Sparte Industrie

EU: Superwahljahr, juristische Kniffe & neue Koalitionen

Informationen der Bundessparte Industrie

Lesedauer: 3 Minuten

29.01.2024

Aus Brüsseler Sicht steht das Jahr 2024 ganz im Zeichen der EU-Wahlen. Daneben sind wichtige Gesetzesvorschläge in Verhandlung.

Neben der Europawahl vom 6. bis 9. Juni 2024 stehen im heurigen Jahr auch eine Reihe von nationalen Parlamentswahlen an, allen voran die Nationalratswahl in Österreich. Aber auch in Belgien, Portugal, Kroatien, Litauen und Rumänien wird gewählt. Und nicht zuletzt wirft die Präsidentschaftswahl der USA im November ihren Schatten voraus.

Allen Unkenrufen zum Trotz weisen in den Umfragen zur EU-Wahl die beiden traditionellen Großparteien und Taktgeber im Parlament, die Europäische Volkspartei und die Europäischen Sozialdemokraten, sehr stabil Zustimmungsraten aus. Die Liberalen scheinen in den letzten 12 Monaten in der Wählergunst stetig zu sinken, während für Rechtsaußen das Gegenteil der Fall zu sein scheint. Insgesamt lässt sich aus der Metaumfrage des zum Meinungsmacher aufgestiegenen Politmagazins POLITICO kein massiver Rechtsruck erkennen. Gleichzeitig steigt jedoch die Zahl möglicher Parlamentarier, die keiner der gegenwärtigen Fraktionen zugeordnet werden können. Damit lässt sich ein anderer Trend erkennen, nämlich hin zu mehr Heterogenität und Fraktionierung. Das würde nicht unbedingt zu mehr Stabilität beitragen und wird mehr Fingerspitzengefühl bei der Koalitionsbildung erfordern. Ebenso könnte sich das Gewicht bei der Besetzung von Kommissarsposten verschieben.

Allgemein wird erwartet, dass die neue Kommission im Herbst Form annehmen wird. Die Mitgliedstaaten haben das Vorschlagsrecht, jedoch muss sich jeder und jede einzelne Kandidat:in einem Hearing vor dem Plenum des Europäischen Parlaments stellen. Dessen konstituierende Sitzung findet Mitte Juli statt, d.h. diese Hearings werden aller Voraussicht nach erst nach der Sommerpause starten.

Eine weitere wichtige Frage, die sich unweigerlich stellt, ist jene nach dem Schicksal der vielen noch offenen Legislativdossiers. Dazu zählen etwa in der Industriepolitik der sogenannte Net-Zero Industry Act oder im Umweltbereich die Verpackungs- und Verpackungsabfall-Verordnung. Das Parlament hat bereits klargestellt, dass sich nur jene Dossiers ‚ausgehen‘, bei denen bis zum 2. Februar eine politische Einigung mit dem Rat erzielt werden kann. Nur bei diesen ist die formale Absegnung bis zur letzten Plenarsitzung Ende April gesichert. Es gibt allerdings noch einen Kniff aus der Geschäftsordnung des Parlaments, mittels dessen die zukünftige Volksvertretung an eine politische Einigung vor den Wahlen gebunden werden kann. Damit dieser Vorgang greift, muss die Einigung bis 1. März erzielt werden. Die derzeitige belgische Ratspräsidentschaft hat gerade im Bereich Nachhaltigkeit ehrgeizige Ziele und möchte neben den genannten Gesetzesvorschlägen noch eine Vielzahl weiterer Verhandlungen zum Abschluss bringen.

Stichwort Ratspräsidentschaft: nach den durchaus ambitionierten Belgiern ist Ungarn an der Reihe, den halbjährlichen Vorsitz zu übernehmen. Angesichts der vielen offenen und verborgenen Konflikte der derzeitigen ungarischen Regierung mit der Europäischen Kommission sehen es einige politische Kommentatoren in Brüssel mit Genugtuung, dass der Ratsvorsitz in eine Zeit fällt, in der legislativ nicht viel geschehen wird. Ohne Spuren wird jedoch auch diese Präsidentschaft nicht an Brüssel vorüberziehen, sind doch wesentliche Entscheidungen, insbesondere in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik im Wesentlichen Sache des Rates. Hier hat Ungarn bereits in jüngster Vergangenheit von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht, um sich Erfolge an anderer Front zu schaffen. Es ist alles andere als gesichert, dass die ungarische Regierung den Ratsvorsitz, wie in traditioneller Manier üblich, als neutraler Vermittler auslegt. Darüber hinaus könnte durch die Ankündigung des Ratspräsidenten Charles Michel, bei den EU-Wahlen anzutreten, eine mögliche Kurzzeitpräsidentschaft Ungarns des Europäischen Rates bevorstehen.

Was aus den politischen Programmen der europäischen Parteien schon bekannt ist, könnte unterschiedlicher nicht sein. So tritt die Europäische Volkspartei (EVP) bei weiteren Gesetzesvorschlägen im Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit auf die Bremse, während etwa die Sozialdemokraten den sozialen und ökologischen Wandel stärker in den internationalen Handelsabkommen der EU verankert sehen möchte.

Aus Sicht der Industrie bleibt jedenfalls zu hoffen, dass der industriepolitische Impuls auch in die neue Legislaturperiode ‚mitgenommen‘ werden kann. Aufbauend auf dem Net-Zero Industry Act und dem Critical Raw Materials Act muss industrie- und wettbewerbspolitisch noch an einigen Stellschrauben gedreht werden. Ebenso wird die Industrie weiterhin darauf drängen, dass das ausgerufene Ziel einer 25 %igen Reduktion der Berichtspflichten nicht ausgehöhlt wird und von der neuen Kommission zielstrebig weiterverfolgt wird.

Autor:
Clemens Rosenmayr, MSc, MSc, BSc
E-Mail: clemens.rosenmayr@wko.at

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