Sparte Industrie

Strommarktreform: EU-Reformentwurf ohne Notfallmechanismus

Informationen der Bundessparte Industrie

Lesedauer: 3 Minuten

04.08.2023

Die Reform soll die Verbraucher besser vor Preisspitzen und möglichen Marktmanipulationen schützen und die Industrie wettbewerbsfähiger machen.

Am 14. März 2023 hat die EU-Kommission ihren Vorschlag zur Strommarktreform veröffentlicht. Damit soll laut Kommission der Ausbau erneuerbarer Energien und der Ausstieg aus fossilem Gas beschleunigt werden. Die Reform sieht eine Überarbeitung mehrerer EU-Rechtsvorschriften vor, insbesondere der Elektrizitätsverordnung, der Elektrizitätsrichtlinie und der REMIT-Verordnung. Die Vorschläge der Kommission beinhalten primär punktuelle Änderungen - das Merit-Order-Prinzip soll aber, als System zur effizienten Preisbildung am Spotmarkt, bestehen bleiben. Leider sehen die Vorschläge keinen Notfallmechanismus für eine zumindest temporäre Entkoppelung von Strom- und Gaspreis vor, der im Falle von Extremsituationen am Markt, wie zuletzt im Sommer 2022, zum Tragen kommen sollte.

Skalpell, nicht Buschmesser

Die EU verfügt seit über zwanzig Jahren über einen effizienten, gut integrierten Strommarkt, der es den Verbrauchern ermöglicht, die wirtschaftlichen Vorteile eines Energiebinnenmarktes zu nutzen, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und den Dekarbonisierungsprozess zu fördern. Die Energiekrise, die durch die russische Invasion in der Ukraine ausgelöst wurde, hat die Notwendigkeit unterstrichen, den Strommarkt schnell und umfassend anzupassen, um die grüne Transformation besser zu unterstützen und Energieverbrauchern einen breiten Zugang zu leistbarem erneuerbarem Strom zu bieten. Im Reformvorschlag geht die Kommission nun mit dem Skalpell ans Werk, nicht mit dem Buschmesser – die Eingriffe sind chirurgisch präzise geplant, ohne aber das Grundprinzip auch nur temporär anzupassen.

Preisstabilität und Versorgungssicherheit durch Direktverträge

Die Kommission sieht eine Stärkung des Marktes für Power Purchase Agreements (PPAs) vor. Damit sollen europäische Unternehmen besser von langfristigen, stabilen Strompreisen aus erneuerbaren Energien profitieren. Mittels PPAs sollen Unternehmen ihre eigenen direkten Energielieferungen aufbauen und dadurch von stabileren Preisen für erneuerbare und nichtfossile Stromerzeugung profitieren können. Um die derzeitigen Hindernisse wie die Kreditrisiken von Käufern anzugehen, verpflichtet die Reform die Mitgliedstaaten, die Verfügbarkeit marktbasierter Garantien für PPA sicherzustellen.

Verpflichtende Differenzverträge für Erneuerbaren-Förderung

Für die Förderung erneuerbarer Energien sollen zweiseitige Differenzkontrakte (Contracts for difference, CfD) verpflichtend eingeführt werden. Staatliche Förderungen in den Neubau und das Repowering sollen demnach nur noch in Form von CfDs erfolgen dürfen, die über einen Unter- und einen Oberpreis verfügen sollen. Neben den erneuerbaren Energien ist auch der Neubau von Atomkraftwerken miteingeschlossen. Dies bedeutet ebenfalls eine dauerhafte Abschöpfmöglichkeit für "Zufallsgewinne" der Anlagenbetreiber. Um den Stromerzeugern Stabilität bei den Einnahmen zu bieten und die Industrie vor Preisschwankungen zu schützen, muss jede öffentliche Unterstützung für neue Investitionen in die inframarginale und unverzichtbare Stromerzeugung aus erneuerbaren und nichtfossilen Quellen in Form von Zwei-Wege-Differenzverträgen (CfD) erfolgen, während die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, überschüssige Einnahmen an die Verbraucher weiterzuleiten.

Verbesserung der Marktliquidität und Flexibilitätsmechanismen

Darüber hinaus wird die Reform die Liquidität der Märkte für langfristige Kontrakte erhöhen, die zukünftige Preise sichern, sogenannte "Terminkontrakte". Dadurch können sich mehr Anbieter und Verbraucher über längere Zeiträume vor zu volatilen Preisen schützen. Die Kommission schlägt weiters vor, die Regeln für die gemeinsame Nutzung erneuerbarer Energien zu überarbeiten. KMUs sollen künftig in Wind- oder Solarparks investieren und überschüssigen Strom nicht nur an ihren Versorger, sondern auch an Nachbarn verkaufen können. Außerdem müssen die Mitgliedstaaten ein nationales Ziel für die Nachfragesteuerung und die Speicherung definieren, das in den integrierten nationalen Energie- und Klimaplänen enthalten sein muss. Die Fortschritte in der Umsetzung dieses Ziels müssen regelmäßig berichtet werden. Den Mitgliedstaaten soll aber auch die Möglichkeit gewährt werden, zusätzliche Flexibilitätsunterstützungssysteme einzuführen. Und schließlich hat die Kommission Empfehlungen an die Mitgliedstaaten zur Förderung von Speicherinnovationen, -technologien und -kapazitäten veröffentlicht. Die vorgeschlagene Reform wird nun im Europäischen Parlament und vom Rat erörtert werden.

Industrie braucht sichere und kosteneffiziente Stromversorgung

Der Aufbau eines auf erneuerbaren Energien basierenden Energiesystems sollte nicht nur für die Senkung der Verbraucherrechnungen von entscheidender Bedeutung sein, sondern auch für die Gewährleistung einer nachhaltigen und unabhängigen Energieversorgung der EU im Einklang mit dem Europäischen Grünen Deal und dem REPowerEU-Plan. Diese Reform, die Teil des Green Deal Industrial Plan ist, muss es der europäischen Industrie auch ermöglichen, Zugang zu einer erneuerbaren, nicht-fossilen Stromversorgung zu wettbewerbsfähigen Kosten zu erhalten, die eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung darstellt. Durch Verbesserung der Vorhersehbarkeit und Stabilität der Energiekosten kann es zur Steigerung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit kommen.

Die vorgeschlagene Reform muss nun vom Europäischen Parlament und vom Rat erörtert und gebilligt werden, bevor sie in Kraft treten kann.    

Autor:
DI Oliver Dworak
E-Mail: oliver.dworak@wko.at

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