches Pilotprojekt zur Viertagewoche: Belegt es die Vorteile oder fällt es unter „Grimms Märchen“? 

Trotz Rezession ist die Beschäftigung stabil. Dahinter verbirgt sich aber ein wachsendes Ungleichgewicht zwischen öffentlichem und privatem Sektor.

Der Rechnungshof fordert die rasche Umsetzung von eHealth-Anwendungen. 

Am 17. und 18.1 findet in Innsbruck eine Tagung zur Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Arbeitswelt statt.

Alles Gute!

Rolf Gleißner



Österreich im OECD-Vergleich: Viel Zuwanderung, zu wenig in den Arbeitsmarkt

Der Migration Outlook der OECD zeigt, dass infolge Krisen die Asylmigration in die reichen Länder 2023 stark zugenommen hat. Das gilt verstärkt für Österreich, wo aber relativ wenige Zuwanderer insbesondere aus der Ukraine am Arbeitsmarkt sind.

Die dauerhafte Zuwanderung in OECD-Staaten stieg 2023 um 10 Prozent und erreichte mit 6,5 Mio. Personen einen Rekordwert. Hauptfaktoren für den Anstieg sind der Familiennachzug und die Asylmigration, die in Europa und den USA stark zugenommen hat. In den USA gab es 2023 sogar mehr Asylwerber als in Europa, was sich zweifelsohne auf die US-Wahl ausgewirkt hat.

Österreich ist im Spitzenfeld bei Zuwanderung: Dabei kamen 2023 59% der Migranten aus dem EU-Ausland. Nach der EU-Binnenwanderung waren die wichtigsten Einreisekategorien Flucht (21%) sowie Familiennachzug (15%). Die Arbeitsmigration, insbesondere Rot-Weiß-Rot–Karte, Blaue Karte EU und Saisonkräfte, machte 2023 lediglich 5% aus.

Der Anteil der Arbeitsmigration ist in Österreich damit weit unter dem OECD-Durchschnitt von 22% Arbeitsmigration. Auch im EU-Vergleich – die anderen OECD-Staaten haben ja keine Freizügigkeit wie zwischen EU-Staaten – ist der österreichische Anteil der regulären Arbeitsmigration gering.

Die Zahl der Asylanträge (ohne Ukrainer) erreichte 2022 einen Rekord von 109.800, halbierte sich 2023 auf 55.630. Allerdings halten sich viele Antragsteller nicht mehr in Österreich auf. Die gesamte dauerhafte Gesamtzuwanderung nach Österreich (ohne Ukrainer) ist 2023 allerdings noch einmal um 13% im Vergleich zu 2022 gestiegen.

Gesamtzuwanderung nach Österreich
© OECD


Auch bei Entsendungen ist Österreich im Spitzenfeld. 2022 kamen 305.000 Menschen aus dem EU-Ausland zu vorübergehenden Einsätzen nach Österreich, nur nach Deutschland und Frankreich kamen mehr. Allerdings fallen Entsendungen am Arbeitsmarkt nicht so stark ins Gewicht, dauern sie doch im Schnitt nur zwei bis drei Monate. Der kräftige Anstieg 2022 hing auch mit dem Wirtschaftsaufschwung bei gleichzeitigem Arbeitskräftemangel zusammen.

Nur wenige Ukrainer am heimischen Arbeitsmarkt 

In der OECD-Studie wird Österreich neben Deutschland und Belgien als Negativbeispiel für die Arbeitsmarktintegration von Vertriebenen aus der Ukraine angeführt. Nur ein Viertel der Ukrainer ist in Österreich in Beschäftigung, in Polen und den baltischen Ländern mehr als die Hälfte!

Ein Faktor dürfte das Prinzip „Deutsch vor Zuzug“ sein. Qualifizierte Arbeit setzt zwar gutes Deutsch voraus, aber für flüssiges Deutsch reichen Sprachkurse nicht, die Sprache muss im Betrieb praktiziert werden. Daher sollten alle arbeitsfähigen Vertriebenen und Migranten mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit möglichst rasch Deutsch lernen und gleichzeitig arbeiten.

Fazit 

Mehr als in anderen Ländern dominiert in Österreich die ungesteuerte Zuwanderung. Für die Zukunft muss sich die Zuwanderung vermehrt am Arbeitsmarkt orientieren. Daher berichtet der OECD-Bericht von den Vereinbarungen Österreichs mit den Philippinen und Indonesiens über qualifizierte Zuwanderung, die Teil der Fachkräfteoffensive der WKÖ sind. Wir holen hier auf (siehe unten), aber es ist noch ein weiter Weg zu gehen.


von Mag. Natasha Ghulam, LL.M.


International „War of Talents“: Österreich legt nach

Die Demografie schlägt in allen entwickelten Ländern zu. Österreich ist spät in den Wettbewerb um Talente eingestiegen und legt jetzt auf Initiative der WKÖ nach – mit einem Büro der Philippinen in Wien und Transparenz bei Ausbildungen. 

Qualifizierte Zuwanderung ist ein komplexer Vorgang. Die klassischen Einwanderungsländer USA, Kanada, Australien, UK haben aufgrund ihrer Bekanntheit und der Weltsprache Englisch Vorteile. Ein gutes Zuwanderungsregime wie die Rot-Weiß-Rot-Karte reicht nicht, gibt es doch viele andere Hürden. Zuletzt wurden zwei Meilensteine erreicht: Die Eröffnung des Migrant Workers Office in Wien und die Einführung des Pre-Check Qualifikationsregisters für internationale Fachkräfte. 

Neues Büro soll Philippinos und ihre Arbeitgeber unterstützen 

Die Philippinen sind mit ihrer großen, jungen und serviceorientierten Bevölkerung ein Fokusland für Zuwanderung nach Österreich. Die Rot-Weiß-Rot-Karten für Philippinos haben sich in den letzten 12 Monaten auf 287 verdoppelt. Doch das ist erst der Anfang: Am 30. September 2024 eröffneten die Philippinen das „Migrant Workers Office“ in Wien. An der Eröffnungsfeier in der WKÖ nahmen Generalsekretär Karlheinz Kopf, Minister Martin Kocher sowie eine hochrangige Delegation aus den Philippinen teil. Das neue Büro mit eigenem Labor Attaché soll die Aufgaben des bisherigen Standorts Mailand als Drehscheibe für die Rekrutierung philippinischer Arbeitskräfte übernehmen. Zu den Aufgaben zählen die Unterstützung von Fachkräften, aber auch ihrer Arbeitgeber bei Behördengängen, Administration und Arbeitsrecht. 

Pre-Check Qualifikationsregister: Transparenz für Fachkräfte & Unternehmen 

Der Ausgang von Verfahren zur Rot-Weiß-Rot-Karte ist oft ungewiss, weil weder Fachkraft noch Arbeitgeber wissen, ob die Ausbildung als einer inländischen gleichwertig anerkannt wird. Hier soll der von der WKÖ initiierte Pre-Check des Arbeits- und Wirtschaftsministeriums abhelfen, indem er schon vor Antragsstellung zeigt, ob eine Ausbildung anerkannt wird. Die Vorabprüfung wurde zunächst für die Philippinen abgeschlossen, als nächstes wird Indonesien „umgesetzt“. 

Zusätzlich wird das AMS ab Januar 2025 die Anerkennungsdatenbank einführen. Sie soll Unternehmen über die bisherigen Entscheidungen des AMS zur Anerkennung ausländischer Ausbildungseinrichtungen informieren. Gestartet wird mit den Ländern am Westbalkan. 

Pre-Check https://www.bmaw.gv.at/Themen/Wirtschaftsstandort-Oesterreich/Fachkraefte/Pre-Check-Qualifikationsregister.html

Migrant Workers Office mwo_Vienna@dmw.gov.ph


von Larena Eibl, MA



Deutsches Projekt zur Viertagewoche: Erfolg oder Grimms Märchen?

Arbeitskräftemangel hin oder her, unbeirrt wird die Verkürzung der Arbeitszeit etwa auf vier Tage gefordert. Man stützt sich dabei auf Projekte wie heuer in Deutschland, die bei genauerer Betrachtung wenig aussagen.  

Nach Großbritannien 2022/23 folgte heuer Deutschland mit einem Pilotprojekt zur Einführung einer Viertagewoche. Begleitet wurde das Projekt von der Berliner Unternehmensberatung Intraprenör und der Organisation „4 Day Week Global“. Die Ergebnisse wurden von der Universität Münster ausgewertet.

Seit Anfang 2024 verkürzten 45 kleine und große Unternehmen aus den Bereichen Beratung und Dienstleistung, Fertigung, soziale Dienste, IT und Medien in Deutschland für sechs Monate die Arbeitszeit. 60 Prozent der Unternehmen wendeten die Viertagewoche auf die gesamte Belegschaft an, größere Unternehmen nur für bestimmte Teile – jeweils mit vollem Lohnausgleich. 

Auf den ersten Blick Vorteile… 

Im Ergebnis verbesserten sich Umsatz und Gewinn leicht, allerdings nicht signifikant im Vergleich zum Vorjahr. Offen bleibt, ob die Viertagewoche damit zusammenhängt. Die Studienautoren erkannten auch mögliche Produktivitätsgewinne. Allerdings ging die Arbeitszeitverkürzung mit produktivitätssteigernden Maßnahmen einher: Über 60% verringerten „Ablenkungen“ und optimierten Prozesse. Die Hälfte der Unternehmen reduzierte Frequenz und Länge der internen Treffen.

Bei den Krankenstandstagen kam es zwar zu einem leichten Rückgang, die Veränderung war statistisch jedoch nicht signifikant. Wenig überraschend stieg die Zufriedenheit der Mitarbeiter. Im Ergebnis wollen mehr als 70 Prozent der Unternehmen das Projekt fortsetzen.

Kein Wunder, dass die Medien das Ergebnis überwiegend positiv auslegten. Hingegen zeigten sich der Deutsche Gewerkschaftsbund vorsichtig und die Arbeitgeberverbände sehr kritisch. 

…aber keine Aussagekraft 

Denn wie schon vergangene Projekte weist auch das aktuelle erhebliche Schwächen auf: Zunächst wurden die Teilnehmer nicht zufällig ausgewählt, sondern haben sich freiwillig und aktiv beworben. Es liegt nahe, dass nur jene teilgenommen haben, die einer Viertagewoche positiv gegenüberstehen. 

Wissenschaftlich müsste man die Teilnehmer mit einer Kontrollgruppe vergleichen, die keine Viertagewoche eingeführt hat. So dürften die Produktivitätsteigerungen an den Begleitmaßnahmen der Unternehmen liegen und nicht an der Arbeitszeitverkürzung. Diese Begleitmaßnahmen dürften die Arbeit noch verdichtet haben, ein Trend, der von der Arbeitnehmerseite stets beklagt wird.

Abzuwarten bleibt, ob es den Unternehmen, die die Viertagewoche weiterführen, gelingt, die Produktivität nachhaltig zu steigern. Denn viele Arbeitnehmer kehren mittelfristig wieder in gewohnte Routinen zurück. 

Debatte für Grimms Märchen 

Das deutsche Projekt fügt sich ein in eine Reihe von Projekten der Arbeitszeitverkürzung, die alle medial und politisch gefeiert wurden: 2015 bis 2017 ein Altersheim in Göteborg, ab 2015 die Gemeinde Reykjavik, 2022 ein Pilotprojekt in Großbritannien mit 61 Teilnehmern.

Die Projekte haben alle die Schwäche einer kleinen Zahl voreingenommener Teilnehmer (und Begleiter wie 4 Day Week Global), die Erkenntnisse sind daher nicht verallgemeinerbar. Wenn etwa ein Unternehmen medienwirksam die Arbeitszeit bei vollem Lohn verkürzt, gewinnt es Bewerber. Wenn alle das machen, kehrt sich der Effekt um, weil das Arbeitskräfteangebot schrumpft.

Ohnehin sinkt die Arbeitszeit langfristig, was den Arbeitskräftemangel noch verschärft. Das Fazit laut WKÖ-Präsident Mahrer: „Die Debatte um das Weniger-Arbeiten ist eine Geschichte für Grimms Märchen.“ 

Studie der Universität Münster


von Dr. Ingomar Stupar


Beschäftigung: öffentlicher Sektor wächst, Rest schrumpft

Entwicklung Beschäftigung im öffentlichen Sektor und im Rest
© WKÖ

Die Wirtschaft schwächelt, der Arbeitsmarkt ist robust. Seit 2019 ist die Beschäftigung um rund 170.000 Personen gestiegen. Allerdings entfiel mehr als die Hälfte des Zuwachses, nämlich 95.000, auf die öffentlichen Bereiche Verwaltung, Erziehung und Unterricht, Gesundheits- und Sozialwesen.

Dieser Trend hin zu öffentlichen Bereichen hat sich zuletzt noch verschärft. Trotz Rezession ist die Beschäftigung in den letzten 12 Monaten zwar noch geringfügig gewachsen. Dahinter verbirgt sich ein Ungleichgewicht: Die Beschäftigung hat in den drei öffentlichen Bereichen um 28.000 zugelegt, während sie im Rest um rund 24.000 zurückging.

Diese Entwicklung ist problematisch. Der öffentliche Bereich erbringt natürlich zentrale Leistungen, wird aber letztlich vom Steuerzahler finanziert. Der private Sektor hingegen ist klarer Nettozahler.


 von Mag. Dr. Rolf Gleißner



Rechnungshof fordert rasche Umsetzung von eHealth-Anwendungen

Die Elektronische Gesundheitsakte ELGA soll Patienten und Anbietern wie Ärzten, Krankenhäusern und Apotheken den Zugang zu Gesundheitsdaten erleichtern. Der Rechnungshof mahnt, das Potenzial von ELGA endlich auszuschöpfen. 

Der Rechnungshof überprüfte die ELGA GmbH, das Gesundheitsministerium und den Dachverband der Sozialversicherungsträger mit dem Schwerpunkt ELGA. Dabei übt er vielfach Kritik: So wird kritisiert, dass die österreichische eHealth–Strategie nicht angibt, welche Aufgaben die ELGA GmbH in Zukunft übernehmen soll. Gefordert wird, dass das gemeinsam mit den Ländern geklärt und die ELGA GmbH mit den nötigen Ressourcen ausgestattet wird.

An die Auffrischung von Impfungen erinnern

Laut Rechnungshof wäre gemeinsam mit den Ländern der Vollausbau der Anwendungen eBefund, eMedikaton und eImpfpass voranzutreiben. So sollten alle bestehenden Impfungen eingetragen und die Menschen zu Auffrischungen benachrichtigt werden. Weiters empfiehlt der Rechnungshof, alle Gesundheitsdiensteanbieter zur Nutzung zu verpflichten. Insbesondere sollten die niedergelassenen Labore angebunden werden, damit Bilddaten aus der Radiologie übermittelt werden können.

Weiters mahnt der Rechnungshof eine Lösung für das Patient Summary ein, das ist eine Zusammenfassung von medizinischen Informationen zu allen Patienten, damit sich Gesundheitsberufe einen raschen Überblick verschaffen können. Schließlich fordert der Rechnungshof einen klaren rechtlichen Rahmen etwa für Speicherpflichten und das Hinausoptieren. 

Bericht des Rechnungshofes: Elektronische Gesundheitsakte ELGA und ELGA GmbH


von Mag. Maria Cristina de Arteaga


Tagung „Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Arbeitswelt“ am 16./17.01.2025 in Innsbruck

Das Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht der Universität Innsbruck und das Institut für Österreichisches und Europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht der WU Wien laden zur 

Tagung „Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Arbeitswelt“ am 16.01. und 17.01.2025 ab 13:45 an der Universität Innsbruck (Universitätshauptgebäude, Aula) ein.

Die Teilnahme ist kostenlos, Anmeldung unter arbeitsrecht@uibk.ac.at 

Programm https://www.uibk.ac.at/rewi/aktuelles/tagung-digitalisierung-und-nachhaltigkeit-in-der-arbeitswelt.html




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