Agenda der schwedischen Ratspräsidentschaft als Gradmesser
Informationen der Bundessparte Industrie
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Am 1. Jänner 2023 übernimmt Schweden turnusmäßig die europäische Ratspräsidentschaft. Positive Aspekte im Programm überwiegen, viele Details müssen aber genau analysiert werden.
Auch die schwedische Ratspräsidentschaft wird von einem turbulenten internationalen Umfeld geprägt sein. Daher stellt sich die Frage, ob und wie viele der selbstgesteckten, langfristigen Vorsätze erfüllt werden können und wieviel Energie weiterhin in Krisenmanagement fließen wird müssen. Wenig überraschend fokussiert sich Schweden insbesondere auf die Rolle der EU in der Welt, auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sowie die grüne Transformation.
Stimmen, die aufgrund des Rechtsrucks nach den Wahlen zum schwedischen Reichstag im September das Ende der traditionell proeuropäischen Ausrichtung des Landes kommen sahen, sind in der Zwischenzeit großteils verstummt. Dennoch wird die Präsidentschaft auch diesbezüglich ein Gradmesser sein.
Wirtschaft und Green Deal sind untrennbar miteinander verbunden. Hier unterstreicht der Vorsitz vor allem die anstehende Reform des Strommarktes, die sowohl eine stärkere Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern als auch eine sichere und leistbare Stromversorgung sicherstellen soll. Schwedische Vertreter agieren derzeit in diesem Bereich eher abwartend und verweisen auf den bevorstehenden Vorschlag der Kommission bzw. auf den unterschiedlichen Energiemix der Mitgliedstaaten. Ein klares Bekenntnis gab es zum Abschluss der offenen Dossiers des Fit-for-55-Legislativpakets, das jedoch angesichts der Wirtschafts- und Industriepolitik Schwedens der vergangenen Jahrzehnte – Stichwort Vorreiter bei nationalen CO2-Bepreisungssystemen für die Industrie – wenig überraschend ist. Interessanterweise wurde die Frage nach mehr oder weniger Atomkraft zu einem wichtigen Wahlthema. Ob sich das Land also weiterhin als starker Verfechter der erneuerbaren Energien präsentieren wird, ist unter der neuen Regierung noch unklar. Jedoch steht fest, dass in Stockholm viele Aspekte des Green Deals als Wettbewerbsfaktor und Marktchance wahrgenommen werden. Dem angekündigten Rohstoffgesetz der EU könnte also sehr früh der nordische Stempel aufgedrückt werden, was für die Industrien der anderen Mitgliedsstaaten jedoch deutliche Kostensteigerungen – etwa durch extrem strenge, verpflichtende Nachhaltigkeitsstandards – bedeuten könnte.
In einem anderen Bereich hat die schwedische Ratspräsidentschaft positiv aufhorchen, und damit alle Warnungen unmittelbar nach der Regierungsbildung deutlich rechts der Mitte verstummen lassen: Schweden sieht sich weiterhin als Verfechter des Freihandels und stellt sich gegen eine zu protektionistische und interventionistische Industriepolitik. Begonnene Verhandlungen zu Freihandelsabkommen sollen zügig abgeschlossen werden und anstehende Gespräche konstruktiv vorangetrieben werden. Das ist auch aus Sicht der österreichischen Industrie durchaus positiv, wenn auch mit Vorsicht zu genießen – Stichwort Nachhaltigkeit in Freihandelsabkommen. Daneben ist dem neuen Vorsitz das auch unter der Biden-Regierung handelstechnisch nicht deutlich verbesserte Klima mit den USA sehr bewusst. Eine europäische Lösung für eine Antwort auf den Inflation Reduction Act und potenziell negative Auswirkungen auf die hiesige Industrie soll gefunden werden. Die Frage nach der Rolle der EU - Protektor oder Wegbereiter für eine innovative und wettbewerbsfähige Industrie - ist auch ein interessantes Element des Trios der Ratspräsidentschaften Frankreichs, der Tschechischen Republik und Schwedens, das im Juni 2023 zu Ende gehen wird. Die Tendenz von Tschechien und Schweden hin zu zweiterem ist zumindest eine erfrischende Abwechslung, die hoffentlich auch nachhaltige Effekte auf die europäische Politik haben wird.
Schweden sieht sich selbst, trotz oder gerade weil es nicht zum Euroraum gehört, als ehrlichen Vermittler zwischen den Interessen der Mitgliedsstaaten der EU, möchte dabei aber durchaus auch eigene Akzente setzen. Als starkes Industrieland werden diese Akzente natürlich auch nicht ohne Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft bleiben. Hierbei gilt es genau hinzusehen. Oberflächlich erscheinen viele der Initiativen des schwedischen Ratsvorsitzes positiv und erstrebenswert. Im Detail muss man sich allerdings manchmal fragen, ob und welche Agenda das nordische Land verfolgt. Auch das wird die Aufgabe der BSI in Brüssel und Wien in den nächsten sechs Monaten sein.
Das Programm der schwedischen Ratspräsidentschaft wird am 14. Dezember 2022 offiziell im Europäischen Parlament vorgestellt.
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Autor:
Clemens Rosenmayr, MSc, MSc, BSc
E-Mail: clemens.rosenmayr@wko.at