Hyperpersonalisierung: Künstliche Intelligenz macht Zielgruppen zu Individuen
Ein neues Level an Personalisierung: Mit KI lassen sich Menschen fernab von Zielgruppen-Überlegungen ansprechen – als Individuen.
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Von Ernährung und Alkoholkonsum über Schlafrhythmen und Meditationszeiten bis zu Menstruationsbeschwerden und psychischem Wohlbefinden: Alle möglichen Informationen, teils intimster Natur, werden heute fleißig in zahllose Apps getippt. Das Smartphone ist längst zu einem Teil der eigenen Persönlichkeit geworden, bewusst und auch unbewusst generieren wir immer mehr Daten rund um unser Sein. Auch Wearables erfreuen sich wachsender Beliebtheit und generieren ganz nebenbei große Mengen an Körperdaten über ihre Nutzerinnen und Nutzer. Und das ist erst der Anfang: „In zehn Jahren werden alle Menschen Wearables tragen, um ihre Gesundheit zu überwachen“, ist Prof. Michael Snyder von der Stanford University überzeugt (vgl. Hofmann et al. 2019).
Unser Verhältnis zu Technologie wird immer enger – das führt zu immer persönlicheren Zugängen zum Kunden. Mit KI lassen sich Menschen zunehmend fernab von Zielgruppen-Überlegungen ansprechen – als Individuen. Amazon meldete bereits vor Jahren ein Patent an, das es Alexa ermöglichen soll, anhand des Sprach-Inputs auf den physischen und emotionalen Zustand des Nutzers zu schließen und passenden Content zu bieten (vgl. Wittenhorst 2018) – in Amazons „Health Tracking Bracelet“ ist die Funktion bereits integriert. Künftig könnte eine belegte Stimme ausreichen, damit Alexa anbietet, Hustenpastillen zu bestellen, und auf eine gut gelaunte Stimme reagiert Alexa dann vielleicht mit einem Witz oder passenden Musikvorschlägen. Wir steuern auf ein neues Level an personalisierten Kaufempfehlungen zu – situativ und näher an den Konsumierenden als je zuvor. Natürlich kommt die Convenience nicht ohne Preis: Noch nie hatten Unternehmen tieferen Einblick in die Interessen, Wünsche, Pläne und Ängste ihrer Kundinnen und Kunden als durch Alexa und Co. Denn zu niemandem sind wir ehrlicher als zum Suchfeld von Google.
Die Ära der Hyperpersonalisierung
Dass uns Werbung im Facebook-Newsfeed und Ergebnisse der Google-Suche individualisiert per algorithmischer Auswahl vorgeschlagen werden, ist lange bekannt. Mit KI erreichen die Möglichkeiten zur Personalisierung von Produkten und Services aber ein neues Level, das weit über die reinen Daten unserer Such- und Browserverläufe hinausreicht. So analysiert das KI-System Netra etwa Bilder auf Social Media, um die potenziellen Käufer besser zu verstehen – und dann exakt zugeschnittene Angebote zu machen (vgl. Roetzer 2022). Die KI des Unternehmens Namogoo dagegen entwickelt basierend auf bisherigen Käufen individuelle Anreize in Online-Shops, um den Umsatz zu steigern (siehe namogoo.com).
Personalisierung durch KI verändert auch intimste Bereiche unseres Lebens. So greift die Dating-App Fatchd! für das digitale Verkuppeln auf maschinelles Lernen zurück (siehe fatchd.com): Die KI der App vergleicht zwei Gesichter und errechnet basierend auf der Erfolgsrate anderer Plattformen den passenden Match-Faktor – angeblich ist der Algorithmus dabei etwa doppelt so erfolgreich wie die menschliche Intuition (vgl. Kramper 2020). Inzwischen umfasst die zunehmende Personalisierung auf Basis von KI-Systemen zahlreiche konkrete Produkte – nur drei Beispiele:
- Symrise, ein weltweit agierender Hersteller von Duft- und Geschmacksstoffen, entwickelte gemeinsam mit IBM die KI Philyra, die mithilfe bestimmter Kundendaten, Trends und Erfolgsrezepte hyperindividualisierte Parfüms kreiert (vgl. Bode 2022; vgl. Wiesner 2020).
- Der Matratzenhersteller Emma produziert eine anpassungsfähige, personalisierte Matratze: Mithilfe von Sensoren erkennt die KI unterschiedliche Schlafpositionen und passt die Matratze geräuschlos an jeden Positionswechsel an. Zusammen mit einer intelligenten Wärmeregulierung soll so nicht nur die Schlafqualität verbessert, sondern auch chronische Leiden wie Rückenschmerzen vorgebeugt werden. Per App lassen sich persönliche Präferenzen für die optimale Schlafposition wählen (vgl. Kastenhuber 2021).
- Das Start-up Prose erstellt mithilfe von KI personalisierte Haarpflegeprodukte, abgestimmt auf Gesundheit, Lifestyle und Präferenzen der Kundinnen und Kunden (siehe prose.com). Langfristig will Prose die gesamte Kosmetiklinie ins Visier nehmen (vgl. Feldman 2020).
Personalisieren lässt sich auch Beratung, etwa wenn uns lernfähige Chatbots als virtuelle StylistInnen oder VerkäuferInnen durch den Online-Shopping-Dschungel navigieren. Doch KI kann bereits davor ansetzen und beispielsweise nur solche Produkte in das Sortiment aufnehmen, die den KundInnen tatsächlich gefallen. So will das Modeunternehmen bonprix mittels KI sein Sortiment noch besser auf aktuelle Trends und Bedürfnisse abstimmen: Schlecht vorhergesagte Produkte fliegen aus dem Sortiment, andere werden nach den Bedürfnissen des Marktes optimiert, etwa durch Änderung der Farbe. Durch ständig neu gewonnene Informationen soll der Algorithmus zunehmend präziser werden und passgenauer die Präferenzen der KundInnen vorhersagen (vgl. bonprix 2020).
Denkt man die Potenziale der Personalisierung von Werbung, Produkten und Services mit den neuen Möglichkeiten smarter Fabriken zusammen, die mit Losgröße eins eigenständig individuell vom Kunden konfigurierte Produkte herstellen und (teil)autonom ausliefern können, wird klar: KI wird zu einem grundsätzlich neuen Verhältnis von Kunde und Produkt führen. Bestehende Trends wie die Personalisierung von Produkten und Services, die „persönliche“ Betreuung in Dialogform durch Bots und die individuelle Ansprache im Marketing werden durch KI weiter verstärkt. Das Zeitalter der KI ist auch ein Zeitalter der Personalisierung, das den Menschen, ob als KundIn, PatientIn oder schlicht als NutzerIn, wieder in den Mittelpunkt rückt.
Was KI genau kann und wie sie funktioniert, erfährt man in diesem Video: