RISIKO ABFEDERN, bevor nichts mehr geht
Es gibt viele Gründe, warum es in einem Unternehmen heißen könnte „Rien ne va plus - nichts geht mehr”. Warum es so wichtig ist, darauf vorbereitet zu sein.
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Was tun, wenn durch einen Wasserschaden eine Maschine stillsteht? Wenn ein Unfall passiert und die Behörde sperrt bis zur Klärung der Ursache den Betrieb? Was, wenn plötzlich der Strom ausfällt? Die Szenarien, für die Unternehmen gewappnet sein müssen, sind zahlreich. Trotzdem gibt es laut dem aktuellen Global Risk Survey der PwC-Wirtschaftsprüfer noch Nachholbedarf beim unternehmerischen Risikomanagement. Viele Unternehmen leiten Maßnahmen gegen eine Betriebsunterbrechung erst ein, nachdem schon ein Schaden entstanden ist. „Jeder weiß, dass etwas passieren kann. Doch wenn das Unglaubliche dann eintritt, dann sind die meisten doch überrascht”, sagt Gerhart Ebner, Chef der Risk Experts GmbH., Mitglied Beraterpool der Wirtschaftskammer Wien. Ein Betriebsstillstand kostet in der Regel weit mehr als „nur” den Umsatz. Neben dem Ertragsausfall, der für sich allein schon bitter ist, drohen je nach Situation auch Einbußen bei der Reputation sowie ein Abspringen von Kunden und Lieferanten. Abseits von fehlendem Gas bei produzierenden Betrieben, Blackout oder Unfällen gibt es auch für Dienstleistungsbetriebe Risiken zu managen, beispielsweise einen Ausfall der IT-Infrastruktur durch einen Cyber-Angriff.
Risiken richtig abschätzen
Wie Risikomanagement in der Praxis funktioniert, weiß Sarah Lechner, Gründerin und Geschäftsführerin des Wiener Unternehmens BRüSLi, das sich auf die Herstellung und den Vertrieb von Müsli aus überproduziertem Brot spezialisiert hat. Sie hat ihren Betrieb mitten in der Corona-Krise gegründet und dementsprechend auch auf Krisenszenarien vorbereitet: „Ich glaube, dass wir schon mit einem gewissen Mindset an die ganze Sache herangegangen sind. Wir haben den Betrieb zum Beispiel von vornherein auf Remote ausgerichtet und können auch jetzt, falls es notwendig ist - also falls wir beispielsweise in Quarantäne müssen -, jederzeit in den Remote-Modus switchen”, schildert Lechner, die selbst aus dem Risikomanagementbereich kommt. „Dadurch, dass mein Geschäftspartner und ich beide vorher in diesem Bereich gearbeitet haben, läuft das Thema Risikomanagement schon in all unsere Prozesse und unsere Denkweise mit ein, und auch unsere Kommunikationsstruktur ist so ausgerichtet, dass wir schnell auf kritische Szenarien reagieren können”, schildert sie. Wichtig sei - so Lechner - dass man sich den eigenen Betrieb selbst genau anschaut und abschätzt, welche Risikoszenarien es gibt und wie wahrscheinlich es ist, dass diese tatsächlich eintreten und zu einem Stillstand führen. „Neben der Basisvorbereitung für Risiken im Lebensmittelbereich war es für uns zum Beispiel wichtig, uns mögliche Risiken auf der Produkt- und Lieferebene genauer anzuschauen - also Szenarien, bei denen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sie eintreten.” Für Blackout-Szenarien, die noch niemand richtig abschätzen kann und von denen keiner weiß, ob und wann diese überhaupt eintreten, hält Lechner zum jetzigen Zeitpunkt für BRüSLi dagegen wenig. „Niemand kann in die Zukunft schauen. Ich glaube, man muss realistisch bleiben und überlegen, inwieweit man als Betrieb direkt betroffen ist von möglichen Szenarien, welche Maßnahmen Sinn machen und ob die Ressourcen dafür vorhanden sind”, ist Lechner überzeugt. Und: „Wichtig ist, wie ich als Unternehmerin mit der Situation umgehe und was ich daraus mache - aus vielen Situationen ergeben sich wieder neue Chancen.”
Risikoabschätzung von innen
Auch für Roman Käfer, Risikomanagement-Spezialist, Mitglied Beraterpool der Wirtschaftskammer Wien, Wifi-Trainer und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Procon, ist das Auseinandersetzen mit den eigenen Strukturen und Abstecken möglicher Risiken für den Betrieb der erste Schritt in die richtige Richtung: „Jedes Unternehmen - ob Ein-Mann-Betrieb oder Aktiengesellschaft - kann sich überlegen: „Wo hab’ ich denn meine kritischen Schritte?”, erklärt er und empfiehlt, alle Prozesse im Betrieb auf Herz und Nieren zu prüfen. „In erster Linie muss die Risikoabschätzung von innen kommen - schließlich kennt jeder seinen eigenen Betrieb und die internen Prozesse und Abläufe am besten und weiß, wo es potenzielle Schwachstellen gibt”, erklärt er. Unterstützung können zusätzlich Risikokataloge bieten: „Man muss nicht komplett bei Null beginnen, sondern kann mithilfe solcher Kataloge vorgehen - hier werden alle Risiken generisch aufgelistet”, weiß Käfer, der auch Fortbildungen am Wifi-Wien für den Bereich Risikomanagement anbietet.
Wie lange hält mein Betrieb durch?
Essenziell bei der Vorbereitung auf mögliche Betriebsunterbrechungen ist für Käfer außerdem eine Abschätzung der Durchhaltedauer: „Man muss sich fragen: ‚Wie lange halte ich durch, wenn nichts mehr geht?”, schildert der Experte, der außerdem empfiehlt, regelmäßig zu überprüfen, ob man tatsächlich noch risikofit ist: „Bei einer Gesunden-Untersuchung lasse ich mich ab einem gewissen Alter regelmäßig durchchecken, auch wenn ich mich gesund fühle. Genau das sollten Unternehmen machen.”
Chancen der umfassenden Analyse
Spätestens seit Corona wissen alle, wie stark einzelne Risiken miteinander verknüpft sind. Die weltweiten Schließungen haben letztlich zu Lieferkettenproblemen geführt und zum akuten Fachkräftemangel beigetragen. Eine umfassende Risikoanalyse des Unternehmens trägt nicht nur zum Abwägen und Abfedern von kritischen Ereignissen bei, sie birgt viele Chancen. „Jede Beschäftigung mit dem Betrieb beleuchtet Zusammenhänge und zeigt Potenziale auf. Die verbesserte Kenntnis des Unternehmens ist Gold wert”, sagt Ebner.
Der Global Risk Survey sieht die Chancen in der richtigen Balance: „Auch ein adäquates Maß an Risikobereitschaft kann zum Wachstum verhelfen. Die befragten Unternehmen mit dem besten Risikomanagement haben fast doppelt so hohe Chancen, ihr Umsatzwachstum um mindestens elf Prozent zu steigern.”