SPIK - Sozialpolitik informativ & kurz
Newsletter Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit 31.1.2023
Lesedauer: 7 Minuten
Inhaltsübersicht
- Einkommensbericht des Rechnungshofs: Medien verzerren
- Geringfügige Beschäftigung während der Arbeitslosigkeit - eine Sackgasse
- Pandemie belastet Gesundheit und Gesundheitsversorgung
- Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen steigt
- Neues Jahrbuch Gesundheitspolitik und Gesundheitswirtschaft 2022
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
trotz hoher Teuerung lagen die Lohnabschlüsse, die die Sozialpartner im Herbst vereinbart haben, über der vergangenen Inflation. Da - im Gegensatz zu anderen Ländern - in Österreich fast alle Arbeitnehmer von Kollektivverträgen erfasst sind, bleibt die Kaufkraft breitflächig erhalten. Warum steigen dann die Einkommen im Langfristvergleich des Rechnungshofs schwächer?
Geringfügige Beschäftigung mit Arbeitslosengeldbezug ist attraktiv, aber eine Falle, wie eine Studie im Auftrag des AMS zeigt. Auf eine Abschaffung konnte sich die Regierung nicht einigen.
In allen OECD-Staaten belastete die Pandemie die Gesundheitssysteme und reduzierte die Lebenserwartung. Auch in Österreich sank die Zahl gesunder Lebensjahre – und zwar schon vor COVID.
Zuletzt wurden die Förderungen für Unternehmen kritisiert. Dabei ist der Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen gestiegen, weil jede Krise Selbständigeneinkommen stärker trifft.
Zum Abschluss eine Nachlese auf die Präsentation des Gesundheitsjahrbuchs 2022.
Alles Gute!
Rolf Gleißner
Einkommensbericht des Rechnungshofs: Medien verzerren
Realeinkommen steigen, Geschlechterunterschied geht zurück
Der Einkommensbericht des Rechnungshofs wird gern für das übliche Mantra herangezogen, wonach die Einkommen sinken, immer weiter auseinanderklaffen insbesondere auch zwischen den Geschlechtern. Bei näherer Betrachtung zeigen sich andere, erstaunliche Ergebnisse.
Die Sozialpartner vereinbaren auch in Krisenzeiten Lohnerhöhungen über der Inflation – und zwar (im Gegensatz zu anderen Ländern) für alle Arbeitnehmer. Warum wachsen die Durchschnittseinkommen nach den Zahlen des Rechnungshofs dann nicht stets über der Inflation?
Dazu ein Beispiel: Ein Mann verdient 3.000 Euro. Nach der Karenz arbeitet seine Frau wieder Teilzeit und verdient 1.000 Euro, das Gesamteinkommen der Familie steigt. Statistische Folge aber: Das durchschnittliche Erwerbseinkommen in der Familie sinkt von 3.000 auf 2.000 Euro!
Teilzeit und Saisonkräfte drücken den Schnitt
Genau das passiert am Arbeitsmarkt: Die Beschäftigung steigt, es kommen aber v.a. Teilzeiteinkommen hinzu, Überstunden gehen zurück. Dadurch sinkt die durchschnittliche Arbeitszeit, was statistisch den Durchschnittslohn dämpft. Allein zwischen 2019 und 2022 ging die Arbeitszeit um eine Stunde pro Woche zurück, also um ca. 3%.
Daher differenziert der Rechnungshof auch und – siehe da: Die Vollzeiteinkommen sind zwischen 2004 und 2021 um 50,6% gestiegen, die Teilzeiteinkommen sogar um 70,9% und damit deutlich über der Inflation von 38%.
Dazu kommen seit der Ostöffnung mehr Saisonkräfte als früher. Diese verdienen oft nur einige Monate in Österreich und „drücken“ mit ihren geringen Jahreseinkommen die Statistik ebenso wie die Teilzeit.
Gern werden auch Äpfel mit Birnen verglichen, nämlich die Durchschnittslöhne von Mann und Frau, wobei ausgeblendet wird, dass jede zweite Frau Teilzeit arbeitet, aber nur jeder zehnte Mann. Wichtig dabei: Laut Eurostat sind nur 9,2% der Teilzeitverhältnisse in Österreich unfreiwillig - der Anteil bei Frauen ist sogar noch geringer. Zurecht wird eingewandt, dass v.a. Mütter oft deshalb Teilzeit wollen, weil die (Vollzeit)Betreuung für Kinder fehlt. Allerdings dürfte laut Familienbericht das Hauptmotiv sein, die Kinder selbst betreuen zu wollen (Mütter oft freiwillig nicht berufstätig - oesterreich.ORF.at).
Frauen holen bei Einkommen auf
Blendet man die Arbeitszeit aus, vergleicht also ganzjährig Vollzeitbeschäftigte, erreichen die Erwerbseinkommen der Frauen 87,5% jener der Männer. 2004 erreichten sie erst 77,5%, die Frauen holen somit deutlich auf, ihre Einkommen steigen klar stärker als jene der Männer. Bei ganzjährig Teilzeitbeschäftigten ist der Stundenlohn von Mann und Frau sogar identisch.
Der nach Arbeitszeit verbleibende Einkommensunterschied lässt sich v.a. durch Erwerbsunterbrechungen, Berufswahl und einen früheren Pensionsantritt erklären, durch den die einkommensbesten Jahre verloren gehen.
Größer als bei Arbeitnehmern sind die Einkommensunterschiede übrigens bei Selbständigen: Frauen verdienen hier nur 60% des Einkommens der Männer, ein Unterschied, der jedenfalls nicht Arbeitgebern zugeschrieben werden kann.
Fazit: Auf den ersten Blick bietet der Rechnungshofbericht Stoff für die üblichen Vereinfachungen und Dramatisierung. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich: Die Einkommen in Österreich steigen, Teilzeit erhöht den Wohlstand, Frauen holen auf.
Geringfügige Beschäftigung während der Arbeitslosigkeit - eine Sackgasse
Die Studie von L&R Sozialforschung im Auftrag des AMS Kärnten prüfte, ob eine geringfügige Beschäftigung für Arbeitslose ein Sprungbrett in eine vollversicherte Beschäftigung oder eine Sackgasse ist. Das klare Ergebnis: Die geringfügige Beschäftigung verlängerte die Arbeitslosigkeit.
Die Studie ging konkret der Frage nach, ob und welchen Einfluss die Dauer der geringfügigen Beschäftigung darauf hat, wie lange die Personen beim AMS vorgemerkt bleiben („Geschäftsfalldauer“). Dabei wurden arbeitslose Personen mit geringfügiger Beschäftigung in Kärnten mit einer Kontrollgruppe mit gleichen Merkmalen, aber ohne geringfügige Beschäftigung verglichen.
Wenige Tage geringfügiger Beschäftigung wirkte sich nicht signifikant aus, ab 29 Tagen an geringfügiger Beschäftigung waren die Effekte eindeutig und stark negativ. Dauerte diese Beschäftigung mehr als 91 Tage, verlängerte sich die Arbeitslosigkeit um 310 Tage!
Das Alter der arbeitslosen Personen spielt eine Rolle: Während bei jüngeren Arbeitslosen jede geringfügige Beschäftigung die Arbeitslosigkeit signifikant verlängert, ist das bei Älteren nur bei längerer geringfügiger Beschäftigung der Fall, dann aber mit +331 Tagen besonders deutlich. Alarmierend: Auch für erstmalig arbeitslose Personen bedeutete die geringfügige Beschäftigung eine Sackgasse (+81% Tage in Arbeitslosigkeit).
Fazit: Die Studie bestätigt: Die geringfügige Beschäftigung während der Arbeitslosigkeit ist eine Armutsfalle und daher massiv einzuschränken. Und in Zeiten des Arbeitskräftemangels hat diese Kombination schon gar keinen Platz.
Pandemie belastet Gesundheit und Gesundheitsversorgung
Über 1,1 Mio Corona-Todesfälle wurden bis Oktober 2022 in der EU gemeldet. Infolge der Pandemie sank die Lebenserwartung zwischen 2019 und 2021 um mehr als ein Jahr. Das zeigt die aktuelle OECD-Studie Health at a Glance: Europe 2022
Die Pandemie hat die Gesundheitsausgaben 2020 und 2021 in fast allen EU-Ländern in die Höhe getrieben. In Österreich gab es bereits vor der Pandemie überdurchschnittlich viel Personal und Krankenhauskapazitäten, was der Gesundheitsversorgung in der Pandemie zugutekam. Gemessen am BIP stieg der Anteil der Gesundheitsausgaben von 10,5 Prozent 2019 auf 11,5 Prozent 2020 und 12,2 Prozent 2021.
Neben den Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit hatte die Pandemie erhebliche Folgen für die psychische Gesundheit. Für Österreich zeigen die Daten, dass bei 41 Prozent der 18- bis 24-Jährigen während der Pandemie Symptome einer Depression auftraten – weit mehr als in der Gruppe der Erwachsenen insgesamt (24 Prozent). Verringerte körperliche Aktivität und schlechtere Ernährung während der Pandemie haben weiters dazu geführt, dass auch in Österreich unter den Kindern und Jugendlichen die Übergewichts- und Adipositasraten anstiegen - im Alter von sieben bis zehn Jahren von 20,7 Prozent im September 2019 auf 26,2 Prozent im März 2021!
Um die europäischen Gesundheitssysteme für künftige Krisen besser zu wappnen, empfiehlt die OECD vermehrt Investitionen in Gesundheitspersonal, Digitalisierung sowie Prävention. Allerdings sollten diese gezielten Mehrausgaben auch mit Effizienzsteigerungen und Einsparungen kombiniert werden, damit die Gesundheitssysteme nachhaltig finanzierbar bleiben.
Gesunde Lebensjahre in Österreich sanken – und zwar schon vor COVID
Ganz aktuell ist auch der Bericht des Rechnungshofs zu Gesundheitsförderung und Prävention. Ein Gesundheitsziel ist die Steigerung der gesunden Lebensjahre. Der Rechnungshof kritisiert, dass entgegen diesem Ziel die gesunden Lebensjahre in Österreich von 2014 bis 2019 (also noch vor COVID!) sogar um 1,6 Jahre gesunken sind. Er sieht daher dringenden Handlungsbedarf bei Gesundheitsförderung und Prävention und empfiehlt:
- Die Gesundheitskompetenz wäre in allen Teilen der Bevölkerung zu stärken.
- Angesichts der angekündigten Einführung eines neuen digitalen Eltern-Kind-Passes sollten erst die bereits bis 2019 erarbeiteten Änderungen des Mutter-Kind-Passes zügig umgesetzt werden.
- Die Bewegungsinitiative des Bundes, die zum Stillstand gekommen ist, soll aktiviert werden.
- Der Rechnungshof empfiehlt dem Gesundheitsministerium, mit den Partnern der Zielsteuerung-Gesundheit erfolgreiche Projekte der Gesundheitsförderung und Prävention finanziell abzusichern, die Mittel aller Partner (Bund, Länder, Sozialversicherung) einer gemeinsamen verbindlichen Strategie zu unterstellen und so zielgerichtet und abgestimmt einzusetzen.
Daten etwa zu Durchimpfungsraten sowie zum Gesundheitszustand der Kinder und Jugendlichen sind mangelhaft. Der Rechnungshof empfiehlt, Datenqualität und Berichte zur Vorsorgeuntersuchung zu verbessern, um die Erkenntnisse für eine Steuerung der Gesundheitsförderung und Prävention nutzen zu können.
von Mag. Maria Cristina de Arteaga
Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen steigt
Laut WIFO liegt die Lohnquote heuer bei 70,4%. Damit ist der Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen deutlich höher als 2008 und liegt auf dem selben Niveau wie in den 90er Jahren.
Die Selbständigen-Einkommen hängen stärker von der Konjunktur ab als die der Unselbständigen: Krisen wie die Finanzkrise 2008/09, die Pandemie und die aktuellen Verwerfungen treffen die Einkommen der Selbständigen stärker. Daher ist in den letzten Jahren der Anteil der Arbeitnehmer am Gesamteinkommen gestiegen.
Vorwürfe, die Unternehmen hätten durch Förderungen besonders profitiert, gehen daher ins Leere: Entscheidend ist, dass Unternehmensstrukturen während der Pandemie erhalten blieben, die jetzt Jobs und damit auch Einkommen für Arbeitnehmer gewährleisten.
Neues Jahrbuch Gesundheitspolitik und Gesundheitswirtschaft 2022
Unser neues Jahrbuch umfasst ein Potpourri an Beiträgen über Neuerungen und Herausforderungen der Gesundheitsbranche. Rund 60 Expertinnen und Experten liefern unterschiedliche Perspektiven. Das Jahrbuch wird von WKÖ und Sanofi Österreich herausgegeben. Die Präsentations-Veranstaltung war dem Thema Gesundheitskompetenz gewidmet. Den Link zu Jahrbuch, Blog, Nachlese und Aufzeichnung der Präsentations-Veranstaltung am 10.1.2023 finden Sie HIER.
Impressum
Wirtschaftskammer Österreich
Wiedner Hauptstraße 63, 1045 Wien
Abteilung für Sozial- und Gesundheitspolitik
Leiter: Mag. Dr. Rolf Gleißner
Telefon: +43 (0)5 90 900 4286
sp@wko.at
https://wko.at/sp