Detailansicht eines Manometers, im Hintergrund verschwommen Rohre und Justierungsräder unter wolkenverhangenem Himmel
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Sparte Industrie

Beiträge der nationalen Politik zur Gaspreisentwicklung

Die Gasversorgung ist ein zentraler Standortfaktor. Die Politik beruhigt, dass genügend Erdgas vorhanden sei. Was aber würde der mögliche Stopp der Lieferungen über die Ukraine Ende 2024 bedeuten?

Lesedauer: 6 Minuten

02.12.2024

Die Erneuerbaren sind kein Allheilmittel. Viele Produktionsprozesse lassen sich nicht auf Strom umstellen. In der Energieversorgung zeigt uns der November 2024, was „Dunkelflaute“ heißt: Zur Zeit der Abfassung dieser Zeilen (28.11.2024, 7:30 Uhr, www.apg.at) erzeugt der gesamtösterreichische Kraftwerkspark aus PV nichts, aus Wind nur 14 % und wegen Niedrigwasser nur 27 % aus Lauf- und 15 % aus Speicherkraftwerken. Die Erdgaskraftwerke halten die Stromversorgung mit 40 % Anteil aufrecht 

Dessen ungeachtet ist wohl nicht zu bestreiten, dass die derzeitige Politik keine Freundin der Erdgasversorgung ist und dass Österreich den europäischen oder gar den globalen Gasmarkt nur unwesentlich beeinflussen kann. Wir sind Preisnehmer. Im Gegensatz dazu, setzt die Energiepolitik nicht nur Ziele der Versorgungsicherheit und Dekarbonisierung, sondern auch des Ausstiegs von Erdgas, zumindest aus bestimmter Herkunft.  

Der nicht unwahrscheinliche Stopp der Gaslieferungen über die Ukraine Pipeline Ende 2024 und die Einstellung der Gazprom Lieferungen an die OMV müssen beachtet werden. Aktuell ist der Gaspreis vom Juli 2024 mit ca 34 EUR/MWh auf ca 50 EUR/MWh nach Lieferstopp der Gazprom an die OMV und nun auf aktuell ca 48 EUR/MWh geklettert. Der „Draghi–Bericht“ im Auftrag der EU-Kommission dokumentiert den 3-4 fachen Gaspreis und den 2-3 fachen Strompreis im Vergleich zu den USA und adressiert weitere Themen der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit. 

Hinzukommt, dass die EU zwar top-down Klimaschutzziele – inklusive dem im Emissionshandel grundgelegten – Ausstieg aus fossilen Energieträgern vorsieht, für eine gemeinsame Energiepolitik hat die EU aber keine Kompetenz. Entsprechend fragmentiert sind die Antworten der Mitgliedstaaten, von der Nutzung der grünen Atomenergie bis hin zum Umstieg auf andere erneuerbare Energieträger und Verunsicherung in der Gasversorgung.  

Im interessenpolitischen Tagesgeschäft und im großangelegten WKÖ Energiemasterplan wurden und werden hunderte Maßnahmen bewertet und lobbyiert. In der Konzentration auf diese – jede für sich einzeln wichtige – Details verlieren Entscheidungsträger:innen und Betroffene schon gerne mal den Überblick. Die Politik eines kleinen Landes kann den globalen Energiemarkt aber nicht lenken. Ein Ausstieg aus globalen Marktmechanismen bedeutet einfach, Preise zu treiben. 

Wohin das führt, zeigen uns die dramatischen Statistiken, welche die schon lange und schnell voranschreitende De-Industrialisierung nun auch vor den Vorhang holen.  

Vor dem Hintergrund der noch offenen Regierungsverhandlungen hat sich die Bundessparte Industrie – gemeinsam mit der Umweltpolitischen Abteilung der WKÖ – vorgenommen, eine Handlungsanleitung für die neuen politischen Entscheidungsträger:innen vorzubereiten. Damit soll auch ein Gegengewicht zu bisherigen Briefings geschaffen werden, die nicht ohne idiologische Prägung auskommen. Es braucht einen – technologieneutralen - „Reality Check“ der vielen Ideen innerhalb der nach wie vor geltenden globalen Marktmechanismen.  

Johannes Benigni ist ein österreichischer Energieexperte und profunder Kenner der Energiemärkte mit viel internationaler Erfahrung. Er ist seit 2022 als Direktor für Energy und Politics für die JBC Vienna vornehmlich in Europa in der Energieberatung tätig, zuvor war er einige Jahre auch für andere internationale Unternehmen u.a. auch in Asien tätig. Er soll diesen Reality Check durchführen und hat in der letzten Spartenkonferenz seine wesentlichen Erkenntnisse präsentiert. Hier eine erste Zusammenfassung aus seinem Vortrag, an dessen schriftlicher Ausarbeitung noch gearbeitet wird:

1. Der globale Energieverbrauch steigt so stark, dass trotz stark wachsender Erzeugung aus Erneuerbaren der Anteil der fossilen seit 1990 praktisch gleichgeblieben ist (1990: 77,8 %; 2023: 76,5 %). Auch der Bedarf an erneuerbarem Strom steigt stärker als der Ausbau bei Erneuerbaren. 

2. Die Weltenergienachfrage ist seit 1990 um 2/3 gestiegen, die Bevölkerung um 50 % und somit ist auch der pro Kopf Energieverbrauch gestiegen. In weiten Teilen der Welt herrscht Energiearmut, deren Behebung steigert tendenziell den pro Kopf Verbrauch weiter.

3. Verflüssigtes Erdgas (LNG) prägt schon heute den asiatischen Markt und wird künftig für Europa immer wichtiger. Änderungen in globalen Gaslieferketten schlagen sich in volatileren Preisen auch in Europa nieder. LNG ist wegen der Verflüssigung etc. in den Gestehungskosten teurer als Pipelinegas, was dazu führt, dass die Gaspreise in den USA relativ zu dem künftig eher durch LNG Preise bestimmten Europäischen Markt geringer bleiben werden. 

4. Österreich ist in einer Schicksalsgemeinschaft „Mitteleuropa“ mit der Slowakei, Ungarn und Slowenien, die als Binnenländer die Preisbildung in Mitteleuropa erfahren werden. Dazu gehört auch die Gasversorgung der Ukraine, die nach Kriegsende wahrscheinlich eher eine LNG Gasversorgung über Westeuropa und damit eine Leitung über die West-Ost Pipeline durch Österreich anstrebt. 

5. Ab Jänner 2025 wird die Turkstream die letzte aktive Leitungsverbindung für Gas aus Russland für die für uns relevante Region Mitteleuropa sein. 

Daraus ergeben sich insbesondere nachstehende Handlungsempfehlungen an die Politik, die teilweise auch für Unternehmen anwendbar sind.   

6. Die österreichische Politik sollte die Herausforderungen in der Energiepolitik mit Hilfe eines Energie- und Handelsministeriums unterstützen. Globale Marktmechanismen sind nach wie vor Realität, Handelsusancen und die notwendige Diplomatie sind zu beachten, deren Missachtung führt zu unnötigen Kosten. 

7. Österreichs Energie- und Handelsminister (und die Gaskunden) sollte(n) eine diversifizierte Versorgung propagieren, wonach nicht mehr als ein Drittel der Gasversorgung von einer Bezugsquelle und Transitroute stammt. Dazu gehört es auch, die bestehenden Bemühungen unserer östlichen Nachbarländer zur Versorgung über die Turkstream zu unterstützen. Ohne die selbstständige Versorgung unserer östlichen Nachbarländer über die Turkstream droht ein massiver Kostenschub.

8. Zum Gedanken der Diversifizierung gehört auch die angemessene Erhöhung der nationalen erneuerbaren Gaserzeugung und der Gasförderung.

9. Eine Sanktionierung von Gas aus einzelnen Regionen (wie Russland) steht einer pragmatischen Diversifizierung entgegen. Auch die Ukraine sollte motiviert werden, wieder Gas aus Russland zu beziehen, um eine Angebotsunterdeckung in Mitteleuropa zu vermeiden und damit die Ukraine am Gastransit nach Europa Geld für den Wiederaufbau verdienen kann und die EU gestützt auf eine stabile Gasversorgung Aufbauhilfen für die Ukraine finanzieren kann.  

10. Die Kosten entlang der Transportwege müssen geringer werden (Deutsche Gasspeicherumlage bekämpfen; Pipeline-Bottlenecks (Stichwort WAG-LOOP) lösen, selbst wenn diese als nur potenzieller Transportweg vorgehalten werden müssten).

11. Auch die künftige Versorgung mit Wasserstoff trägt zur Diversifizierung bei. Hier gilt es, die vielen einzelnen Initiativen konkret zu koordinieren und einen Market-Maker bzw. eine österreichische Wasserstoffstiftung für den Wasserstoffhochlauf zu installieren.

12. Österreichs Energie- und Handelsminister:in sollte auch die Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten intensivieren und Vereinbarungen zur Versorgung im Notfall treffen. Weiters sollte durch eine gemeinsame diversifizierte Versorgungsstrategie die Sicherheit erhöht und durch erhöhte Transitraten durch Österreich wieder eine Netzkostendämpfung erreicht werden können.

13. Die Strompreisbildung wird oft durch den Gaspreis aufgrund der „Merit-Order“ bestimmt. Die Merit-Order funktioniert außerhalb von Krisenzeiten gut, für die Krise sollte aber eine Gaspreissenkung auf europäischer Ebene kommen.  

14. Die Einführung der Strompreiskompensation und die Senkung der Energieabgaben und sonstiger Steuern bleiben weiterhin berechtigte Forderungen.  

Genereller Tenor der Kritik an der Energiepolitik ist, dass eine kostengünstige Energie nicht durch ein Festhalten an Ideologien, sondern durch kluges aktives Agieren innerhalb der Realitäten eines nach wie vor nicht durch erneuerbare Energien dominierten globalen Energiemarktes erreicht werden kann. Bevor die Energieversorgung für die Industrie nicht durch tragfähige und günstige Alternativen gesichert ist, dürfen bestehende Systeme zur Erdgasversorgung nicht abgebrochen werden. In Anlehnung an ein Sprichwort muss man der aktuellen Energiepolitik vorhalten: Der Weg zum Verderben ist mit guten Vorsätzen gepflastert. 

Auch der vermehrte Einsatz erneuerbarer Energien beendet nicht die Abhängigkeit von Energieimporten im großen und globalen Stil aus politisch / ideologisch nicht immer unumstrittenen Regionen. Saudi Arabien plant mindestens 10 % der weltweiten Nachfrage nach Wasserstoff zu decken. Die Pläne für die Wasserstofffernleitungen von Italien zielen vielfach nach Nordafrika. Algerien hofft bis 2040 ca. 10 % des EU-Bedarfs an Wasserstoff decken zu können. Es gilt daher in einer - richtig verstandenen - Diversitätspolitik sich nicht mehr als zu einem Drittel aus einer Quelle abhängig zu machen.  

Im Bemühen um Vorbereitung auf die diplomatischen Usancen in der potenziell sehr wichtigen Lieferregion für die Europäische Energieversorgung gilt der Schluss einem afrikanischen Sprichwort: Der kluge Mensch baut Brücken, der törichte reißt sie ein. 

Autor: 
Ing. Mag. Wolfgang Brenner

E-Mail:
Wolfgang.Brenner@wko.at

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