SPIK - Sozialpolitik informativ & kurz
Newsletter Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit 29.4.2024
Lesedauer: 8 Minuten
Inhaltsübersicht
- Zum Tag der Arbeit
- Armut in Österreich bleibt niedrig
- Die Rot-Weiß-Rot- Karte kommt endlich in die Gänge
- Die Effekte einer Lohnnebenkostensenkung
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
New Work, Work-Live-Balance und Viertagewoche sind angesagt, da wirkt der Tag der Arbeit etwas aus der Zeit gefallen. Dass der Tag seit 1919 Feiertag ist, war eine Errungenschaft der Arbeiterbewegung. Inzwischen ist es anscheinend mehr die Wirtschaft, die „die Fahne hoch halten“ und daran erinnern muss, dass Arbeit das Fundament für unseren Wohlstand ist, das bröckelt…
Armut ist in Österreich niedrig, zuletzt aber angestiegen - keine Überraschung angesichts von Inflation und Rezession. Erwerbsarbeit und Investitionen in Kinder helfen, noch mehr Sozialtransfer hingegen nicht.
Die Zahl der Rot-Weiß-Rot-Karten steigt kräftig dank Systemverbesserungen. Die Karteninhaber sind laut AMS gut integriert. Doch weitere Schritte sind nötig.
Österreich hat sich bei der Abgabenbelastung von Platz 4 auf Platz 3 in der OECD „vorgearbeitet“. Grund für eine Studie von EcoAustria, laut der eine Senkung von Lohnnebenkosten Wirtschaft und Beschäftigung fördern würde und auch finanzierbar wäre.
Alles Gute!
Rolf Gleißner
Zum Tag der Arbeit
Als der Personalchef eines sehr großen Unternehmens junge Akademiker fragte, wer Teilzeit arbeiten wollte, traute er seinen Augen nicht, so viele Hände gingen hoch. Die einen rufen nach „Work-Life-Balance“, die anderen nach Arbeitszeitverkürzung. Jene politischen Kräfte, die das fordern, setzen Arbeit mit Mühsal gleich. Und dieses Arbeitsleid gelte es möglichst klein zu halten, so deren Auffassung.
Das Verhältnis zu Arbeit ist seit jeher ambivalent: Denn tatsächlich bedeuten Arbeit und auch labour ursprünglich „Mühsal“, das slawische Robota sogar „Knechtschaft“. Gleichzeitig war aber Arbeit stets mit gesellschaftlichem Ansehen verbunden und Untätigkeit verpönt. Sogar in der „Internationalen“ heißt es: „Die Müßiggänger schiebt beiseite!“
Dass Erwerbsarbeit Einkommen bringt und vor Armut schützt, ist klar. Dass Beschäftigung über hohe Lohnnebenkosten Pensionen und Sozialstaat finanziert, ist auch klar, sei aber Arbeitszeitverkürzern und Grundeinkommensfans noch einmal in Erinnerung gerufen.
Obwohl die Arbeitszufriedenheit in Österreich im EU-Vergleich hoch ist, werden etwa im Zusammenhang mit dem Arbeitsklimaindex gern die negativen Seiten hervorgehoben, etwa:
- Macht Arbeit per se krank? Nein, Arbeitslose sind wesentlich häufiger krank als Erwerbstätige.
- Verkürzt Arbeit die Lebenserwartung? Nein, es gibt keinen klaren Zusammenhang: Nach manchen Studien verkürzt ein früherer Pensionsantritt sogar die Restlebenserwartung.
- Verhindert Arbeit Familiengründung? Nein, Erwerbsquoten UND Geburtenraten sind in Skandinavien und den Niederlanden höher als in Österreich – was allerdings auch eine ausgebaute Kinderbetreuung erfordert.
- Verhindert Arbeit Kreativität, wie Anhänger des Grundeinkommens meinen? Nein, die Erfahrung zeigt, dass mehr Freizeit selten für Erfindungen und Malerei genützt wird.
Warum auch? Wir verbringen im Laufe unseres Lebens weniger Zeit am Arbeitsplatz als vor dem Fernseher bzw. Smartphone. Im Schnitt sind es etwa 7 % der Lebenszeit, während denen wir 100% unserer Lebenszeit finanzieren. Eigentlich kein schlechtes Verhältnis.
Armut in Österreich bleibt niedrig
Aktuelle Armutszahlen von Statistik Austria sorgen für Aufregung. Der Anstieg ist ernst zu nehmen, angesichts hartnäckiger Inflation und Rezession aber nicht überraschend. Ein Faktor ist die (Flucht-)Migration.
Der kürzlich veröffentlichte Sozialbericht 2024 zeigt einmal mehr: Österreich verzeichnet relativ niedrige Werte für Armut und Armutsgefährdung: Mit 17,5 % Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdeten lag man 2022 im besten Drittel der EU-Länder. 2023 stieg die Quote nur geringfügig auf 17,7 %.
„Armutsgefährdung“ bedeutet nicht Armut
Der Sozialbericht betont, dass der Indikator Armutsgefährdung – ein Einkommen unter 60 % des Medianeinkommens - nicht per se Armut bedeutet. Der Wert ist relativ – verdoppeln sich alle Einkommen, sind gleich viele armutsgefährdet - und nicht aussagekräftig: Darunter fallen auch der Student, der von seinen Eltern unterstützt wird, und Menschen mit geringem Einkommen, aber mit Vermögen und Eigenheim. 91 % aller armutsgefährdeten Personen sind dementsprechend nicht absolut arm. Weil statistisch aber viele Menschen unter „Armutsgefährdung“ fallen, heben Medien und Politik gern diesen Wert hervor, um die Lage zu dramatisieren und mehr Sozialleistungen zu fordern.
Anders diesmal: Denn laut Statistik Austria stieg 2023 die Zahl der absolut Armen signifikant an. Als absolut arm (bzw. „erheblich materiell depriviert“) gilt, wer sich gewisse Ausgaben nicht leisten kann, etwa Urlaub, Auto, jeden zweiten Tag Fleisch, neue Kleidung (nicht „Second-Hand“). 2023 deklarierten sich demnach 3,7 % der Befragten als absolut arm, 2022 waren es nur 2,3 %.
Anstieg von erheblich Deprivierten
Dieser Anstieg hat großes mediales Echo und vielfach Alarm ausgelöst. Er ist ernst zu nehmen, aber zu interpretieren. Zunächst schwankt diese Maßzahl stark. 2023 war ein Krisenjahr, geprägt von hoher Inflation und Rezession. 2017 und in den Jahren zuvor war der Anteil erheblich materiell Deprivierter höher, obwohl die Inflation niedrig war und die Wirtschaft wuchs.
Auch die massive Zuwanderung aus ärmeren Ländern Asiens, Afrikas und zuletzt der Ukraine dürfte die Armutszahlen erhöhen, zumal die Migranten zum Teil nur sehr schleppend in den Arbeitsmarkt integriert werden. Die Konzentration von (ärmeren) Zuwanderern in Wien dürfte auch der Grund sein, warum Wien mit Abstand die höchsten Armutsquoten aufweist.
Obwohl Österreich EU-weit am meisten für Familien ausgibt, sind Familien mit vielen Kindern besonders oft von Armut betroffen. Die hohen Familientransfers reduzieren sicher die Zahl der Armen/Gefährdeten, vergrößern sie eventuell aber gleichzeitig, weil sie hohe Geburtenraten vor allem bei Zuwanderern aus ärmeren, kinderreichen Gesellschaften fördern.
Gleichzeitig ist die Gesundheitsversorgung der Kinder in keinem europäischen Land so gut wie in Österreich. Unabhängig vom Einkommen sind nur sehr wenige Kinder ihren Eltern zufolge bei „schlechter“ oder „sehr schlechter“ Gesundheit (niedrigster Wert in der OECD-Europa). Allerdings stellt der Sozialbericht auch eine massive Zunahme an übergewichtigen und fettleibigen Kindern fest.
Arbeit schützt vor Armut
Volle Erwerbsbeteiligung eines Haushalts schützt die Haushaltsmitglieder vor Armutsgefährdung. 331.000 Personen, also 8 % der Beschäftigten, sind trotz Erwerbstätigkeit armutsgefährdet. Dies aber meist nicht wegen zu niedrigen Löhnen, wie gern behauptet wird, sondern wegen kurzer Arbeitszeit oder weil ein Erwerbseinkommen auf viele Personen im Haushalt aufgeteilt werden muss. So gilt eine vierköpfige Familie schon als „Working Poor“, wenn das Nettoeinkommen unter 2.924 Euro pro Monat liegt.
Fazit: Wie auch immer man Armut misst – die Menschen in Österreich sind davon weit weniger betroffen als in den meisten EU-Ländern. Sozialstaat und der gute Arbeitsmarkt wirken. Die Zunahme 2023 überrascht nicht: Inflation, Rezession, aber auch Zuwanderung aus armen Ländern sind Faktoren. Noch mehr Transfers sind keine Lösung – nur Erwerbsintegration ist nachhaltig. Um die Kinderarmut zu reduzieren, sollte mehr in Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung investiert werden.
https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/einkommen-und-soziale-lage/armut
Die Rot-Weiß-Rot- Karte kommt endlich in die Gänge
Die Verbesserungen bei der Rot-Weiß-Rot-Karte wirken: Die Zahlen steigen rasch, die allermeisten Zuwanderer sind stabil und gut beschäftigt. Doch es braucht weitere Schritte.
2011 startete das neue System für qualifizierte Zuwanderung, die Rot-Weiß-Rot-Karte, damals durchgesetzt und maßgeblich konzipiert von der Wirtschaftskammer. Das System funktionierte, allerdings wurden die erwarteten Zahlen aufgrund vieler Hürden (mehr im Vollzug als im Gesetz) nicht erreicht. So wurden von 2013 bis 2023 insgesamt nur 37.500 Anträge positiv entschieden.
Die Gesetzesreform 2022 brachte wesentliche Erleichterungen, auch die Verfahren wurden beschleunigt. Das Ergebnis: Von 2021 bis 2023 hat sich die Zahl der positiven Gutachten von fast 4.000 auf fast 8.000 verdoppelt (siehe Grafik). Der Trend hält an: Im ersten Quartal 2024 wurden um 30 % mehr Anträge positiv entschieden als im Vorjahreszeitraum. Und Arbeitsminister Kocher hat angekündigt, dass die Zahl sich bis 2024 noch einmal auf 15.000 Karten (Erstanträge) verdoppeln soll. Damit erreicht das neue System endlich die ursprünglichen Ziele.
Qualifizierte Zuwanderer gut integriert
Doch werden auch die qualitativen Erwartungen an die Rot-Weiß-Rot-Karte erfüllt? Das AMS hat dazu die Erstbewilligungen von 2017 bis 2019 betrachtet: In diesem Zeitraum wurden 8.100 Erstanträge positiv entschieden. Ein Jahr nach Ausstellung waren davon 95 % der Karteninhaber unselbständig beschäftigt, nur 1 % waren beim AMS vorgemerkt. Dreieinhalb Jahre nach Ausstellung der Karte sind noch 75 % in Österreich versichert, davon fast 90 % (rund 5.400) in unselbstständiger Beschäftigung. (Der Rest ist überwiegend in ein anderes Land gezogen.) Zudem ist ein Großteil im ursprünglich beantragten Bereich tätig.
Gute Leistung zahlt sich auch für die Fachkräfte aus: Denn laut AMS haben 75 % der Karteninhaber nach dreieinhalb Jahren Beschäftigung ein Einkommen, das deutlich über dem Antragsniveau von 3.500 Euro liegt, 62 % verdienen sogar über 4.000 Euro brutto.
Von den 7.852 positiven Gutachten 2023 entfielen 2.352 auf IT- und Technik-Berufe, 1.022 auf Tourismus, 818 auf Management und 707 auf Gesundheitsberufe. 50 % entfielen auf die Herkunftsländer Bosnien-Herzegowina, Indien, Türkei, Serbien und Russland. Diese Nationen dominierten von Anfang an. 71,5 % der Gutachten 2017-2019 betrafen Männer.
Fachkräfteknappheit macht Fortentwicklung notwendig
Nach einigen Reformen erreicht die Rot-Weiß-Rot-Karte endlich die ursprünglich gesteckten Ziele. Nur kurzfristig gedämpft durch die Rezession, verschärft sich aber der Fachkräftebedarf und das nicht nur in Österreich. Um die Kartenzahl bedarfsgerecht zu steigern, müssen wir weitere Schritte gehen, die andere Länder schon hinter sich haben: Digitalisierung samt Beschleunigung des Verfahrens, die Auflistung, welche Berufsausbildungen aus Drittstaaten in Österreich anerkannt werden („pre-checks“), einen freien Arbeitsmarktzugang für Bürger aus den Westbalkanstaaten, etc.
Vor allem muss Österreich im internationalen Wettbewerb um Talente mithalten durch strategische Anwerbung in ausgewählten Ländern. Genau das macht die Wirtschaftskammer gemeinsam mit Arbeitsministerium und Austrian Business Agency durch die Internationale Fachkräfte-Offensive.
von Mag. Natasha Ghulam, LL.M.
Die Effekte einer Lohnnebenkostensenkung
Die heimischen Unternehmen sind 2023/24 in eine Doppelmühle geraten: Die Wirtschaft ist geschrumpft, die Beschäftigung dennoch gestiegen. Somit ist die Produktivität gesunken. Gleichzeitig haben Inflation und hohe Lohnabschlüsse die Arbeitskosten in die Höhe getrieben. Dabei kommen aufgrund hoher Lohnnebenkosten und Einkommensteuer von einem Euro Arbeitskosten nur 47 Cent beim Arbeitnehmer an.
EcoAustria hat die Arbeitskosten und die Auswirkung einer Lohnnebenkostensenkung analysiert. Die Förderung von Familien ist eine gesamtstaatliche Aufgabe und sollte daher nicht nur mit Dienstgeberbeitrag (derzeit 3,7 %) finanziert werden. Die Streichung des Beitrags zum Familienlastenausgleichsfonds würde laut EcoAustria 40.000 Beschäftigte zusätzlich bringen. Finanziert werden könnte die Streichung nach der Studie, indem Effizienzpotenziale im Gesundheitssystem, Verwaltung und Schulwesen gehoben werden und das Pensionsalter steigt.
https://ecoaustria.ac.at/lohnnebenkostensenkung/
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