SPIK - Sozialpolitik informativ & kurz

Newsletter Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit 30.8.2023

Lesedauer: 7 Minuten

Aktualisiert am 22.09.2023

Inhaltsübersicht

  • Fünf Jahre Arbeitszeitgesetz Neu
  • Arbeitskräfteradar 2023 zeigt hohen Arbeitskräftebedarf
  • Mindestlöhne: Österreichs bereits im EU-Spitzenfeld
  • Gender Pay Gap: Neue Erkenntnisse zu Ursachen
  • ZAS-Tag am 26.9.2023: Schwerpunkt Arbeitskräftemangel


Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Das Thema Arbeitszeit ist ein Dauerbrenner. ÖGB und SPÖ fordern kürzere Arbeitszeiten, angesichts der Arbeitskräfteknappheit müssten wir eigentlich länger arbeiten. Noch viel größer war die Aufregung im Sommer 2018, als eine Arbeitszeitgesetznovelle erstmals bis zu 12 Stunden Arbeit pro Tag ermöglichte. Was ist die Bilanz nach fünf Jahren Arbeitszeitgesetz Neu?

Die Ergebnisse des Arbeitskräfteradars sprechen eine klare Sprache: Trotz sich eintrübender Konjunktur hält der Arbeitskräftemangel an. 

Die Lohnrunden im Herbst werden schwierig. Dazu kommt die Forderung nach 2.000 Euro Mindestlohn. Dabei liegt Österreich bei Löhnen bereits im EU-Spitzenfeld.

A propos Löhne: Demnächst ist wieder Equal Pay Day. Dazu eine Analyse des Einkommensunterschieds zwischen Frauen und Männern, der viele objektive und einige subjektive  Ursachen hat.

Und am 26.9. findet wieder der ZAS-Tag mit einem Update zum Arbeits- und Sozialrecht des Jahres statt, Schwerpunkt ist das aktuelle Thema  Arbeitskräftemangel.

Alles Gute!

Rolf Gleißner


Fünf Jahre Arbeitszeitgesetz Neu

2018 erweiterten sich die Spielräume in der Arbeitszeit. Es folgten Aufregung und Proteste. Die Bilanz nach fünf Jahren: Die Arbeitszeitzufriedenheit ist weiterhin hoch, die faktische Arbeitszeit sogar zurückgegangen. 

Am 1.9. 2018 trat das Arbeitszeitgesetz in Kraft, das eine Tagesarbeitszeit von bis zu 12 Stunden und vereinbarte Einsätze an bis zu 4 Wochenenden oder Feiertagen ermöglichte. Damals wurden längere Arbeitszeiten, Belastungen der Arbeitnehmer und eine schlechtere Vereinbarkeit von Beruf und Familie befürchtet. Sind die Befürchtungen eingetreten? Wie hat sich das auf die tatsächliche Arbeitszeit ausgewirkt? Das Market-Institut hat nun Arbeitnehmer zu ihrer Arbeitszeitsituation befragt:

Wie in vergangenen Umfragen sind 80% der Befragten zufrieden mit Arbeitsplatz und Arbeitszeit. Teilzeitbeschäftigte sind durchwegs zufriedener als Vollzeitarbeitnehmer. 28% arbeiten mindestens einmal die Woche mehr als 10 Stunden, 2019 waren es 30%. 74% geben an, dass ihre Arbeitszeitwünsche vom Arbeitgeber immer oder meist erfüllt werden – ein Verbesserung im Vergleich zu 2019, als das nur 69% angaben. 81% der Befragten sagen, ihre Arbeitszeit sei mit ihrem Privat/Familienleben (sehr) gut vereinbar.

Aufgrund der Zunahme von Teilzeit wurden Teilzeitbeschäftigte gefragt, was sie zur Arbeitszeiterhöhung motivieren würde: 41% würden sicher oder eher motiviert, wenn weniger Abgaben auf Mehreinkünfte anfallen würden, 35%, wenn mehr Homeoffice möglich wäre, und 32%, wenn Pensionen oder Beihilfen durch den Zuverdienst nicht gekürzt würden.

Nach der Novelle nicht mehr Überstunden, sondern weniger 

Genauso unspektakulär wie die Umfrageergebnisse ist auch die Arbeitszeitstatistik insgesamt: Denn obwohl seit der Novelle zum Arbeitszeitgesetz 2018 mehr Überstunden zulässig sind und die Beschäftigung seit damals um ca. 180.000 Personen zugelegt hat, ist die Zahl der Überstunden im Vergleich zu vor der Novelle um 60 Millionen pro Jahr zurückgegangen, das sind pro Kopf um ca. 18 Stunden weniger pro Jahr. Wir alle arbeiten somit heute kürzer als vor der Novelle, nicht länger.

Also viel Lärm um nichts? Keineswegs: Gerade die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig Arbeitszeitspielräume sind, wenn rasch Gesundheitsleistungen erbracht werden müssen, Unternehmen nach Lockdowns hochgefahren werden oder Kollegen krankheitsbedingt ausfallen.

Und nach der Pandemie ist ein weiterer Grund für Flexibilität hinzugekommen: Mit der Arbeitskräfteknappheit lassen sich manche Leistungen nur noch mit Überstunden erbringen. Umso wichtiger sind Maßnahmen zur Steigerung der Beschäftigung, etwa die steuerliche Begünstigung von Überstunden, der Ausbau der Kinderbetreuung, längeres Arbeiten im Alter und mehr qualifizierte Zuwanderung.  


von Mag. Dr. Rolf Gleißner



Arbeitskräfteradar 2023 zeigt hohen Arbeitskräftebedarf

Der aktuelle Arbeitskräfteradar 2023 zeigt trotz konjunkturellem Gegenwind einen anhaltend hohen Arbeits- und Fachkräftekräftebedarf der heimischen Unternehmen. Der Arbeitskräftemangel ist weiterhin eine massive Wachstumsbremse. 

Insgesamt beteiligten sich 5.124 Unternehmen an der Befragung, die im Mai 2023 stattfand. Obwohl die österreichische Wirtschaft seit Mitte 2022 stagniert, ist die Beschäftigung seitdem um etwa ein Prozent gestiegen und hat Ende Juli sogar die Marke von 4 Millionen unselbständig Beschäftigten erreicht. Der Arbeitsmarkt hat sich somit von der Konjunktur entkoppelt.

Der Arbeits- und Fachkräftebedarf ist immer noch hoch und steigt weiter. Gemäß Arbeitskräfteradar besteht österreichweit ein ungedeckter Arbeits- und Fachkräftebedarf von 210.000 Personen. Insgesamt geben 82% der Unternehmen an, dass sie von einem Mangel an Arbeits- und Fachkräften betroffen sind, wobei 62% diesen (sehr) stark spüren. 

Drastische Folgen für Unternehmen 

Die Auswirkungen sind in der Umfrage deutlich erkennbar und alarmierend: Die Zusatzbelastung für Firmenchefs und Verantwortliche steigt stark, 82% der Unternehmen klagen darüber. Insgesamt befürchten 72% der Betriebe eine (starke) Zunahme des Arbeits- und Fachkräftemangels in den nächsten drei Jahren in ihrer Branche. 56% melden bereits Umsatzeinbußen aufgrund des fehlenden Personals und für 27% bedroht der Mangel sogar die Existenz des Betriebes.

Als wichtigste Maßnahmen zur Linderung sehen die Unternehmen die Erhöhung der Beschäftigungsanreize für Arbeitslose (82%), eine Attraktivierung der Lehrlingsausbildung (78%), die Ermöglichung eines flexiblen Pensionsübertritts, um ältere Arbeitnehmer länger in Beschäftigung zu halten (74%), sowie verstärkte Angebote zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen wie z.B. flexible Kinderbetreuung (71%). 59% wünschen sich die Vereinfachung der Beschäftigung von Fachkräften aus Drittstaaten.

Details zu der vom ibw im Auftrag der WKÖ durchgeführten Erhebung:  Arbeitskräfteradar


von Jakob Julius Pühringer, MA



Mindestlöhne: Österreich bereits im EU-Spitzenfeld

Eurofound veröffentlich jährlich einen Bericht über Mindestlöhne in Europa. Der aktuelle Bericht zeigt, dass Österreich – auch ohne gesetzlichen Mindestlohn – ganz weit vorne liegt. 

Laut aktuellem Eurofound-Bericht haben die EU-Mitgliedstaaten zwischen Jänner 2022 und Jänner 2023 die gesetzlichen Bruttomindestlöhne in noch nie dagewesener Weise angehoben: Die Bandbreite reichte von mehr als 20 % in Deutschland und Lettland bis zu einem Plus über 5 % in Luxemburg. Der durchschnittliche nominale Anstieg in allen Mitgliedstaaten lag bei fast 11 %, verglichen mit 5 % im Jahr 2021. Aufgrund der hohen Inflationsraten in der EU führten diese hohen nominalen Erhöhungen jedoch nur in einigen wenigen Ländern (vor allem in Deutschland und Belgien) zu einem signifikanten Kaufkraftgewinn bei den Mindestlohnempfängern.

Bei jenen Staaten, die einen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt haben, liegt Luxemburg weit vor Deutschland und Belgien. In Österreich haben sich die Sozialpartner 2017 auf 1.500 Euro brutto branchenübergreifend geeinigt. Derzeit sehen die allermeisten Kollektivverträge bereits Löhne von mindestens 1.700 Euro brutto 14mal pro Jahr vor. Das ergibt einen durchschnittlichen Monatslohn von  1.983 Euro brutto. Damit liegt Österreich auf Platz 2 hinter Luxemburg (2.387 Euro). 

Mindestlöhne in Europa
© Eurofound

Die Grafik zeigt die gesetzlichen Brutto-Mindestlöhne. Im Jahr 2022 reichten die Nettomindestlöhne für einen Alleinverdiener ohne Kinder von 282 Euro pro Monat in Bulgarien bis zu 1.968 Euro in Luxemburg (1.557 Euro in Ö).  

Fazit: Auch ohne gesetzlichen Mindestlohn liegt Österreich im EU-Spitzenfeld, da Kollektivverträge für fast alle Arbeitnehmer Mindestlöhne vorsehen. Einen Mindestlohn von 2.000 Euro, wie er derzeit gefordert wird, gibt es nur im kleinen Luxemburg, dieser Wert wäre in Österreich derzeit nicht verkraftbar.

 

Eurofound-Studie:
https://www.eurofound.europa.eu/sites/default/files/ef_publication/field_ef_document/ef23019en.pdf


von Dr. Ingomar Stupar



Gender Pay Gap: Neue Erkenntnisse zu Ursachen

Demnächst ist Equal Pay Day. Der mediale und politische Diskurs dazu ist meist sehr oberflächlich. Die Ursachen für den Lohnunterschied sind vielfältig. 

In der Wissenschaft wird seit langem die Aussagekraft des  „Gender Pay Gap“ diskutiert. Der unbereinigte Pay Gap vergleicht den durchschnittlichen Bruttostundenlohn von Männern und Frauen. Mehr Aussagekraft hat der bereinigte Pay Gap, der jene Teile des Verdienstunterschieds herausrechnet, die auf objektiv erklärbaren Unterschieden wie Ausbildungsgrad, Beruf, Qualifikation, Arbeitszeit sowie  Arbeitserfahrung von Männern und Frauen beruhen.

Eurostat hat beide Werte zuletzt 2018 berechnet. Der unbereinigte Einkommensunterschied betrug damals in Österreich 20,4%, der bereinigte nur 10,8%. Medial wird kaum differenziert und meist nur der unbereinigte Wert berichtet, vermutlich, weil es mehr um die Botschaft als um die Hintergründe geht. 

Eine neue Studie des deutschen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit hat eine weitere Ursache für den Einkommensunterschied ermittelt. Demnach bewerben sich Frauen seltener für hochbezahlte Stellen als Männer. Bei den 10% Firmen mit dem geringsten Lohnniveau fanden sich 55% Frauen im Bewerberpool, bei den 10% Firmen, die am besten bezahlen, jedoch nur 36%. Dabei wurde dieses Bewerbungsverhalten in denselben Branchen und in den selben Berufen verglichen.

Bewerbungsverhalten Frauen und Männer
© Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

In einem zweiten Schritt hat die Studie die Auswahlwahrscheinlichkeit analysiert, um festzustellen, ob Frauen im Auswahlprozess benachteiligt werden. Hiefür wurden Einstellungen in Betrieben mit vergleichbarer Größe, im selben Wirtschaftszweig und Beruf verglichen. Das Ergebnis: Wenn sich Frauen und Männer für den gleichen Beruf bei Hochlohnfirmen bewerben, ist die Wahrscheinlichkeit, den Job zu bekommen, für beide Geschlechter gleich hoch. 

Subjektive Faktoren wie unterschiedliche Präferenzen und Verhaltensweisen werden bislang nicht einmal im bereinigten Pay Gap berücksichtigt. Die Studie zeigt, dass Einkommensunterschiede nicht auf Unternehmen, sondern zum größten Teil auf andere Faktoren zurückzuführen sind. Diese Erkenntnis ist wichtig, weil Maßnahmen zur Schließung der Einkommensschere nur wirken, wenn sie bei den Ursachen ansetzen. Demnach können Vorgaben für Unternehmen den Unterschied nicht beseitigen, wirksamer wären etwa der Ausbau der Kinderbetreuung, die Motivation von Mädchen und Frauen zu MINT-Berufen, etc. 

Zur Studie
https://doku.iab.de/kurzber/2023/kb2023-08.pdf 

Interview mit den Autoren
https://www.iab-forum.de/frauen-bewerben-sich-seltener-auf-gut-bezahlte-stellen-als-maenner/


von Mag. Emanuel Ludwig, MBA



ZAS-Tag am 26.9.2023: Schwerpunkt Arbeitskräftemangel

Traditionell bietet der Manz-Verlag in Kooperation mit der Wirtschaftskammer Österreich ein Update zum Arbeits- und Sozialrecht des Jahres in einem Tag. Geboten werden:

  • Neues aus der Gesetzgebung
  • Junge gewinnen / Ältere halten – arbeitszeitrechtliche Möglichkeiten der Mitarbeiterbindung, insb. 4-Tage-Woche, Teilzeit
  • Entgeltrechtliche Möglichkeiten der Mitarbeiterbindung, insb. Mitarbeiterbeteiligungen, Boni, Betriebspensionen
  • Arbeitskräfteüberlassung – Aktuelles und Tipps für die Praxis
  • Judikatur-Update

Ort: Wirtschaftskammer Österreich, Saal 2, Wiedner Hauptstraße 63, 1045 Wien 
Zeit: Dienstag, 26. September 2023, 9:00 (Eintreffen) – 16:00 Uhr 

Details und Anmeldung:

Jahrestagung Arbeits- und Sozialrecht 2023 online buchen | MANZ Rechtsakademie

Programmfolder




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