SPIK - Sozialpolitik informativ & kurz

Newsletter Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit 2.7.2024

Lesedauer: 6 Minuten

Aktualisiert am 02.07.2024

Inhaltsübersicht

  • Fehlzeitenreport: Krankenstände 20% über dem langjährigen Schnitt
  • Gesetzliche Änderungen ab 1.7.2024
  • Alles Gute zum 50er, Arbeitsverfassungsgesetz!
  • Fachkräftecampus am WKÖ-Exporttag und ein Büro der Philippinen in Wien
  • Realeinkommen: Zahlt sich Arbeit noch aus?


Liebe Leserinnen, liebe Leser,

trotz Ausfällen schlug sich unser Fußballnationalteam bei der EM hervorragend. Dasselbe gilt für die Unternehmen, die gleichzeitig die höchsten Krankenstände seit 30 Jahren, Rezession, steigende Kosten und Arbeitskräftemangel verkraften müssen. Der erstmals nach Covid präsentierte Fehlzeitenreport bringt die Hintergründe zum Krankenstandsgeschehen. 

Endspurt in dieser Gesetzgebungsperiode: Auch wenn die großen Würfe ausblieben, ergibt sich im Arbeits- und Sozialrecht wieder eine Reihe von Änderungen.

Das Arbeitsverfassungsgesetz wird am 1.Juli 50 Jahre alt. Kein Anlass für Party, aber Anlass zur Zufriedenheit – das rechtliche Fundament für die Arbeitswelt hält bis heute. 

Allerdings bröckelt das Fundament mangels Arbeitskräften. Unsere Internationale Fachkräfte-Offensive greift langsam – die Philippinen wollen ein eigenes Büro in Wien eröffnen.

Alles Gute!

Rolf Gleißner



Fehlzeitenreport: Krankenstände 20% über dem langjährigen Schnitt

2022 und 2023 sind die Krankenstände laut aktuellem Fehlzeitenreport abrupt angestiegen. Ob dauerhaft und warum, dazu gibt es Erklärungen, aber keine Gewissheit. Und die Jungen unterscheiden sich stark vom Rest. 

Erstmals nach Covid präsentierten der Dachverband, AK, WKÖ und WIFO den Fehlzeitenreport, der die Krankenstände von Erwerbstätigen analysiert, diesmal mit unerfreulichem Schluss: 20 Jahre lang waren die Österreicher 12 oder 13 Tage pro Jahr im Krankenstand. 2022 und 2023 stiegen die Krankenstände plötzlich auf 14,9 bzw. 15,4 Tage an – der höchste Wert seit 30 Jahren. Der Trend dürfte international sein – auch Deutschland, Großbritannien und andere Länder berichten von starken Anstiegen.

Was sind die Ursachen? Zunächst dürften die Krankenstände bereits ab der Pandemie 2020 stark zugenommen haben. Die Covid-Erkrankungen gingen aber als Absonderung  und nicht als Krankenstand in die Statistik ein. Covid kam seitdem als neue Krankheit hinzu, auch Atemwegs- und psychische Erkrankungen haben zugenommen. Trotz der vielen Erkrankungen haben die Menschen offenbar noch nicht die Immunität von vor der Pandemie erreicht, auch weil sich die Virenstämme bei Grippe und Covid ändern. Daher ist zu hoffen, dass das Krankenstandsniveau nicht dauerhaft höher ist, sondern sich nach Wiederherstellung der Immunabwehr wieder zurückbildet.

Allerdings dürfte sich auch das Verhalten geändert haben: Menschen sind sensibler, bleiben häufiger zuhause, weil sie die Ansteckung fürchten und/oder, weil ihre Jobs bei Arbeitskräfteknappheit sicherer sind als früher.

Psychische Erkrankungen bei jungen Frauen, Verletzungen bei jungen Männern 

Der Schwerpunkt des Fehlzeitenreport, die Gesundheit von Jugendlichen und Lehrlingen, zeigt große Unterschiede im Vergleich zum Rest der Erwerbstätigen: Bei Frauen zwischen 15 und 29 Jahren ist der Anteil der psychischen Krankheiten und Verhaltensstörungen an den Krankenstandstagen mit 15,9% deutlich über dem Gesamtschnitt von 9,4%. Bei jungen Männern ist der Anteil von Verletzungen und Vergiftungen mit 23,4% weit über dem Schnitt von 16,3%. Letzteres liegt auch am Risikoverhalten.

Jeder Krankenstandstag kostet das Unternehmen grob geschätzt 250 Euro, einerseits durch Entgeltfortzahlung und Überstunden von Kollegen, andererseits durch verlorene Wertschöpfung. 100% des Entgelts wird übrigens sonst nur in Deutschland, der Schweiz und Belgien fortgezahlt und ist international die Ausnahme. Die tatsächlichen Verluste hängen von der Auslastung ab. Trotz Rezession fehlen vielen Betriebe Arbeitskräfte, Krankenstände verschärfen diesen Mangel und belasten die Kollegen, die einspringen.

Betriebe haben somit ein Interesse an gesunden Arbeitnehmern. Sie können dazu beitragen durch ein gutes Betriebsklima, die Vorbildwirkung von Vorgesetzten, Rückkehrgespräche, Einbindung in Arbeitsplatzgestaltung und gesundheitsfördernde Maßnahmen. Da wir aber maximal 10% der Lebenszeit am Arbeitsplatz verbringen, können die Betriebe die Gesundheit nur begrenzt steuern. Das zeigt auch die Unfallstatistik: Die AUVA zählte 2023 knapp 130.000 Arbeitsunfälle. Im Vergleich dazu zählte das Kuratorium für Verkehrssicherheit allein 783.000 Unfälle, die im Krankenhaus behandelt wurden.

Fazit: Betriebe können zur Gesundheit ihrer Mitarbeiter beitragen, entscheidend ist aber deren Gesundheitskompetenz und -verhalten. Bei Jugendlichen sind auch Eltern, Kindergarten, Schule und Freunde ausschlaggebend.

Link zum Fehlzeitenreport



von Mag. Dr. Rolf Gleißner


Die Kranken geben bei weitem nicht so viel Geld aus, um g'sund, als die G'sunden, um krank zu werden.



Gesetzliche Änderungen ab 1.7.2024

Auch wenn es zuletzt keine großen Würfe gab, ist das Arbeits- und Sozialrecht immer in Bewegung. Der „Endspurt“ der Gesetzgebungsperiode brachte noch einige Änderungen, die Gesetzwerdung ist vielfach noch abzuwarten.

Liste gesetzliche Änderungen




Alles Gute zum 50er, Arbeitsverfassungsgesetz!

Vor genau 50 Jahren, am 1.7.1974, trat das Arbeitsverfassungsgesetz in Kraft. Die Sozialpartner schufen damals ein Fundament für die Arbeitswelt, das trotz allem Wandel heute noch hält. Das zeigt auch die Festschrift zum Jubiläum. 

Dem Gesetz ging ein jahrelanges Ringen der Parteien, vor allem aber der Sozialpartner voraus. Kein Wunder, regelt doch das Arbeitsverfassungsgesetz wesentliche Fragen wie Kollektivverträge, Betriebsvereinbarungen, die Rechte der Betriebsräte und den Kündigungsschutz. Mit fünf Regelungsebenen – EU-Recht, Gesetz, Kollektivvertrag, Betriebsvereinbarung, Dienstvertrag – hat das Arbeitsrecht die größte Regelungsdichte aller Materien, wobei zwei in „privater“ Hand, nämlich von Arbeitgeber und Arbeitnehmer bzw. Betriebsrat sind.

Heimische Betriebsräte haben im internationalen Vergleich ausgebaute Rechte, vergleichbar nur mit Deutschland und einzelnen skandinavischen Ländern. International einzigartig ist der Kollektivvertrag: Nur in Österreich schließen die Wirtschaftskammer und ihre Fachverbände mit gesetzlicher Mitgliedschaft KV ab, sodass insgesamt fast alle Unternehmen und 98% der Arbeitnehmer von KV samt Mindestlöhnen abgedeckt sind – das ist OECD-Spitze, in Deutschland sind es nur mehr 50%. Das ist auch der Grund, warum Österreich keinen gesetzlichen Mindestlohn benötigt.

Der soziale Friede... 

Der KV schafft Wettbewerbsgleichheit unter allen (auch den ausländischen) Unternehmen einer Branche und trägt zum sozialen Frieden bei – mit der Schweiz verzeichnet Österreich die wenigsten Streiks.

Kein Vorteil ohne Nachteil: Zuletzt waren die Lohnabschlüsse in Österreich deutlich höher als die Abschlüsse in Deutschland und anderen Ländern, die ja dort auch nur für einen Teil der Unternehmen gelten. Die Arbeitskostenentwicklung in Verbindung mit schwacher Produktivität gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts. 

… hat seinen Preis 

Das Arbeitsverfassungsgesetz ist grundsätzlich immer noch zeitgemäß – mit wenigen Abstrichen: Die Rechte von Arbeitern wurden weitgehend an jene der Angestellten angeglichen, doch wird immer noch zwischen Angestellten- und Arbeiterbetriebsräten unterschieden.

Auch die betriebliche Sozialpartnerschaft funktioniert in Österreich grosso modo sehr gut. Allerdings hat die Betriebsebene in der Gestaltung von Arbeitszeit, Entgelt und Urlaub in der Praxis zu wenig Spielraum und definitiv weniger als in Deutschland. Da die Praxis hier Regelungsbedarf hat, werden oft „freie“ Betriebsvereinbarungen abgeschlossen, die rechtlich nicht gedeckt und daher unsicher sind. Die betriebliche Sozialpartnerschaft sollte daher gestärkt werden. 

Das Arbeitsverfassungsgesetz geht vom sozialen Frieden aus und regelt daher Arbeitskämpfe nicht. Zu hoffen ist, dass auch künftig kein Regelungsbedarf entsteht.

Fazit 

In 50 Jahren Arbeitsverfassungsgesetzes haben sich Arbeitswelt, Arbeitsmarkt und Gesellschaft grundlegend gewandelt: Die Arbeitswelt ist weiblicher, internationaler und dynamischer geworden, die Beschäftigungsformen vielfältiger, der technologische Wandel hat viele Berufe und Branchen massiv verändert. Gleichzeitig ist die Arbeitswelt stabil: Heute wie damals herrscht Arbeitskräftemangel, die Lohnquote liegt bei 70 Prozent, weiterhin dominiert das echte Dienstverhältnis, immer noch lassen sich Streiks in Minuten messen.

Auch die Beiträge zur Festschrift „50 Jahre Arbeitsverfassungsgesetz“, herausgegeben von Univ.-Prof. Mosler, zeigen: Das Arbeitsverfassungsgesetz hat sich als rechtliches Fundament der Arbeitswelt bewährt. Das liegt wohl auch daran, dass sein Ziel zeitlos ist (§ 39): „Die Herbeiführung eines Interessenausgleichs zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs.“  

Festschrift 50 Jahre Arbeitsverfassungsgesetz 


von Mag. Dr. Rolf Gleißner



Fachkräftecampus am WKÖ-Exporttag und ein Büro der Philippinen in Wien

Mit 3.000 Teilnehmern verzeichnete der Exporttag der WKÖ am 18. Juni 2024 einen neuen Rekord. Themen waren geopolitische Risiken, technologischer Wandel, Green Economy, Zukunft der Arbeit und erstmals die Intern. Fachkräfte-Offensive der WKÖ (IFO).

Der Fachkräftemangel ist bekanntlich die größte Wachstumsbremse der heimischen Wirtschaft. Am so genannten „Fachkräftecampus“ präsentierten Key Account Manager aus Albanien, Kosovo, Philippinen und Brasilien Chancen und Herausforderungen der Rekrutierung im jeweiligen Land. Die IFO-Workshops Gewinnung und Bindung von Mitarbeitern waren restlos ausgebucht.

Höhepunkt war die Podiumsdiskussion mit Staatssekretärin P.Y. Caunan vom philippinischen Department of Migrant Workers (DMW). Sie kündigte die Eröffnung eines Migrant Workers in Wien noch für 2024 an, was die Bedeutung der Kooperation zwischen Österreich und den Philippinen für beide Seiten zeigt. Unternehmensvertreter präsentierten ihre Erfolgsstrategien zur Integration von Zuwanderern.



Realeinkommen: Zahlt sich Arbeit noch aus?

Der Sozialstaat hilft den Armen, das ist gut. Jedoch führt die Kombination aus Steuern und Zuschüssen dazu, dass (Mehr)Arbeit sich oft nicht lohnt, schreiben Franz Prettenthaler und Judith Köberl im Pragmaticus.

Realeinkommen: Zahlt sich Arbeit noch aus? | Der Pragmaticus





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